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Prozess um Sicherungsverwahrung: Wie ein Gutachter die Psyche von Vanessas Mörder beurteilt

Prozess um Sicherungsverwahrung

Wie ein Gutachter die Psyche von Vanessas Mörder beurteilt

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    Dieses Archivbild zeigt einen Polizisten bei der Tatortbegehung in Gersthofen mit Vanessas Mörder. Er ist mit einem Schutzanzug bekleidet, sein Gesicht ist verhüllt.
    Dieses Archivbild zeigt einen Polizisten bei der Tatortbegehung in Gersthofen mit Vanessas Mörder. Er ist mit einem Schutzanzug bekleidet, sein Gesicht ist verhüllt. Foto: dpa/lby

    Mit seinem psychologischen Gutachten wird der Kriminologe Helmut Kury die Weichen stellen für das Urteil über den Mörder der kleinen Vanessa. Am 25. Juni verliest er Teile der mit Spannung erwarteten Schrift vor dem Augsburger Landgericht - möglicherweise unter Ausschluss der Öffentlichkeit. "Der Fall ist recht schwierig, gar keine Frage", sagt Kury. "Gutachten sind in solchen Fällen in der Regel über 100 Seiten lang."

    Seit Februar verhandelt das Landgericht über die Zukunft des 29-jährigen verurteilten Mörders. Die Kammer muss entscheiden, ob er auch zehn Jahre nach der Tat noch hochgradig gefährlich ist und in Sicherungsverwahrung muss - oder ob er auf freien Fuß kommt. Seine Haftstrafe hat er bereits abgesessen. Statt der sonst üblichen zwei Gutachter gibt es in diesem Fall drei. Kury wurde erst später hinzugebeten, nachdem der Verteidiger des Täters zu Prozessbeginn gefordert hatte, die Sachverständigen auszutauschen. Von den drei Gutachtern habe nur er mit dem 29-Jährigen gesprochen, sagt Kury.

    Drei Besuche im Gefängnis

    Dreimal habe er den Mann für mehrere Stunden im Gefängnis besucht. "Es geht zentral darum, welche Momente für eine weitere Gefährlichkeit sprechen", erläutert der Psychologe. Im Mittelpunkt stünden Fragen wie: Ist er in seinen Äußerungen überzeugend? Wie denkt er?

    Der Mord an Vanessa aus Gersthofen

    Über eine Woche lang tappte die Polizei nach dem Mord an der zwölf Jahre alten Vanessa aus Gersthofen im Dunkeln. Auch aus den zahlreichen Hinweisen ergaben sich zunächst keine heißen Spuren für die Ermittler, bis überraschend der mutmaßliche Mörder, der 19-jährige Michael W., festgenommen wurde.

    12. Februar 2002: Die Eltern von Vanessa finden ihre Tochter blutüberströmt neben ihrem Bett. Spuren eines Einbruchs entdecken die Ermittler zunächst nicht. Die Polizei bildet sofort eine Sonderkommission.

    13. Februar: Die Beamten berichten über den Fund eines Messers, das wenig später mittels eines DNA-Tests als Tatwaffe identifiziert wird. Es handelt sich um ein Küchenmesser mit einer 16 Zentimeter langen und feststehenden Klinge.

    15. Februar: Trotz einer Reihe von Hinweisen aus der Bevölkerung haben die Fahnder keine heiße Spur. Rund 100 Personen aus dem Umfeld des ermordeten Mädchens werden von den Ermittlern befragt, um herauszufinden, mit wem Vanessa Kontakt hatte. Unklar bleibt lange, wie der Täter in das Haus gekommen ist. Es wird eine Belohnung von 35 000 Euro zur Aufklärung der Tat ausgeschrieben.

    19. Februar: Die Fahnder setzen auf die Erstellung eines Täterprofils, um den Mord an Vanessa aufzuklären. Zuvor hatten bereits 15 Bekannte und Verwandte Speichelproben abgegeben, um sich über DNA-Analyse als Täter auszuschließen.

    21. Februar: Die Polizei sucht nach zwei Hinweisen aus der Bevölkerung einen als „Maskenmann“ verkleideten Zeugen. Ermittelt wird ein 19-Jähriger aus Gersthofen. Im Verlauf der Vernehmungen verstrickt sich der Mann in Widersprüche und gesteht die Tat.

    22. Februar: Die Polizei gibt den Fahndungserfolg bekannt.

    5. Februar 2003: Die Jugendkammer des Augsburger Landgerichts verhängt zehn Jahre Haft gegen Michael W. Es ist die höchste Strafe, die nach dem Jugendrecht möglich ist.

    Mitte Februar 2012 ist Entlassungstermin für Michael W., die Staatsanwaltschaft will ihn nicht frei lassen. Zwei psychiatrische Gutachter kommen zum Schluss, dass der Täter in Sicherungsverwahrung sollte.

    Der Prozess zieht sich. Erst am 15. Oktober 2012 ist die Beweisaufnahme abgeschlossen. Ein Urteil fällt am 15. November: Michael W. kommt weiter in Sicherungsverwahrung.

    Verkleidet mit schwarzem Umhang und Totenkopfmaske hatte sich der damals 19-Jährige in der Nacht zum Faschingsdienstag 2002 in Vanessas Kinderzimmer in Gersthofen bei Augsburg geschlichen. Mit einem Küchenmesser stach er mehr als 20-mal auf sein Zufallsopfer ein - nach dem Vorbild eines Horrorfilms. Als die Eltern von einem Faschingsball kamen, fanden sie das Mädchen blutüberströmt.

    Kury: Gefahr deutlich reduziert

    Nach informationen unserer Redaktion kommt Kury in seinem Gutachten zu dem Schluss, dass die von dem 29-Jährigen ausgehende Gefahr deutlich reduziert wurde. Er befürwortet danach, den Mann unter Auflagen freizulassen. Das Gutachten ist bislang jedoch nicht öffentlich geworden. Vor der Verlesung vor Gericht will Kury sich zu dessen Inhalt nicht äußern.

    "Für die Eltern muss es ein furchtbares Trauma gewesen sein", sagt der Kriminologe Kury. Die Staatsanwaltschaft hält den Täter weiter für hochgefährlich und hat daher die nachträgliche Verwahrung beantragt - er werde mit hoher Wahrscheinlichkeit wieder ähnliche Taten begehen. Laut Bundesjustizministerium ist die Sicherungsverwahrung das schärfste Mittel, das der Staat gegen seine Bürger einsetzen kann. Sie soll die Bevölkerung schützen und wird gegen besonders gefährliche Straftäter verhängt, die ihre Haft eigentlich schon abgesessen haben. Spätestens alle zwei Jahre muss überprüft werden, ob die Gründe für ein Wegsperren weiter vorliegen.

    Demonstranten vor dem Landgericht

    Der Fall um den Mord an Vanessa machte vor zehn Jahren bundesweit Schlagzeilen. Auch heute reagieren viele emotional bei der Vorstellung, der Mörder könnte wieder auf freien Fuß kommen. An jedem Verhandlungstag versammelt sich eine Schar von Demonstranten vor dem Landgericht. Auf ihren Schildern stehen Forderungen wie "Recht auf Schutz. Sagt ja zur Sicherungsverwahrung". -  "Das kann ich irgendwo auch verstehen", sagt Kury. Er weiß, dass er mit seinem Gutachten ein hochsensibles Thema berührt. "Wenn er rauskommt, werden die Wogen in Augsburg und Umgebung hochschlagen."

    Der Täter kam mit sechs Jahren zu einer Pflegefamilie. Nach dem Tod seines Adoptivvaters habe er sich verändert, sei immer ruhiger und zurückgezogener geworden, hatte seine Adoptivmutter vor Gericht erzählt. Nach eigenen Angaben wurde er als Kind von einem Onkel sexuell missbraucht. dpa

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