Er bildete sich ein, von Drohnen angegriffen zu werden. Deshalb schoss er mit Druckluftwaffen Pfeile in die Luft. Der 35-jährige Markus K. (Name geändert) attackierte in Nordendorf jedoch nicht nur fiktive Flugobjekte. Er schoss am 28. August 2019 auch gefährliche Pfeile mit Metallspitzen auf einen Lkw-Fahrer und einen Handwerker. Er glaubte, die Rockergruppe Hells Angels sei gekommen, um ihn zu töten.
Der Nordendorfer steht derzeit in einem sogenannten Unterbringungsprozess wegen zweifachen versuchten Mordes vor dem Augsburger Schwurgericht. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass der Mann wegen Verfolgungswahns schuldunfähig ist und nicht bestraft werden kann. Am dritten Tag des Verfahrens vor der Strafkammer unter Vorsitz von Richterin Susanne Riedel-Mitterwieser wurde erneut über ein Dutzend Zeugen gehört.
Dabei ging es vor allem um die psychische Situation des Beschuldigten vor und nach der Tat. Zwei Kripobeamte schilderten die Umstände der ersten Vernehmung. „Er lag wie schlaftrunken auf dem Bett, schaute weg, machte die Augen zu, wog mit dem Oberkörper hin und her. Er sagte, ihm könne keiner mehr helfen“, erinnerte sich der Kriminaler. Für seinen Kollegen stand Markus K. damals „unter Drogen“. „Er war verwirrt, apathisch bis aggressiv, eine richtige Vernehmung war nicht möglich.“
Der Nordendorfer hatte einen Mix an Medikamenten geschluckt
Bei einer Durchsuchung des Hauses entdeckten die Beamten ein ganzes Arsenal an erlaubnisfreien Waffen: Air-Guns, Armbrüste, eine Stahlkugelschleuder, eine Tierabwehrwaffe, Munition, einen Schlagstock und mit Sand gefüllte Schlaghandschuhe. In dem Haus befand sich auch eine kleine Drogenküche zur Herstellung von chemischen Betäubungsmitteln. Markus K. (Verteidiger: Walter Rubach) hatte zu Beginn des Prozesses selbst angegeben, er habe am Tattag Medikamente und Kokain eingenommen. Eine acht Zentimeter lange Haarprobe bestätigte: Markus K. hatte seit Anfang 2019 ein Sammelsurium an Drogen und Medikamenten geschluckt, vor allem Kokain. Bei der Durchsuchung stellte die Polizei auch elf PC und Netbooks sicher.
Etwa ab dem Jahr 2018 muss der Mann von diversen Ängsten geplagt worden sein, die schließlich im Verfolgungswahn gipfelten. Ein IT-Experte der Kripo untersuchte mit einer speziellen Filtersoftware rund 63.000 Aktivitäten auf dem Handy des Beschuldigten, viele Gespräche in Chat-Gruppen, bei denen es häufig um esoterische Fragen ging. So äußerte Markus K. immer wieder, er fürchte, selbst Opfer von K.-o.-Tropfen zu werden, er sei mit einem Fluch überzogen, oder Klone seiner Bekannten würden in seinen Geist eindringen.
Pfeilschütze: Bei Schuldunfähigkeit geht es in die Psychiatrie
Zur Sprache kamen auch angebliche Beobachtungen des 35-Jährigen vor Jahren in Augsburger Klubs und Diskotheken, bei denen er mitbekommen haben will, wie Frauen betäubt und dann von Rockern zur Prostitution gezwungen worden seien. Einem Bekannten hatte Markus K. Vorwürfe gemacht, dieser würde „Jungfrauen an Araber verkaufen“ und mit den Hells Angels zusammenarbeiten. Der Zeuge bezeichnete die Vorwürfe als „Schwachsinn“.
Soll Markus K. wegen Schuldunfähigkeit vom Gericht per Urteil in eine psychiatrische Klinik eingewiesen werden, muss er nicht für die Kosten des Verfahrens aufkommen. Er gilt zivilrechtlich dann als „deliktsunfähig“. Auch kann er nicht gezwungen werden, Schmerzensgeld an seine Opfer zu zahlen. Angeblich hat der Polizist, der unmittelbar nach den Pfeilschüssen von dem 35-Jährigen bedroht worden sein soll, ein Schmerzensgeld von 10.000 Euro gefordert. Der Beamte gab vor Gericht als Zeuge an, durch den Einsatz eine Belastungsstörung erlitten zu haben und sechs Wochen dienstunfähig gewesen zu sein. Der Prozess wird am Montag fortgesetzt.
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