Das dicke Ende kommt zum Schluss. Andreas Kratzer aus Gablingen musste erfahren, dass dieser Spruch bittere Wahrheit werden kann. Das Hochwasser hatte Anfang Juni das landwirtschaftliche Anwesen mit dem Hofladen geflutet. Es entstanden immense Schäden, darunter auch welche, die auf den ersten Blick nicht sichtbar waren, jetzt aber weitreichende Folgen für den Betrieb nach sich ziehen. Der Boden unter dem Laden und dem Gebäudeteil mit der Nudelproduktion ist nass, alles muss saniert werden. Für die Familie Kratzer stellt sich die Frage, wie es bei einer solch tiefgreifenden Baustelle mit dem Geschäft weitergehen soll.
Erst einmal ein Blick zurück auf die Hochwasser-Katastrophe, die das Augsburger Land im Frühsommer heimsuchte: Die Schmutter trat in Gablingen über die Ufer und hat rund 20 Anwesen am Ortseingang geflutet. Andreas und Sandra Kratzer waren mit ihren beiden Kindern aus dem Urlaub zurückgekehrt, als die ersten Hochwasserwarnungen bekannt wurden. Die Familie ging davon aus, dass so wie im Jahr 2005 die Keller volllaufen würden. Zusammen mit vielen Helfern räumten die Kratzers die Keller aus. Die Waren und Utensilien wurden auf Paletten erhöht abgestellt. Kratzer: „Wir dachten, das kennen wir ja schon, doch es kam viel schlimmer.“ Am frühen Abend schoss das Wasser heran und flutete den Hof. Noch in letzter Minute konnten 15 Pferde von Stall und Koppel geführt und mit Transportern nach Dachau in einen Unterstand gebracht werden. Kratzer erinnert sich mit Schaudern an diese Hektik und Not: „Man will sich gar nicht vorstellen, was sonst mit den Tieren passiert wäre.“ Man funktioniere in so einer Situation nur noch. Schon kurze Zeit nach der Rettung der Pferde forderte die Feuerwehr die Familie auf, ihr Zuhause zu verlassen.
Hochwasser-Katastrophe trifft Familie Kratzer in Gablingen hart
Am nächsten Tag offenbarten sich den Kratzers die Folgen des Hochwassers. Die Eier-Verkaufshütte am Eingang des Grundstücks war zerstört, der Boden im Außenbereich des Bauernhofs fast einen Meter tief weggespült. Kratzer: „Es sah aus wie nach einem Bombenangriff.“ Überwältigt waren die Kratzers von der Hilfsbereitschaft, rund 50 Leute kamen vorbei und räumten mit auf. Einige von ihnen waren der Familie gar nicht bekannt. Die Versicherung schätzte den Schaden am Anwesen auf über eine Million Euro. Kratzer ist heilfroh, dass er und seine Frau vor gut einem Jahr alle Versicherungen überarbeitet hatten. „Da hatten wir Riesenglück.“ So standen die Kratzers zumindest nicht vor einem wirtschaftlichen Totalschaden. Doch das Wasser hatte viel Arbeit kaputt gemacht. Kratzer: „Wir haben seit 20 Jahren an dem Hof gebaut und es war alles ein Schmuckstück. Jetzt geht es wieder weiter.“
Denn es gab viel zu erneuern: Nicht nur auf dem erst 2019 neu gemachten Hofgrundstück musste der Boden aufgefüllt und geschottert werden. Auch die Außenanlagen des Pferdestalls mit dem Rundgang für die Tiere waren zerstört. Das Gröbste schien geschafft, da verkündete die Versicherung eine Hiobsbotschaft: Unter die Fußbodenheizung im Laden und im Produktionsbetrieb war Wasser hineingelaufen, die Pressspanplatte ist durchnässt.
Gemeinschaftlicher Einsatz: Gablingen steht Familie Kratzer bei
Einen Zustand, den man wegen der Schimmelgefahr und mit Blick auf die Substanz der Gebäude nicht auf Dauer hinnehmen könne, weiß auch Kratzer. Das Problem: Um zu sanieren, müsste er ungefähr ein halbes Jahr lang den Laden und die Nudelproduktion schließen. Neben dem Ausfall der Einnahmen sei auch die Abwanderung von Kundinnen und Kunden zu befürchten.
Kratzer und seine Frau schmieden daher einen Plan B: den Bau einer neuen Produktionshalle auf dem Hof. Eigentlich sollte dieses Projekt erst in Angriff genommen werden, wenn eines der Kinder erwachsen ist und klar sei, dass der Betrieb in Familienhand bleibe. Möglicherweise werden die Kratzers diese große Investition für eine Halle vorziehen, eine Entscheidung ist noch nicht gefallen. Da die Produktion der Nudeln in beengten Verhältnissen stattfindet, würde auch dies für einen Neubau sprechen. Der Laden könnte während der Sanierung des Bodens provisorisch in einem Container unterkommen.
Die Kratzers spezialisieren sich seit längerer Zeit immer mehr auf die Nudelproduktion. Bei der Vermarktung von Eiern haben sie bereits im Mai einige Kunden an einen Freund abgetreten. Auf dem Kratzer-Hof leben 2500 Hühner, die fleißig Eier legen. Es kam im August zu der kuriosen Situation, dass es zu viele Eier gab. Auch das hat mit einer Folge des Hochwassers zu tun. Ein Nachbar, der vor der Flut rund ein Drittel der Eier für seine Spätzleproduktion abgenommen hatte, kann den Betrieb nicht mehr aufnehmen. „Ich dachte mir, was soll ich denn jetzt mit den ganzen Eiern machen?“, erinnert sich Kratzer an den Ursprung eines „Hilferufs“ in den sozialen Medien. Der Landwirt postete auf Facebook vom Eier-Überfluss und einem Angebot. 30 Eier seien für sechs Euro statt für 7,80 Euro im Hofladen zu kaufen. Was dann folgte, hatte sich Kratzer nicht in seinen kühnsten Träumen vorstellen können. Die Reaktion auf den Post war so groß, der Laden wurde regelrecht „gestürmt“. 15.000 Eier waren innerhalb von zwei Tagen ausverkauft. Nach seinem Eindruck ging es den Kundinnen und Kunden primär nicht um die Ersparnis von 1,80 Euro, sondern wieder einmal um die Hilfsbereitschaft.
Damit die Zahl der Eier geringer wird, will Kratzer auf längere Sicht die Zahl der Hühner in Bodenhaltung reduzieren. Generell sei es außerdem so, dass der Umsatz bei Eiern nach der Flaute im Sommer in Richtung Winter wieder ansteige, wenn wieder mehr gebacken werde. Rund 700 Kilogramm Nudeln werden täglich im Betrieb in Gablingen produziert – der große Teil im Auftrag für andere Betreiber von Hühnerställen und mit den von dort angelieferten Eiern. Sollte die neue Halle auf dem Gelände gebaut werden, möchte Kratzer das Nudelgeschäft nicht weiter ausbauen. „Ich bin zufrieden, wenn ich das so halten kann.“ Auf die Frage, wie es ihm gehe nach dem verheerenden Hochwasser und den bis heute reichenden Folgen, sagt Kratzer: „Ich bin niemand, der wegen so etwas weinend in der Ecke sitzt, ich packe es an, denn es geht immer irgendwie weiter.“
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