Ein Mann tritt auf seinen Balkon in Nordendorf und beschießt zwei ihm unbekannte Arbeiter mit Pfeilen aus einer Luftdruck-Armbrust. Nun steht der 35-Jährige vor dem Augsburger Landgericht, wo er wegen seelischer Störungen einer Einweisung in eine psychiatrische Anstalt entgegensieht. Ist das angebracht, oder muss er nicht doch ins Gefängnis wegen versuchten Mordes? Dieser Frage ging das Gericht am zweiten Verhandlungstag anhand von Zeugenbefragungen auf den Grund.
Menschlich am nächsten gestanden hatte dem Angeklagten eine 37-jährige Controllerin und Persönlichkeitstrainerin, die den Beschuldigten etwa zwei Jahre vor der Tat, am 28. August 2019, in Nordendorf kennengelernt hatte. Man habe gemeinsame berufliche Interessen festgestellt, so die Frau aus Augsburg. Im Laufe der Zeit habe sie vom schweren Leiden des Mannes unter einer langjährigen Kiefererkrankung erfahren. Und sie habe mitbekommen, dass der Beschuldigte sich für Opfer von K.-o.-Tropfen-Missbrauch habe einsetzen wollen. Der 35-Jährige habe eine mutmaßlich belastete Getränkeflasche an ein Labor geschickt. Deswegen, so die Frau, habe der Mann gefürchtet, dass er mit Rockerbanden wie den Hells Angels in Konflikt kommen werde – und er habe sich genehmigungsfreie Waffen besorgt wie die Luftdruck-Armbrust.
Pfeilschütze in Nordendorf: Spuren von Kokain im Blut
Möglichen Missbrauch von Kokain oder Medikamenten, so die Bekannte des Beschuldigten, führe sie allein auf seine anhaltenden Kieferschmerzen zurück. Zwar habe der Mann nach der für sie unübersehbaren Einnahme des Pulvers Symptome gezeigt. Sie habe aber nicht den Eindruck gehabt, dass derartige Erfahrungen Zweck der Einnahme derartiger Substanzen gewesen seien.
Die Toxikologin und Medizin-Professorin Gisela Skopp hatte zuvor von Untersuchungen des Bluts des Beschuldigten in ihrem Institut berichtet. Dabei seien Spuren von Kokain und des Medikaments Ketamin auffällig gewesen, von denen nicht auszuschließen sei, dass der Beschuldigte diese Substanzen am Tattag in relevanter Menge im Blut gehabt habe.
In den Tagen vor dem 28. August 2019 seien negative Veränderungen in der Psyche des 35-Jährigen aufgefallen, erklärte dessen 37-jährige Bekannte. Deswegen habe sie mit seiner Lebensgefährtin darüber gesprochen, sich für ihn um einen Krankenhaustermin bemühen zu wollen. Dann, am 27. August, sei sie bereits frühmorgens telefonisch vom Bekannten nach Nordendorf gerufen worden – mit der Aufforderung, die Polizei mitzubringen. Bereits gegen 8 Uhr sei sie von seiner Lebensgefährtin empfangen worden, sei dann mit dem 35-Jährigen um das Haus, um den Block gelaufen, weil er seine Verfolger nahe gefühlt habe. Und dann habe sie um die Mittagszeit das Knallen der Waffe vom Balkon gehört, mit denen der Beschuldigte zwei Bauarbeiter vor dem Haus mit Pfeilen beschoss und schwer verletzte.
Ein Polizist war nach dem Einsatz krank
Ein gutes halbes Dutzend Polizisten sagte jetzt vor Gericht aus. Dabei zeigte sich, dass der Tattag neben den beiden durch Pfeilschüsse in Arm und Lippe getroffenen Arbeitern mindestens einen weiteren Verletzten gefordert hat. Einer der Beamten, ein 39-Jähriger aus Augsburg, klagte eigenen Worten zur Folge Wochen nach dem Einsatz über Herzrhythmusstörungen und Bluthochdruck. Seine diagnostizierte Belastungsstörung aufgrund des Einsatzes sei durch die Polizei-Seelsorge behandelt worden.
Erst nach rund sechs Wochen im Krankenstand sei er wieder arbeitsfähig gewesen. Offenbar, so der Beamte, seien es die auf ihn gerichtete Waffe und der Blick „in die hasserfüllten Augen“ des Beschuldigten gewesen, die ihn krank gemacht hätten. „Erschieß mich doch“, habe der Nordendorfer gerufen, als ihn die Polizisten, darunter der 39-Jährige aufgefordert hatten, seine Waffe niederzulegen. Der 44-jährige Augsburger Einsatzleiter berichtete, wie er sich bis zur Haustür geschlichen hatte, um die beiden Frauen aus der Schusslinie in Sicherheit zu bringen. Plötzlich sei neben ihm die Türe aufgegangen, und es sei der 35-Jährige mit der Waffe herausgetreten. Der Polizist habe ihm das Funkgerät auf die Nase geschlagen, die Waffe aus der Hand getreten und sich dann auf den Mann gestürzt. Mit seinen Kollegen sei es gelungen, den sich heftig sträubenden 35-Jährigen zu fesseln.
Und immer wieder die Frage von Richterin Susanne Riedel-Mitterwieser an die Polizisten: Ist Ihnen etwas Besonderes am Zustand des Angeklagten aufgefallen? Aggression, Hass, Verwirrtheit wurden genannt. Eine Antwort: „Wer so etwas tut, mit Pfeilen auf Menschen schießt und auf Polizisten zielt, der kann nicht normal sein.“ Der Prozess wird mit der Befragung weiterer Zeugen fortgesetzt.
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