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Sicherungsverwahrung: Vanessa-Prozess droht zu platzen

Sicherungsverwahrung

Vanessa-Prozess droht zu platzen

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    Weil es Zweifel an der Qualität eines Gutachtens gibt, droht der Prozess gegen Vanessas Mörder zu platzen.
    Weil es Zweifel an der Qualität eines Gutachtens gibt, droht der Prozess gegen Vanessas Mörder zu platzen. Foto: Marcus Merk

    Es geht um das Prognose-Gutachten des Würzburger Psychiaters Pantelis Adorf, der seit Jahren am Landgericht Augsburg als Sachverständiger tätig ist. Adorf sprach sich am Dienstag für eine Sicherungsverwahrung aus, weil Michael W. hochgefährlich und psychisch gestört sei. Nach Informationen unserer Redaktion gibt es jedoch bei allen Verfahrensbeteiligten erhebliche Zweifel an der Qualität seiner Expertise. Gericht und Staatsanwaltschaft halten sich mit Hinweis auf das laufende Verfahren zurück mit öffentlichen Bewertungen.

    Doch W.’s Verteidiger Adam Ahmed schimpfte bereits in der Verhandlung: „Dieses Gutachten ist ein Nichts. Das ist völlig untauglich.“ Die Mindeststandards für ein Prognose-Gutachten seien nicht ansatzweise erfüllt.

    Der Psychologe Helmut Kury, der sich als Gutachter für eine Freilassung W.’s unter strengen Auflagen ausgesprochen hatte, hält sich mit Kollegenschelte zurück, sagt aber ganz allgemein: „Wenn in einer so schwierigen Sache ein Gutachten nur 25 Seiten umfasst, kann man daran ablesen, dass eine Auseinandersetzung mit der Problematik nicht in ausführlicher Weise stattgefunden hat.“

    Der Mord an Vanessa aus Gersthofen

    Über eine Woche lang tappte die Polizei nach dem Mord an der zwölf Jahre alten Vanessa aus Gersthofen im Dunkeln. Auch aus den zahlreichen Hinweisen ergaben sich zunächst keine heißen Spuren für die Ermittler, bis überraschend der mutmaßliche Mörder, der 19-jährige Michael W., festgenommen wurde.

    12. Februar 2002: Die Eltern von Vanessa finden ihre Tochter blutüberströmt neben ihrem Bett. Spuren eines Einbruchs entdecken die Ermittler zunächst nicht. Die Polizei bildet sofort eine Sonderkommission.

    13. Februar: Die Beamten berichten über den Fund eines Messers, das wenig später mittels eines DNA-Tests als Tatwaffe identifiziert wird. Es handelt sich um ein Küchenmesser mit einer 16 Zentimeter langen und feststehenden Klinge.

    15. Februar: Trotz einer Reihe von Hinweisen aus der Bevölkerung haben die Fahnder keine heiße Spur. Rund 100 Personen aus dem Umfeld des ermordeten Mädchens werden von den Ermittlern befragt, um herauszufinden, mit wem Vanessa Kontakt hatte. Unklar bleibt lange, wie der Täter in das Haus gekommen ist. Es wird eine Belohnung von 35 000 Euro zur Aufklärung der Tat ausgeschrieben.

    19. Februar: Die Fahnder setzen auf die Erstellung eines Täterprofils, um den Mord an Vanessa aufzuklären. Zuvor hatten bereits 15 Bekannte und Verwandte Speichelproben abgegeben, um sich über DNA-Analyse als Täter auszuschließen.

    21. Februar: Die Polizei sucht nach zwei Hinweisen aus der Bevölkerung einen als „Maskenmann“ verkleideten Zeugen. Ermittelt wird ein 19-Jähriger aus Gersthofen. Im Verlauf der Vernehmungen verstrickt sich der Mann in Widersprüche und gesteht die Tat.

    22. Februar: Die Polizei gibt den Fahndungserfolg bekannt.

    5. Februar 2003: Die Jugendkammer des Augsburger Landgerichts verhängt zehn Jahre Haft gegen Michael W. Es ist die höchste Strafe, die nach dem Jugendrecht möglich ist.

    Mitte Februar 2012 ist Entlassungstermin für Michael W., die Staatsanwaltschaft will ihn nicht frei lassen. Zwei psychiatrische Gutachter kommen zum Schluss, dass der Täter in Sicherungsverwahrung sollte.

    Der Prozess zieht sich. Erst am 15. Oktober 2012 ist die Beweisaufnahme abgeschlossen. Ein Urteil fällt am 15. November: Michael W. kommt weiter in Sicherungsverwahrung.

    Adorfs Gutachten umfasst 25 Seiten. Der Sprecher des Landgerichts Augsburg, Karl-Heinz Haeusler, sagt: „Mit Adorfs Gutachten ist eine schwierige Verfahrenssituation eingetreten.“ Während offiziell Zurückhaltung geübt wird, redet man hinter vorgehaltener Hand Klartext: „Ein so schlechtes Gutachten habe ich noch nie gehört. Und das in so einem Verfahren“, sagt ein erfahrener Jurist.

    Die Jugendkammer des Landgerichts Augsburg steht vor einem massiven Problem. Sie hat das Adorf-Gutachten in Auftrag gegeben und wird sich nun mit der Frage befassen müssen, ob es überhaupt verwertbar ist. Kommen die Richter zu dem Ergebnis, dass die Qualität nicht ausreicht, müsste ein neuer Gutachter bestellt werden.

    Denn das Bundesverfassungsgericht hat festgelegt, dass für die Sicherungsverwahrung zwei Gutachter eine hochgradige Gefährlichkeit und eine psychische Störung attestieren müssen. In diesem Fall gibt es drei Gutachten: Helmut Kury spricht sich für Michael W.’s Entlassung aus. Pantelis Adorf und Ralph-Michael Schulte sind für Sicherungsverwahrung. Wenn Adorfs Gutachten nicht verwendet werden kann, hätte das Gericht keine ausreichende Entscheidungsgrundlage.

    Da aber vorgeschrieben ist, dass ein Sachverständiger weite Teile der Beweisaufnahme mitverfolgen muss, könnte es mit einem neuen Gutachter nur einen Neubeginn des Prozesses geben. Zwei Varianten kämen infrage: 1. Das Verfahren wird offiziell fortgesetzt, inhaltlich aber in weiten Teilen wiederholt. 2. Das Verfahren wird ausgesetzt und komplett neu begonnen.

    Gerade bei der zweiten Variante wäre es aber mehr als fraglich, ob Vanessas Mörder weiter in Haft bleiben müsste. Michael W. hat seine zehnjährige Jugendstrafe seit Mitte Februar verbüßt. Er befindet sich derzeit nur aufgrund eines einstweiligen Unterbringungsbefehls hinter Gittern.

    Die Jugendkammer hat auf Antrag des Verteidigers Ahmed die Anhörung Adorfs unterbrochen. Zunächst soll Gutachter Schulte zu Wort kommen, dann nochmals Adorf, erklärt der Vorsitzende Lenart Hoesch. Dann wird die Kammer entscheiden, wie es weitergeht.

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