Die Stimmung beim Stammtisch des Blinden- und Sehbehindertenvereins Augsburg und Schwaben ist gelöst, die Sonne scheint durch die Äste der Bäume im Garten des ersten Vorsitzenden Alfred Schwegler. An vier Tischen haben sich die Mitglieder und ihre oft sehenden Angehörigen versammelt. Bei Kaffee und Kuchen geht es um die große Politik. Dabei wird schnell klar: Es gibt viele Dinge, die blinde Menschen vor der Bundestagswahl bewegen. Zentral ist das Thema Barrierefreiheit in Gebäuden, im öffentlichen Raum und in der digitalen Welt.
Alfred Schwegler erklärt: "Für mich wären Blindenleitsysteme das Wichtigste." Er meint damit die Pflasterung mit geriffelter Oberfläche, der Blinde mit ihrem Stock folgen können. Noch wichtiger seien aber die sogenannten Aufmerksamkeitsflächen mit Noppen, "die mir anzeigen, dass da eine gefährliche Stelle kommt", sagt der erste Vorsitzende des Blindenvereins. Er hat auch ein Beispiel parat: In Meitingen habe man viele Bordsteine bis auf Straßenhöhe abgesenkt, um es Eltern mit Kinderwagen, Rollatoren und Rollstühlen leichter zu machen. "Für uns ist das aber ein großes Problem. Wenn der Absatz fehlt, passiert es schnell, dass man mitten auf der Straße steht", sagt Schwegler. Mit Blindenleitsystemen komme er dagegen an Stellen zurecht, die vorher "sehr problematisch" waren.
Rüdiger Schleich sieht besonders in öffentlichen Gebäuden Verbesserungsbedarf. Außerdem sollten viel mehr Ampeln mit einem zuverlässigen akustischen Signal ausgestattet sein, das auch Blinden anzeigt, wann sie die Straße überqueren dürfen. Auch Manfred Römer, der an einem anderen Tisch sitzt, betont: "Das akustische Signal ist wichtig."
Verkehr und Mobilität spielen für sehbehinderte Menschen eine wichtige Rolle. Die Probleme, die Manfred Römer schildert, treffen allerdings nicht nur auf Blinde zu. Er wohne in einem kleinen Ort im Landkreis Dillingen, in dem es in den Schulferien keinerlei Busverbindung gebe, erklärt er. Für ihn bedeute das, dass er nicht einmal eigenständig zum Arzt fahren könne. Auch Manfred Römers sehende Ehepartnerin Barbara Römer kommentiert: "Wenn ich nicht da bin, kommt er in den Ferien kaum aus dem Ort."
Viele Blinde sprechen beim Stammtisch-Nachmittag auch das Thema Barrierefreiheit in der digitalen Welt an. Informationsbeschaffung gehört laut Schwegler zu den wichtigsten Problemfeldern für Blinde. Menschen ohne Sehvermögen können viele Apps und Webseiten nutzen, allerdings gibt es noch immer viele Seiten und Programme, die für Blinde nicht nutzbar sind. Für Manfred Römer ist das größte Problem, dass ihn die Bahn-App zwar über Verbindungen informiert, die Barrierefreiheit der Anwendung bei Ausfällen und Änderungen aber an ihre Grenzen stoße.
Manuel Rodriguez hat klare Forderungen an die Politik. Nicht nur Barrierefreiheit und Mobilität sind ihm wichtig, sondern auch die Integration blinder und anderweitig eingeschränkter Menschen in die Arbeitswelt. Ein Anreiz könnte in seinen Augen die Erhöhung der Ausgleichsbeiträge für Arbeitgeber sein. "Wir müssen den Druck auf die Politik aufrechthalten", erklärt der Augsburger Behindertenbeirat. Das Problem: Die Themen, die blinde Menschen besonders betreffen, finden sich kaum im Wahlkampf wieder. "Da muss man die Parteiprogramme schon genau lesen", sagt Alfred Schwegler. Manfred Römer fordert, "dass mehr getan und nicht nur versprochen wird".
Viele Hindernisse im öffentlichen Raum
Manuel Rodriguez erzählt, dass es im öffentlichen Raum viele Hindernisse gebe. Baustellen, die über Nacht aufgebaut würden, erschweren beispielsweise seinen Arbeitsweg in Augsburg und Informationen darüber fehlen meistens. Ein weiteres Ärgernis: "Viele Sachen werden einfach gedankenlos abgestellt." Er sei kürzlich zum Beispiel wegen einem E-Roller, der mitten auf dem Gehweg stand, gestürzt, erklärt Rodriguez.
An vielen Stellen könnten ihre Mitmenschen etwas mehr Verständnis zeigen und Rücksicht nehmen, ergänzt Josepha Klaßmüller. Ihrem Sohn Paul sind zwei bezeichnende Vorfälle im Gedächtnis geblieben. Beide Situationen entstanden beim Einkaufen im Supermarkt, als er noch schnell etwas holen ging und seine Mutter samt Wagen an einer Ecke im Supermarkt wartete. Einmal habe ein älterer Mann seine Mutter "total angemacht", da sie nicht automatisch aus dem Weg ging. Bei einer anderen Gelegenheit habe eine junge Frau "sehr freundlich gefragt, ob sie sie zur Seite führen darf", erzählt Paul Klaßmüller.
E-Autos können sehr gefährlich werden
Auf eine Forderung, die ihnen das Leben sehr erleichtern würde, können sich alle Anwesenden einigen: Alle Elektrofahrzeuge, also sowohl Roller als auch Autos, sollten hörbar sein, sobald sie sich bewegen. Manuel Rodriguez konkretisiert: "Es sollte nicht mehr erlaubt sein, den Ton abzustellen." Barbara Römer sagt: "Wenn Blinde am Zebrastreifen stehen und horchen, kann ein Elektroauto ohne Ton lebensgefährlich sein."
Info: Bis zur Bundestagswahl besucht die AZ-Redaktion Augsburg Land verschiedene Stammtische oder ähnliche Treffen. Wir fragen dort nach den wichtigsten Forderungen an die Politiker.