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Nazidiktatur: Die letzten Zeugen einer Schreckenszeit

Nazidiktatur

Die letzten Zeugen einer Schreckenszeit

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    Hinweistafel für die Blechschmiede Horgau: Auch dort ließen die Nazis KZ-Häftlinge für die Rüstungsindustrie schuften.
    Hinweistafel für die Blechschmiede Horgau: Auch dort ließen die Nazis KZ-Häftlinge für die Rüstungsindustrie schuften. Foto: Marcus Merk

    Die ermordeten Juden von Fischach, der nach einem Schauprozess hingerichtete katholische Priester Max Josef Metzger aus Meitingen, die Zwangsarbeiter, die in den Wäldern rund um Augsburg litten: Das sind nur drei Beispiele dafür, wie der Nazistaat auch im Augsburger Land wütete. Doch wie erinnert man über 70 Jahre danach daran? Wie muss Erinnerungskultur aussehen, damit sie nicht „bröckelt“? Diese Formulierung hatte Bundesaußenminister Heiko Maas anlässlich des Internationalen Holocaust-Gedenktags gewählt. Im Augsburger Land gibt es unterschiedliche Ansätze.

    • Medien „Mit Filmen geht es leichter“, meint Christoph Lang. Der Vorsitzende des Heimatvereins Reischenau und Leiter des Stadtarchivs und Stadtmuseums Aichach hat diese Erfahrung mit Elftklässlern gemacht. Sie sahen Aufnahmen vom Kreisparteitag 1938 der NSDAP in Aichach. Der halbstündige Film wurde besprochen, während der Vorführung gab es erklärende Kommentare. „Es hat sehr gut funktioniert. Ich glaube, Schüler sind offen für das Thema und können damit etwas anfangen.“ Lang bezweifelt, ob eine Ausstellung in einem Museum genügt. „Da werden sie oft nur durchgeschleust.“
    • Lokaler Bezug Den hatte der frühere Lehrer Hans-Peter Englbrecht aus Zusmarshausen schon vor Jahrzehnten entdeckt: Er radelte mit seinen Schülern zu den Resten der Kuno-Anlage im Scheppacher Forst. Im Wald wurde 1944 und 1945 die Me 262 endmontiert – der erste in Serie gefertigte Düsenjäger der Welt. Neben den Spuren holte sich Englbrecht einen Zeitzeugen an die Tafel: Richard Käßmair. Der Zusmarshauser hatte das geheime Waldwerk als Elektrikerlehrling selbst erlebt, hatte die Zwangsarbeiter und jüdischen Häftlinge gesehen und den Vormarsch der US-Soldaten mitverfolgt. Als er vor den Schülern sein Hemd auszog, um eine Schussverletzung zu zeigen, sei es mucksmäuschenstill gewesen. „Da hätte man eine Stecknadel fallen hören können.“ Später habe Englbrecht immer versucht, Exponate zu zeigen. „Man muss visuell arbeiten.“ Werde der Holocaust nur in der Theorie durchgenommen, sei er genauso weit weg wie der Dreißigjährige Krieg. „Schüler müssen raus. Sie müssen mit allen Sinnen erleben. Einen Bus zu mieten und zum Kuno-Gelände zu fahren kostet nicht die Welt.“ Dort ist im vergangenen Jahr unter Federführung der Staatsforsten ein Gedenkweg entstanden: Jeder kann sich selbst auf Spurensuche machen. Lang sagt: „Nur mit dem lokalen Bezug gelingt es uns zu zeigen, dass das Dritte Reich nicht nur in Berlin, Nürnberg und München stattgefunden hat.“
    • Persönliche Schicksale „Sie wecken Emotionen, bringen Schrecken nahe und machen betroffen“, sagt Heimatvereins-Vorsitzender Christoph Lang. Da spiele es keine Rolle, ob es um einen verfolgten und ermordeten Politiker aus dem Dritten Reich geht oder um jemanden aus dem Dreißigjährigen Krieg.
    • Zeitzeugen Die meisten von ihnen sind gestorben. Gerade deshalb war es Michael Kalb wichtig, die letzten Augenzeugen auf Film festzuhalten. Denn: „Nichts ist so stark wie ein persönliches Gespräch“, sagt der Regisseur aus Dinkelscherben. 36 Zeitzeugen hat er interviewt. Sie erzählen, wie sie den Alltag im Dritten Reich erlebt haben, Heimatvertriebene berichten von ihrem Start in der neuen Heimat in den Vierzigerjahren. Aus den Gesprächen soll dieses Jahr ein Dokumentarfilm entstehen. Wenn Kalb mit Jugendlichen über sein Projekt spricht, hat er nicht das Gefühl, dass die Erinnerung bröckelt. Im Gegenteil: Es finde eine Rückbesinnung statt.
    • Schulen Für den früheren Hauptschullehrer Hans-Peter Englbrecht sind sie die erste Adresse, um Geschichte zu vermitteln. Christoph Lang meint: „Lehrer brauchen eine gewisse Leidenschaft.“ Ihnen zur Seite stehen sollten im Idealfall Historiker. Peter Krauß, Schulleiter am Gymnasium in Gersthofen, unterrichtet selbst Geschichte. Die Zeit des Nationalsozialismus ist das Schwerpunktthema in der neunten Klasse. „Wir müssen Schüler klarmachen, warum das Erinnern wichtig ist. Nur so können wir gewährleisten, dass so etwas nie wieder passiert“, sagt er. Dafür besuchen seine neunten Klassen das Konzentrationslager Dachau. Zwar werde es inzwischen immer schwieriger, Zeitzeugen zu finden, sagt Krauß. Aber es gebe viel beeindruckendes Filmmaterial.
    • Zeitlicher Bezug Josef Pröll aus Gersthofen ist Referent der KZ-Gedenkstätte Dachau. Über das Leben seiner Mutter Anna, die als Widerständlerin gegen das Naziregime kämpfte, nach der die Stadt Gersthofen im vergangenen Jahr ihre neue Mittelschule benannte, hat er einen Film gedreht. Seiner Erfahrung nach sind junge Leute sehr interessiert. Er findet: „Eine Gedenkkultur alleine reicht nicht.“ Man müsse einen Bezug zur heutigen Zeit schaffen und die richtigen Fragen stellen. Pröll wünscht sich, dass aus den Gedenkstätten Begegnungszentren werden, in denen sich Besucher mit den Fragen auseinandersetzen.

    Wie wichtig die Aufarbeitung der Verbrechen ist, lesen Sie in unserem Kommentar

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