"Tick tack, deine Zeit läuft ab." Diese Floskel soll der 62-jährige Mann aus Dinkelscherben immer wieder verwendet haben, um eine junge Sexarbeiterin zu erpressen. In Textnachrichten soll er gedroht haben, einen Bekannten von ihr umzubringen. Am Ende würden nur noch "Fleischfetzen" von ihm übrig bleiben. Dass diese Nachrichten verschickt wurden, ist klar. Doch wer hat sie geschrieben? Der Fall ist verzwickt und geht über Dinkelscherben hinaus. Am Ende bleiben viele Fragen offen – auch, wenn das Gerichtsurteil klar ausfällt.
Der Angeklagte soll im November 2022 von seiner Wohnadresse aus mehrere E-Mails an die Geschädigte, eine 25-jährige Sexarbeiterin, geschickt haben. Zuvor hatte der 62-Jährige ein Jahr lang im Rahmen ihres Escortservice eine Geschäftsbeziehung mit ihr. Die beiden trafen sich zwei bis drei Mal im Monat, insgesamt etwa 40 Mal. Pro Treffen zahlte der Angeklagte 400 Euro in bar. Laut dem Dinkelscherber ging es irgendwann um mehr, als nur um Sex. "Wir haben oft auf der Terrasse geredet oder haben Aktivitäten unternommen, wie Paar-Massagen", sagt der Angeklagte.
Nebenklägerin meldet sich am Prozesstag krank
Für ihn ist es nicht der erste Prozess in Verbindung mit der Nebenklägerin. Laut seines Verteidigers wurden 15 Verfahren in ganz Bayern vonseiten der Nebenklägerin gegen seinen Mandanten losgetreten. Die meisten davon wurden inzwischen eingestellt. "Er hat keine dieser Taten begangen. Die E-Mails, um die es heute geht, hat er nie verfasst", so der Verteidiger. Die besagten Nachrichten haben es in sich. Darin heißt es unter anderem "Dem Junkie wird es schon bald an den Kragen gehen" und er "bekommt ein Loch zwischen die Augen". Gemeint ist damit ein Bekannter der 25-jährigen Nebenklägerin. 30.000 Euro wurden in den Mails gefordert, ansonsten würde er ihn erschießen.
Die Nebenklägerin taucht nicht beim Prozess auf. Sie legte ein Attest vor, das laut Richterin Beate Christ jedoch nicht ausreiche, um entschuldigt zu sein. Der Verteidiger sowie die Staatsanwaltschaft verzichten jedoch in der Beweisaufnahme auf eine Vernehmung der 25-Jährigen. Als einziger Zeuge tritt somit ein Polizeibeamter auf, der in dem Fall ermittelte. Er schildert vor Gericht detailreich, wie er die Spur der Mails und anderer Delikte aus dem Personenkreis verfolgte. Denn neben Erpressung kam es in München, Bayreuth und Günzburg zu Vandalismus in Form von Schmierereien. "Alle Taten hatten immer einen Bezug zu der Nebenklägerin", stellt er fest. In den Graffitis wurde diese beleidigt und ihre Mailadresse angegeben.
Wohnung des Angeklagten in Dinkelscherben wurde durchsucht
Kompliziert wird es bei den Bedrohungen und Erpressungen per Mail. Einige wurden von der Mailadresse des Dinkelscherbers verschickt – jedoch gibt es keine Beweise dafür, dass er in dem Fall tatsächlich die Mails getippt und abgeschickt hat. Viele weitere Nachrichten wurden von einem verschlüsselten Schweizer E-Mail-Dienst verschickt und können daher nicht zurückverfolgt werden. Wie der Polizeibeamte erklärt, stimmten diese Nachrichten jedoch im Wortlaut teilweise eins zu eins mit den Nachrichten von der Adresse des Angeklagten überein. "Das lässt für mich den Schluss zu, dass er etwas damit zu tun hat", so der Zeuge.
Der Polizist erwirkte schließlich einen Durchsuchungsbeschluss für die Wohnung des Angeklagten. Doch auch dort konnte ihm nicht nachgewiesen werden, tatsächlich die Erpresser-Mails geschrieben zu haben. Sie waren nicht in seinem Mail-Ausgang. Auf einem Handy des Dinkelscherbers wurde eine ähnlich aggressive Nachricht an die Nebenklägerin gefunden. "Deine Zeit und die deines Zahlschweins rennt", heißt es laut dem Beamten darin. "Es gibt Indizien, die auf den Angeklagten hinweisen, aber keine Beweise", fasst er zusammen.
Am Ende des Prozesses am Amtsgericht Augsburg bleiben Fragen offen
Der Angeklagte reagiert aufgebracht auf die Angaben des Zeugen. "Ich wundere mich über ihre Aussagen", sagt der 62-Jährige. Als er erneut zu Wort kommt, bezeichnet er sich als technisch unbegabt und leichtsinnig. "Die Nebenklägerin hatte daheim alle meine Zugangsdaten", meint er. Er habe außerdem bemerkt, dass man sich hundert Meter von seiner Wohnung entfernt in seinem Netzwerk habe anmelden können.
Die Staatsanwaltschaft fordert einen Freispruch des Angeklagten. "Die Beweisaufnahme hat den Tatbestand nicht bestätigt", so die Staatsanwältin. Der Verteidiger schließt sich dem an. Richterin Beate Christ spricht den Dinkelscherber schließlich frei. Dieser hat am Ende nur ein Wort über den ganzen Fall zu sagen: "Traurig." Ganz ohne Zweifel scheint die Richterin trotz des Freispruchs nicht zu sein. "Es bleiben viele Fragen. Einige Indizien zeigen in Ihre Richtung. Ich bin nicht überzeugt, dass sie nichts damit zu tun haben", sagt sie. Die Beweislage reiche jedoch nicht für eine Verurteilung.