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Reitenbuch: Missbrauch im Kinderheim: Gab es ein „System Reitenbuch“?

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Missbrauch im Kinderheim: Gab es ein „System Reitenbuch“?

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    Jahrelang ist ein Bub im Kinderheim in Reitenbuch missbraucht worden. Das ist 40 Jahre her. Nun soll die Geschichte aufgearbeitet werden. 
    Jahrelang ist ein Bub im Kinderheim in Reitenbuch missbraucht worden. Das ist 40 Jahre her. Nun soll die Geschichte aufgearbeitet werden.  Foto: Alexander Kaya (Symbol)

    Nach der Berichterstattung über Peter W. (Name geändert), der vor über 40 Jahren von einem Pfarrer jahrelang vergewaltigt wurde, will die Christliche Kinder- und Jugendhilfe die Geschichte des Josefsheim Reitenbuch und des Marienheim Baschenegg aufarbeiten. Das kündigte der der Vorsitzende des Trägervereins, Domkapitular Dr. Andreas Magg, jetzt an. Er sagte: „Wir wollen nicht nur die Geschichte aufarbeiten, sondern auch daraus lernen.“

    Wie berichtet, hatte ein Ruhestandsgeistlicher einen Buben aus dem Kinderheim jahrelang missbraucht und vergewaltigt. Er hatte das Kind zu sich gelockt, um besondere Übungsstunden für den Ministrantendienst abzuhalten. Doch aus diesem Angebot wurden schwere Übergriffe, die Peter W. sein Leben lang zeichnen sollten. Er verdrängte und wurde krank. Er hatte einen Infarkt und kann jetzt nicht mehr voll arbeiten. Er hat Angst, im Alter ein Leben in Armut führen zu müssen. Die Bilder von damals quälen ihn immer noch, obwohl er psychologisch behandelt wird. Peter W. hat Albträume, wacht immer noch schweißgebadet auf. Über 40 Jahre nach den Vergewaltigungen konnte er sich erstmals anderen Menschen anvertrauen. Direkt nach den Übergriffen hatte er im Kinderheim Reitenbuch einer Schwester vom Pfarrer berichtet. Die Franziskanerinnen hatten damals die Einrichtung geleitet. Doch niemand wollte Peter W. glauben. Die Schwester glaubte ihm nicht, sondern verprügelte ihn mehrfach. Was nicht sein könne, dürfe auch nicht sein.

    Rund ein Dutzend Betroffene im Kinderheim Reitenbuch

    Peter W. war kein Einzelfall. Der Diözese Augsburg sind über die Missbrauchsbeauftragten beziehungsweise durch die deutschlandweite MHG-Studie bislang rund ein Dutzend Betroffene aus dem Kinderheim Reitenbuch bekannt geworden. Diese haben Vorwürfe gegen mehrere Personen erhoben, darunter drei Ruhestandsgeistliche. Die Fälle liegen mehrere Jahrzehnte zurück und haben sich zwischen Mitte der 1950er- und Mitte und Ende der 1970er-Jahre ereignet.

    Die Anschuldigungen seien der Diözese erst in den vergangenen Jahren bekannt geworden. Weil die Ruhestandsgeistlichen bereits verstorben sind, konnten keine rechtlichen Schritte mehr eingeleitet werden. Die Diözese hatte bereits die Dillinger Franziskanerinnen, die das Heim bis 1999 leiteten, informiert. Nach Auskunft der Diözese sind die Franziskanerinnen ein Orden päpstlichen Rechts, der damit nicht der diözesanen Dienst- oder Stiftungsaufsicht untersteht.

    Die Franziskanerinnen hatten sich „Beschämt und erschüttert“ gezeigt, als vor knapp zehn Jahren erstmals Vorwürfe laut geworden waren. Damals hatten sieben ehemalige Heimkinder teils mit eidesstattlicher Versicherung über ihre Leidenszeit berichtet. Die Staatsanwaltschaft leitete danach Vorermittlungen ein. Das Ergebnis ist nicht bekannt.

    Bistum Augsburg will Geschichte des Kinderheims Reitenbuch aufarbeiten

    Der Trägerverein, die Christliche Kinder- und Jugendhilfe, will jetzt die Geschichte des Heims unter die Lupe nehmen. „Mit dem Bistum Augsburg haben vereinbart, dass wir unsere Geschichte ganz aufarbeiten wollen“, sagt Andreas Magg. Gesucht werden jetzt unabhängige Mitarbeiter, die diese Aufgabe übernehmen. Magg: „Damit soll gewährleistet werden, dass niemand später sagt, die Arbeit sei beeinflusst oder durch irgendein Interesse überlagert worden. Angefragt wurde bereits eine Richterin. Sie soll die juristische Durchsicht übernehmen. Angedacht ist auch eine historische Aufarbeitung. Im Wesentlichen geht es um die Zeit zwischen 1958 und 1983. In dieser Zeit gab es Vorkommnisse, von denen wir wissen.“

    Die Berichterstattung in der Zeitung sei der Anstoß gewesen. Magg sagt: „Bisher sind wir immer von Einzelfällen ausgegangen. Aber jetzt mit diesem Fall sind wir zur Überzeugung gekommen, dass strukturelle Probleme dahinterstanden und es eine Häufung im Vergleich zu anderen Häusern gab. Wir wollen auch vergleichen, ob sich das Josefsheim Reitenbuch und das Marienheim Baschenegg unterschiedlich entwickelt haben, ob es ein System Reitenbuch gibt oder ob es an sich am System Kinderheim liegt.“

    Was ist die MHG-Studie?

    Bei der Studie handelt es sich um ein Forschungsprojekt zum sexuellen Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige im Bereich der Deutsche Bischofskonferenz. Auch Evangelische Kirche wird tätig: Sie plant eine wissenschaftliche Studie zur Aufarbeitung. Im Sommer wurde eine Anlaufstelle für Opfer sexuellen Missbrauchs eingerichtet.

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