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High-Tech: Aus dem neuen Gablinger Gefängnis soll niemand flüchten

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Aus dem neuen Gablinger Gefängnis soll niemand flüchten

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    Hinter der Gefängnismauer sind die Arbeiter von 14 Firmen am Werk. Sie treiben das 100-Millionen-Euro-Projekt planmäßig voran. Mitte 2015 sollen dort die ersten Häftlinge einziehen.
    Hinter der Gefängnismauer sind die Arbeiter von 14 Firmen am Werk. Sie treiben das 100-Millionen-Euro-Projekt planmäßig voran. Mitte 2015 sollen dort die ersten Häftlinge einziehen. Foto: Markus Merk

    An den Mann selbst erinnert sie sich nur vage. Was er getan hat, weiß sie aber ganz genau. Im Laufe nur einer Augustnacht des Jahres 2001 durchbricht der damals 25-jährige Rumäne die 70 Zentimeter starke Wand seiner Zelle im ersten Stock, zwängt sich durch das Loch, klettert in den Hof und von da über die Dachrinne eines anderen Gebäudes in die Freiheit. Zurück bleiben in der Justizvollzugsanstalt Niederschönenfeld (Kreis Donau-Ries) ein Abschiedsbrief für die verdutzten Bewacher und eine reichlich angesäuerte Gefängnischefin, die damals erst seit wenigen Monaten im Amt ist. „So ein Ausbruch stinkt einem gewaltig“, sagt Zoraida Maldonado de Landauer heute noch.

    Doch Erfahrungen wie diese sind wertvoll für die 50-jährige Juristin, die mittlerweile seit etlichen Jahren Leiterin der Gefängnisse in Augsburg ist. Unter ihrer Regie entsteht derzeit vor den Toren der Stadt die neue Justizvollzugsanstalt bei Gablingen. Über 600 Gefangene sollen dort im Sommer 2015 einziehen, gut 100 Millionen Euro kostet das Vorhaben, dessen Größe in etwa dem Bau von 250 Einfamilienhäusern entspricht. Maldonado de Landauer spricht von einer „tollen Aufgabe“. Und: „Das will ich auch richtig machen.“

    Der älteste Knast in Bayern ist fast 300 Jahre alt

    36 Justizvollzugsanstalten nennt der Freistaat Bayern sein Eigen und darunter sind echte Antiquitäten. Der älteste Knast ist die 1724 erbaute JVA St. Georgen in Bayreuth. Andere Gefängnisse wie das im fränkischen Ebrach oder Kaisheim und Niederschönenfeld in Nordschwaben befinden sich in ehemaligen Klöstern, die im Laufe der Jahrhunderte x-fach umgebaut wurden. In den Gemäuern können sich immer wieder Sicherheitslücken auftun, durch die findige Häftlinge entschlüpfen, sagt Maldonado de Landauer: „Das ist in den alten Gefängnissen ein großes Problem.“

    Gefängnisse in Bayern

    In Bayerns 36 Justizvollzugsanstalten saßen am 31. März 2013 exakt 12 033 Gefangene.

    Zehn Jahre zuvor lag diese Zahl bei 12 412.

    Bewacht werden sie von über 5400 Justizbeamten.

    Im Jahr 2012 gab der Freistaat für seine Gefängnisse 369 Millionen Euro aus.

    Die Einnahmen lagen bei 48,1 Millionen.

    Das älteste bayerische Gefängnis steht in Bayreuth, das modernste in Landshut.

    Das kleinste in Erlangen, das größte in München.

    Die Zahl der jährlichen Ausbruchsversuche aus dem gesicherten Bereich einer Justizvollzugsanstalt liegt im unteren einstelligen Bereich (meist ein oder zwei).

    Auch gelungene Ausbrüche sind sehr selten, so waren 2009 zwei, 2010 drei und 2011 wiederum zwei Ausbrüche zu verzeichnen.

    Im vergangenen Jahr gelang es keinem Gefangenen, aus dem geschlossenen Bereich einer Anstalt zu entkommen. (cf) Quelle: Justizministerium Bayern

    In Gablingen soll es das nicht geben. Vom Reißbrett weg entsteht dort die neue Justizvollzugsanstalt Augsburg mit über 600 Haftplätzen. Die Gefangenen werden meist in neun Quadratmeter großen Einzelzellen untergebracht sein, deren Gitter und Fenster in anderen bayerischen Gefängnissen hergestellt werden. Um den Gebäudekomplex herum, der sich derzeit im Bau befindet, wurde bereits eine sechs Meter hohe Mauer gezogen. Sie wird künftig die letzte Barriere zwischen Gefängnis und Außenwelt darstellen. Vor ihr wird es zwei Zäune geben und natürlich die Mauern der Zellentrakte.

    In die Steine wurde Splitt eingelassen, um sie härter zu machen. Angeordnet sind die Zellentrakte ypsilonförmig. Wenn Häftlinge dereinst aus dem vergitterten Fenster schauen, können sie in keine andere Zelle blicken. Das ist nur eines von vielen Details, die sich die Erbauer des Gablinger Gefängnisses ausgedacht haben. Entworfen wurde es von Architekten aus Düsseldorf, vonseiten des Freistaats wird das Projekt vom Staatlichen Bauamt aus Augsburg betreut.

    In Sachen Funktionsweise und Sicherheit habe aber die Gefängnisverwaltung ein gewichtiges Wörtchen mitzureden, erzählt Maldonado de Landauer.

    In einem Ordner sind die bekannten Schwachstellen in Gefängnissen gesammelt

    Für den Bau eines Gefängnisses gelte es eine ganze Flut von Vorschriften zu beachten, sagen Projektleiter Markus Wilmer und Baudirektor Gerhard Riepl vom Bauamt. Und Riepl erzählt von einem dicken Ordner, in dem die speziellen Erfahrungen aus den letzten Jahrzehnten bayerischen Gefängnisbaus zusammengefasst seien. Eine lautet: keine durchlässigen Öffnungen. „Überall, wo ein Kopf durchpasst, muss ein Gitter davor“, sagt die Gefängnisdirektorin. Deshalb ist beispielsweise der Bau der Großküche mit ihren Entlüftungsschächten ein besonders kniffliges Unterfangen.

    Lernen können die Erbauer des Gefängnisses auch aus Ausbrüchen. Die sind zwar selten – nach Angaben des Justizministeriums gelingen im Freistaat höchstens zwei oder drei pro Jahr, meist aber spektakulär: So sägte 2010 ein Gefangener in Traunstein die Gitterstäbe seiner Zelle durch, ehe er sich im wahrsten Sinne des Wortes aus dem dritten Stock abseilte und auf Nimmerwiedersehen verschwand. In Nürnberg entdeckten Häftlinge eine Holzdecke in einer Toilette und nutzten das zur Flucht, im oberbayerischen Neuburg verbarg sich ein wegen Drogendelikten Verurteilter unter einem Haufen Unrat und passierte im Mülllaster das Gefängnistor.

    Die meisten Ausbrüche und Versuche werden laut Justizministerium ganz klassisch unternommen: Die Häftlinge suchen nach Schwachstellen in Fenster oder Wand, durch die sie in die Freiheit kraxeln können. Die Bewacher versuchen das mit vielen Kontrollen zu verhindern. So sollen die Gitterstäbe täglich überprüft werden, sind Poster an Wänden verboten. Dahinter könnte sich ja ein Loch verbergen.

    Moderne Technik soll Ausbrüche verhindern

    Daneben setzt die Justiz auf moderne Technik. Das neue Gefängnis in Gablingen etwa verzichtet auf Wachtürme. Um die zu bemannen, würde zu viel Personal benötigt, erklärt die Chefin Maldonado de Landauer. Überwachungskameras seien viel effektiver. Auf einer Messe für Sicherheitstechnik stießen ihre Mitarbeiter auf eine ganz besondere Technologie. Ein Handvenenscanner kommt an der Einlasskontrolle der Baustelle zum Einsatz, die schon jetzt von Justizbeamten rund um die Uhr bewacht wird.

    Das Gerät stellt fest, wie die Venen unter der Hautoberfläche verlaufen, und gleicht das Muster mit einer Datenbank ab. Dieses biometrische Verfahren gilt als noch genauer und manipulationssicherer als der Abgleich von Fingerabdrücken. Die Position der Venen bleibt zeitlebens unverändert und ist bei jedem Menschen unterschiedlich. Für den Einsatz auf einer Baustelle, wo die harte Arbeit tiefe Spuren in die Hände gräbt, sei das Gerät deutlich besser geeignet als der elektronische Abgleich von Fingerabdrücken, sagt Maldonado de Landauer. „Viele Bauarbeiter haben keine Fingerabdrücke mehr. Denken Sie nur an die Eisenflechter.“

    Die Leitende Regierungsdirektorin, eine Augsburgerin, deren Vater aus Puerto Rico stammt und deren Ehemann Peter Landauer heute das Gefängnis in Niederschönenfeld leitet, tut seit 1989 im bayerischen Justizvollzug Dienst. Das Projekt „Gefängnis Gablingen“ begleitet sie fast genauso lang. Mitte der 1990er Jahre verhandelte die Juristin mit dem Gablinger Gemeinderat über den Kauf des über sechs Hektar großen Grundstücks. 2004 kam sie als Gefängnischefin nach Augsburg, um den Neubau hochzuziehen.

    Das neue Gefängnis liegt direkt neben dem Augsburger Elefantenkäfig

    Weil der Freistaat lange kein Geld übrig hatte, verzögerte sich das Vorhaben. Im Frühjahr 2011 gab Justizministerin Beate Merk, die am Freitag wieder auf der Baustelle vorbeischauen will, den Startschuss für die Bauarbeiten. Das war 18 Jahre, nachdem der Neubau beschlossen worden war. Seitdem aber geht es flott voran.

    Selbst der lange Winter behinderte die rund 100 Arbeiter nur unwesentlich. Das Großprojekt liegt im Zeitplan, heuer sollen die Rohbauten im Wesentlichen abgeschlossen werden – schon jetzt sind die Konturen der meisten Gebäude aus der Luft gut zu erkennen, die hinter der 950 Meter langen Mauer liegen. Diese war aus Sicherheitsgründen zuerst gebaut worden.

    Nicht nur aus diesem Grunde ist die Großbaustelle im Norden von Augsburg einmalig. Sie liegt nämlich neben einem geheimnisumwitterten Areal. Auf dem nahen früheren Flugplatz haben US-Truppen den sogenannten Elefantenkäfig hinterlassen. Die kreisförmige Antennenanlage mit einem Durchmesser von über 300 Metern und bis zu 40 Meter hohen Antennengittern wird mittlerweile angeblich vom Bundesnachrichtendienst benutzt. Eine offizielle Bestätigung dafür gibt es natürlich nicht. Doch der Anlage wegen darf beim Bau des benachbarten Gefängnisses nur eine begrenze Zahl von Kränen eingesetzt werden. Auch eine Schlosserei darf die neue JVA in ihren Werkstätten nicht betreiben. Das könnte den Empfang der großen Lauschvorrichtung stören.

    Unter den Häftlingen gibt es begabte Handwerker, die sogar aus Zahnbürsten Nachschlüssel machen, die Gefängnistüren aufschließen. Alles schon vorgekommen, erzählt Zoraida Maldonado de Landauer. Nur eines wird ihr in Gablingen nicht mehr unterkommen, da ist sie sicher.

    Dass ein Häftling, so wie im August 2001 in Niederschönenfeld, einen ganzen Mauerstein aus der Wand bricht und schon ein Loch vorfindet, durch das er entschlüpfen kann. In Gablingen nehmen sie jetzt nämlich kleinere Steine.

    Unsere Video-Serie "Im Knast – Hinter den Mauern der JVA Gablingen" führt exklusiv hinter die Kulissen von Bayerns modernstem Gefängnis. Die dreiteilige Gefängnis-Doku sehen Sie kostenlos auf YouTube – oder hier auf unserer Internetseite:

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