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Holzwinkel: Trotz Arbeitschancen und Ehrenamt: Türkischer Familie droht Abschiebung

Holzwinkel

Trotz Arbeitschancen und Ehrenamt: Türkischer Familie droht Abschiebung

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    Seit fünf Jahren lebt Meryem Yükselen mit ihren Söhnen Deniz und Serkan im Holzwinkel. Obwohl die geflüchtete Türkin unbedingt arbeiten möchte, soll die Familie abgeschoben werden.
    Seit fünf Jahren lebt Meryem Yükselen mit ihren Söhnen Deniz und Serkan im Holzwinkel. Obwohl die geflüchtete Türkin unbedingt arbeiten möchte, soll die Familie abgeschoben werden. Foto: Paula Binz

    Zwischen einer silbernen Kanne mit türkischem Çay-Tee und einigen Tassen liegen kreuz und quer Papiere auf dem Tisch: Blätter mit hastig geschriebenen Unterschriften, mehrere Schreiben der Ausländerbehörde und ein Pass, auf den mehrmals der Stempel „UNGÜLTIG“ draufgedrückt wurde. Blickt man genauer hin, ist außerdem zu lesen: „Kein Aufenthaltstitel! Der Inhaber ist ausreisepflichtig!“ Meryem Yükselen zeigt immer wieder neue Dokumente mit komplizierten, behördendeutschen Ausdrücken, doch die Kernbotschaft ist klar: Die 46-jährige Türkin muss mit ihren beiden Söhnen Serkan und Deniz das Land verlassen. Und das, obwohl sie seit fünf Jahren im Holzwinkel im Augsburger Land gut integriert ist, sich ehrenamtlich engagiert und unbedingt arbeiten möchte. 

    „Ich kann nicht mehr schlafen und essen“, sagt Yükselen und ihre müden Augen sprechen Bände. Jede Nacht plagt die Türkin die Angst, dass die Polizei in die Flüchtlingsunterkunft nach Emersacker kommt und sie mitnimmt. Zweimal wurde der Asylantrag der Familie bereits abgelehnt, seit 2020 leben die Drei mit einer Duldung im Augsburger Land. Doch nun wurde auch diese aufgehoben. Warum? Das kann sich scheinbar niemand erklären. Weder Yükselen, noch die zuständige Sozialarbeiterin oder helfende Bürgerinnen und Bürger. 

    Türkin möchte unbedingt in Welden in der Alterspflege arbeiten

    Durch den Holzwinkel rollt daher eine Welle der Solidarität. Das Ziel: Durch Unterschriftensammlungen und ein Schreiben an die Härtefallkommission die Abschiebung doch noch verhindern. In dem Brief, der derzeit herumgereicht wird, wird besonders das Unverständnis über die deutsche Asylpolitik deutlich. So gehöre die Familie doch genau zu jenen Menschen, „die die Bundesrepublik dringend braucht.“ Stichwort: Fachkräftemangel in der Pflege und im Einzelhandel. Denn Meryem Yükselens Traum ist es, im Seniorenheim in Welden als Pflegekraft zu arbeiten. Insgesamt sechs Monate hat die Türkin dort bereits ausgeholfen und hatte daher gehofft, eine Ausbildung beginnen zu können.

    Meyem Yükselen hat einen Aufruf an Bürgerinnen und Bürger gestartet, damit die Familie im Augsburger Land bleiben kann.
    Meyem Yükselen hat einen Aufruf an Bürgerinnen und Bürger gestartet, damit die Familie im Augsburger Land bleiben kann. Foto: Paula Binz

    In ihrer Heimatstadt Pazarcik in der Zentraltürkei hat die 46-Jährige keinen Beruf erlernen können, weil ihr kleiner Sohn Deniz geistig behindert ist und betreut werden muss. „In meiner Heimat gibt es keine Einrichtungen für Kinder wie Deniz, ich muss daher zu Hause bleiben“, erzählt Yükselen. Das war auch in Ordnung – bis sie sich von ihrem Mann scheiden ließ und sich und ihre Kinder seitdem selbst finanzieren muss. Aus diesem Grund floh die Familie im Sommer 2018 nach Deutschland. In der Hoffnung, dass Deniz dort in eine Sonderschule kommt und die Mutter arbeiten gehen kann.

    Zuerst wurde Yükselen mit ihren Kindern in einer Sammelunterkunft in Heretsried untergebracht. Dort lernte die ehrenamtliche Flüchtlingshelferin Marlies Bernhard die Türkin kennen. „Frau Yükselen war von Anfang an sehr bemüht, Deutsch zu lernen und sich in die Gemeinde zu integrieren. Sie ist sehr kontaktfreudig und ist gleich auf Leute im Dorf zugegangen“, berichtet Bernhard. Bereits nach kurzer Zeit habe Yükselen ehrenamtlich in der Nachbarschaftshilfe, etwa bei der Gartenarbeit, mitgewirkt. Auch in dem Bürgerbrief an die Härtefallkommission wird mehrfach betont, dass Yükselen „nichts geschenkt will“ und „überaus fleißig und tüchtig“ ist. Das wird auch bei einem persönlichen Treffen mit der Familie deutlich. „Ich verstehe, dass Deutschland keine Ausländer möchte, die nur rumsitzen und dafür Sozialhilfe bekommen. Ich möchte unbedingt arbeiten, aber ich bekomme keine Erlaubnis“, sagt die 46-Jährige. 

    Die türkische Heimat wurde durch das Erdbeben im Februar zerstört

    Das geht auch ihrem älteren Sohn Serkan so. Der 18-Jährige hat die Mittelschule abgeschlossen, besuchte in Neusäß eine Berufsintegrationsklasse und hat sich direkt nach seinem Abschluss um einen Ausbildungsplatz gekümmert. Den hat er auch bei einem Discounter in Welden bekommen. Doch auch Serkan fehlt die Arbeitserlaubnis. Weil Mutter Yükselen nicht tatenlos herumsitzen möchte, hilft sie derzeit ehrenamtlich täglich zwei Stunden bei der Mittagsbetreuung in der Grundschule Emersacker aus. In dieser Gemeinde lebt die Familie seit 2019 ebenfalls in einer Sammelunterkunft. Privatssphäre gibt es dort nicht wirklich: Die Mutter und ihre beiden Söhne schlafen in einem Zimmer, Küche und Bad teilen sie sich mit drei anderen Familien. Im Vergleich zur Lage in der Türkei sei das allerdings Luxus. „Ich habe keine Heimat mehr. Meine Stadt wurde durch das Erdbeben im Februar zerstört. Immer noch leben die Menschen in Zelten. Wo soll ich also hin?“, fragt Yükselen verzweifelt.

    Meyem Yükselen zählt die Unterschriften: Über 80 Personen haben bereits unterzeichnet.
    Meyem Yükselen zählt die Unterschriften: Über 80 Personen haben bereits unterzeichnet. Foto: Paula Binz

    Die Türkin weiß, dass in Deutschland einer von vier Gründen gegeben sein muss, um Asyl zu bekommen. Als die beiden Asylanträge abgelehnt wurden, war der Grund „Naturkatastrophen“ noch nicht erfüllt, erzählt sie. Doch ein dritter Antrag ist nun - besonders aufgrund der drängenden Zeit – nicht mehr möglich. Die einzige Möglichkeit bleibt daher die Prüfung durch die Härtefallkommission. Yükselen greift nach den Blättern mit den hastig geschriebenen Unterschriften und beginnt zu zählen: Innerhalb weniger Tage haben über 80 Bürgerinnen und Bürger unterzeichnet. Eine zweite Sammlung ist noch im Umlauf. Die Unterschriften sollen, gemeinsam mit dem Schreiben, baldmöglichst an die Härtefallkommission gesendet werden - damit Yükselen mit ihren Söhnen doch im Augsburger Land bleiben kann. 

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