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Zusmarshausen: Zwei Männer aus Zusmarshausen schweißt ein Badeunfall am Gardasee zusammen

Zusmarshausen

Zwei Männer aus Zusmarshausen schweißt ein Badeunfall am Gardasee zusammen

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    Jürgen Winkler ist nach einem Kopfsprung in den Gardasee  querschnittsgelähmt. Sein Freund  Wolfgang Herkommer hat ihn damals aus dem Wasser gerettet.
    Jürgen Winkler ist nach einem Kopfsprung in den Gardasee querschnittsgelähmt. Sein Freund Wolfgang Herkommer hat ihn damals aus dem Wasser gerettet. Foto: Marcus Merk

    Springe nie in unbekannte Gewässer - diese Baderegel hat jedes Wasserwachtmitglied im Hinterkopf. Auch Jürgen Winkler, der an Pfingsten vor 18 Jahren mit der Zusmarshauser Wasserwacht auf einem Campingplatz in Manerba am Gardasee im Zeltlager weilte. Dort passierte es: Seit einem Sprung in den See, bei dem mit dem Kopf unglücklich auf den Boden aufgeschlagen war, ist der 38-Jährige querschnittsgelähmt und sitzt im Rollstuhl. Mit seinem Lebensretter ist er bis heute befreundet.

    "Es war kein unbekanntes Gewässer", sagt er noch heute, "ich bin zuvor schon hundert-mal von diesem Steg ins Wasser gesprungen. Ich habe genau gewusst, wie tief es dort ist." Was war dann anders an diesem Pfingstsonntag 2003? "Ich weiß es nicht. Vielleicht weniger Wasser als normal, weil es ein sehr trockener Sommer war? Vielleicht bin ich gestolpert und dadurch ist der Winkel ist zu steil geworden? Man kann niemand einen Vorwurf machen." Ganz im Gegenteil: Dass Jürgen Winkler überhaupt noch am Leben ist, verdankt er seinem Freund Wolfgang Herkommer, der ihn aus dem Wasser gerettet hat. "Ihm verdanke ich, dass ich heuer im Rollstuhl volljährig werde", sagt er ohne Groll und Verbitterung. Am 7. Juni jährt sich der Unfall zum 18. Mal.

    In seiner Heimatgemeinde an der Autobahn war Jürgen Winkler schon vor seinem Unfall bekannt wie ein bunter Hund. Als Kämpfer im Fußballtrikot, bei der Feuerwehr, beim Technisches Hilfswerk und bei der Wasserwacht. Als deren Station am Rothsee nach einem Brand neu aufgebaut werden musste, hat der gelernte Schreiner vom Rohbau bis zu den Holzdecken tatkräftig mitgeholfen. Die Möbel im Sanitätsraum, die heute noch ihren Dienst verrichten, wurden von ihm gebaut.

    Freunde haben sich bei der Wasserwacht Zusmarshausen kennengelernt

    Bei der Wasserwacht hat Winkler auch den acht Jahre älteren Wolfgang Herkommer kennengelernt. "Er ist der Bruder einer meiner besten Freunde", erzählt er. Deshalb sei er im Hause Herkommen ein- und ausgegangen. "Wenn Thomas nicht da war, hat man halt die Zeit mit einem anderen Familienmitglied verbracht. Unter anderem mit Wolfgang", lacht der 38-Jährige. Um zusammen auf Party zu gehen, sei der Altersunterschied damals zu groß gewesen. "Auf Augenhöhe sind wir uns erst bei der Wasserwacht begegnet. Da gab es den Altersunterschied nicht wirklich, weil wir ja gemeinsam Dienst und Ausbildung gemacht haben."

    Jürgen Winkler war aber auch der Pechvogel der Wasserwachtgruppe. "Mir ist jedes Jahr etwas anders passiert", lacht er. Einmal hat er sich den Arm gebrochen, dann war er mit dem Fuß in einen Metallhering getreten. "Doch diesmal war es mehr als sonst", hatte er nach dem verhängnisvollen Sprung sofort registriert, als er bewegungsunfähig mit dem Gesicht nach unten im Wasser trieb und zu ertrinken drohte.

    "Bitte Wolfi, dreh um! Wenn du jetzt nicht gleich kommst, dann gluckere ich ab." Das war der erste Gedanke, der ihm durch den Kopf schoss. Sein Freund Wolfgang Herkommer war nur Sekunden vorher von dem gleichen Steg aus in die Fluten gehechtet. Die beiden hatten noch schnell einen Ball geholt und wollten dem Rest der Zusmarshauser Wasserwachtgruppe hinterher schwimmen. Eine kleine Insel war das Ziel.

    Bei der Rettung war Herkommer völlig auf sich alleine gestellt

    "Wo bleibt er denn? Warum überholt er mich nicht? Taucht er bis zur Insel durch?", kam auch Wolfgang Herkommer die Situation seltsam vor. "Jürgen war ein guter Schwimmer, voll trainiert, bestens im Saft." Er blickte sich um. "Da habe ich sofort gemerkt, dass etwas nicht in Ordnung ist." Herkommer schwamm zurück, dreht seinen Freund auf den Rücken, sodass er wieder atmen konnte. Dann zog er ihn an Land und leitet die Rettungsmaßnahmen ein. "Zum Glück habe ich bei der Wasserwacht gelernt, wie man jemand aus dem Wasser bringt und hatte die internationale Notrufnummer im Kopf." Obwohl der Steg voller Menschen war, sah sich Herkommer bei der Erstversorgung völlig auf sich allein gestellt. Als Jürgen Winkler sagte, dass er seine Füße nicht mehr spürt, beschlich ihn ein schlimmer Verdacht: Querschnittslähmung. Er sollte sich später bestätigen.

    Seinen Lebensretter hat Jürgen Winkler schon vor vielen Jahren für eine öffentliche Auszeichnung des Regierungspräsidenten vorgeschlagen. "Der Unfall hat nicht nur beide Familien erschüttert, sondern ganz Zusmarshausen", sagt der damalige Bürgermeister Albert Lettinger. Für Wolfgang Herkommer war keine Ehrung erforderlich. "Dass ich Jürgen geholfen habe, war doch selbstverständlich. Das hätte jeder gemacht." Obwohl die Rettungskette in Italien anders funktioniert und es Verständigungsschwierigkeiten gegeben hatte, klappte alles wie am Schnürchen. "Der Strand war vom Ufer aus nur zu Fuß erreichbar. Wie sollte ich also erklären, wo die Unfallstelle liegt, wenn ich den genauen Ort gar nicht richtig beschreiben konnte?"

    Rettungshubschrauber landet im Gardasee

    Es sei ein Glück gewesen, dass die Leitstelle gleich einen Rettungshubschrauber geschickt hatte. "Ein Krankenwagen hätte uns nie erreicht." Zur Landung musste der Pilot, der vom See aus die Unfallstelle an einer Steilküste fand, ein riskantes Manöver wagen. "Die Rotorblätter waren vielleicht noch einen halben Meter vom Felsen entfernt, der Hubschrauber stand nach der Landung zur Hälfte im Wasser", ist Wolfgang Herkommer noch immer von den fliegerischen Künsten des Piloten beeindruckt.

    Der Schwerverletzte wurde ins Krankenhaus nach Brescia geflogen, wo sich die schreckliche Diagnose bestätigte: Der sechste Halswirbel war zertrümmert. Doch Jürgen Winkler kämpfte sich ins Leben zurück. Nach sechseinhalb Monaten im Krankenhaus wurde er kurz nach Entlassung zum 3. Vorsitzenden des TSV Zusmarshausen gewählt. Auch sportlich passte er sich der Situation an, absolvierte mit dem Handbike spektakuläre Touren und feierte etliche Meistertitel. Beim

    Man sieht, wie zerbrechlich manche Dinge sind

    Konträr dazu verlief das weitere Leben von Wolfgang Herkommen: "Klassisch mit Familiengründung und Hausbau", sagt der Vater von drei Kindern (14, 11 und 6), der im Außendienst arbeitet. Seit dem Unfall hat er einen anderen Blickwinkel: "Man sieht, wie zerbrechlich manche Dinge sind." Jürgen Winkler, der natürlich auch Gast auf Herkommers Hochzeit war, hätte seinem Freund beim Hausbau gerne geholfen. "Da ich aber nichts machen konnte, fühlte ich mich da unwohl und bin denn meistens fern geblieben. Ich habe überhaupt kein Problem mit meinem Rollstuhldasein. Aber mal wieder etwas Handwerkliches arbeiten, das wäre schon cool." Aber Schicksalsschläge seinen dazu da, um sie zu meistern und das Beste daraus zu machen, sagt Jürgen Winkler: "Ich kann alleine wohnen und mich versorgen. Mein Leben im Rollstuhl ist trotzdem erfüllt und lebenswert. Und das habe ich meinem Retter zu verdanken."

    Hier finden Sie alle Teile unserer Serie "Lebensretter".

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