Offenbar strukturell wurden in einem Kinderheim in Reitenbuch (Landkreis Augsburg) jahrelang Kinder missbraucht. Zuletzt hatte sich eines der Opfer an unsere Redaktion gewandt. Nun sollen die bekannten Fälle umfangreich aufgearbeitet werden. Eine neu eingerichtete Expertengruppe ist dazu auf der Suche nach weiteren Missbrauchsopfern in der Zeit von 1950 bis 1985.
Eine Zeit, in der auch Peter W. (Name geändert) jahrelang im Kinderheim von einem Ruhestandsgeistlichen missbraucht und vergewaltigt wurde. Über 40 Jahre später brach der heute 57-Jährige sein Schweigen. Der Priester hatte sein Opfer zu sich gelockt, um besondere Übungsstunden für den Ministrantendienst abzuhalten. Doch aus diesem Angebot wurden schwere Übergriffe, die Peter W. sein Leben lang zeichnen sollten. Der Mann war kein Einzelfall. Es gab noch andere Kinder, die im Kinderheim in Reitenbuch bei Fischach untergebracht waren und Opfer von körperlicher und seelischer Gewalt wurden.
Missbrauch im Kinderheim Reitenbuch: Namen von 16 Opfern sind derzeit bekannt
Bislang war die Rede von rund einem dutzend Opfern. Nun spricht Reiner Sroka, Leiter des diözesanen Arbeitsstabs zur Behandlung von Missbrauchsfällen, von derzeit 16 bekannten Namen von Opfern. Nicht nur das Josefsheim Reitenbuch steht im Fokus, sondern auch das Marienheim Baschenegg in Ustersbach, aus dem bislang keine Vorfälle bekannt sind. Träger beider Einrichtungen ist die Christliche Kinder- und Jugendhilfe.
Es wird davon ausgegangen, dass drei Geistliche sich in den Jahren von 1956 bis 1983 an Kindern in Reitenbuch vergangen haben. Außerdem gibt es Hinweise, dass Ordensschwestern sowie sonstige im Kinderheim Beschäftigte und ein Nachbar des Heims Kinder missbraucht haben. Im Jahr 2010 leitete die Staatsanwaltschaft Augsburg Vorermittlungen ein, nachdem Missbrauchs- und Misshandlungsvorwürfe bekannt geworden waren. Acht Betroffene haben inzwischen von der Diözese Augsburg eine finanzielle „Anerkennung“ für das erlittene Leids bekommen - 73.000 Euro für acht Opfer.
Suche nach weiteren Opfern in Reitenbuch und Baschenegg
Eine unabhängige Projektgruppe zur Aufklärung aller Fälle in Reitenbuch und Baschenegg soll nun weitere Opfer ausfindig machen. Im Dezember setzte der damalige Diözesanadministrator, der neue Augsburger Bischof Bertram Meier, die Gruppe ein. Geleitet wird sie von Elisabeth Mette, ehemalige Präsidentin des Landessozialgerichts. Frühere Bewohnern können sich den Mitgliedern einer Kommission anvertrauen und ihre Erlebnisse schildern. Die Opfer können sicher sein, dass mit ihren Schilderungen vertraulich umgegangen wird. „Wir wenden uns an alle, deren Unrecht bis heute nicht anerkannt wurde“, sagt Mette.
Betroffene können sich vertraulich an die Experten wenden. Zu erreichen per Telefon unter 0821/3166-8393 oder per E-Mail an projektgruppe.reitenbuch@bistum-augsburg.de.
Hier geht es zum Kommentar von Maximilian Czysz: Die Kirche muss den Missbrauchsopfern endlich zuhören
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