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Zusmarshausen: Was eine geklöppelte Tischdecke über ihre Herkunft erzählt

Zusmarshausen

Was eine geklöppelte Tischdecke über ihre Herkunft erzählt

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    Luise Wölzemüller aus Vallried zeigt die Decke, die ihre Oma aus dem Erzgebirge geklöppelt hat.
    Luise Wölzemüller aus Vallried zeigt die Decke, die ihre Oma aus dem Erzgebirge geklöppelt hat. Foto: Marcus Merk

    Gelebt hat sie in der alten Heimat nie. Und doch sagt Luise Wölzemüller aus dem Zusmarshauser Ortsteil Vallried, dass sie das Gefühl der Vertreibung von ihrer Familie irgendwie geerbt hätte. „Ich bin 1947 geboren und habe das Ganze von meinen Großeltern gehört und erlebt. Im selben Jahr wurden sie vertrieben“, erzählt sie. „Meine Großeltern kamen aus dem Erzgebirge und wurden zwangsausgesiedelt aus Bergstadt-Platten. Auch meine Mutter und mein Onkel wurden hier her verfrachtet. 50 Kilo Gepäck in einer Truhe mit Handgriffen konnten sie mitnehmen. Diese Truhe existiert noch in meinem Haus, auch ein altes Sparbuch. Meine Oma hat eine von ihr geklöppelte, wunderbare Tischdecke mitgenommen, außerdem viele Klöppeldeckchen, an denen sie bestimmt hunderte von Stunden gearbeitet hatte. Sie klöppelte Handschuhe und verdiente sich so im

    Luise Wölzemüller sieht einen großen Bedeutungsunterschied zwischen „Flüchtlingen“ und „Vertriebenen“. Ihrer Meinung nach habe ein Flüchtling es noch eher selbst in der Hand, ob er geht oder nicht. Aber ein Ausgewiesener habe keinerlei Alternative. Die geklöppelte Tischdecke, die Luise Wölzemüllers Oma zuerst ihrer Mutter und diese dann ihr vererbt hat, das ist für sie eine fassbare Erinnerung an die Geschichte ihrer Familie. Anderes weiß sie nur aus Erzählungen:

    „Von meinem Opa weiß ich, dass er Eschenholzskier hatte, da man sich im Erzgebirge im Winter nur mit Skiern fortbewegen konnte. Damals waren Skier etwas Kostbares, weil handgefertigt. Diese zerhackte er, als sie gingen, damit die Tschechen sie nicht bekommen konnten. In die Truhe passten sie nicht.“ Und dann gibt es noch jenen Teil der Erinnerungen, der weder fassbar ist, noch mit Worten weitergegeben wurde. Es geht um das Unausgesprochene. Luise Wölzemüller kennt dieses Phänomen nicht allein aus ihrer Familie, sondern auch von anderen. Direkt gesprochen wurde über die Zeit der Vertreibung kaum, selbst über die Gegenstände, die heute in ihrem Besitz sind, erfuhr sie vieles eher beiläufig. „Der Krieg hat so vieles zerstört, was dann allmählich auf mich überging“, beschreibt sie dieses Gefühl rückblickend. „Was müssen diese Menschen mitgemacht haben, dass sie all das hinter einer Mauer des Schweigens verborgen und schließlich mit ins Grab genommen haben?“ So weiß sie bis heute nicht, ob ihr leiblicher Vater tatsächlich in einem Uranbergwerk ums Leben kann. Nachforschungen über das Rote Kreuz und einen Vertriebenenverband liefen ins Leere.

    Dennoch folgten für Luise Wölzemüller glückliche Kinderjahre in Zusmarshausen, wohin die Familie gezogen war. Ihre Mutter heiratete einen Mann, der aus Polen vertrieben worden war. „Also bekam in den Namen Saskowski. Da mein „Vater“ Kriegsversehrter war, war ich zu Hause nie allein. Wir machten Ausflüge in die Zusmarshauser Wälder und es waren fünf Jahre ohne Sorgen für mich.“

    Dann folgte ein Umzug nach Stadtbergen, in eine Pendlerwohnung. Das waren gut 50 Quadratmeter für fünf Personen, auch Oma und Opa waren dabei. In der Schule hörte sie, wie auch schon in Zusmarshausen ein Wort, mit dem sie lange nichts anfangen konnte: „Polackenziefern“. Erst Jahre später konnte sie das bayerische Dialektwort einordnen. Es sollte sie als widerliches Frauenzimmer aus Polen beschimpfen.

    Auch wenn das Kind Luise Saskowski das Wort nicht verstand, so doch das Gefühl dahinter. Viele Kontakte hatte sie zu ihren Mitschülern nicht. Erst als sie schließlich in Augsburg in die Schule ging, war ihr Name keine Bemerkung mehr wert. „Ich bin praktisch eine Heimatvertriebene, obwohl ich hier geboren bin“, fasst sie ihre Erfahrungen zusammen. „Und so schätze ich die Truhe und diese wunderbaren Klöppelarbeiten als ein besonderes Vermächtnis dieser Zeit und meiner Großmutter.“

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