Startseite
Icon Pfeil nach unten
Augsburg Land
Icon Pfeil nach unten

Münster/Gersthofen: Leben retten ist ein „absolut tolles Gefühl“

Münster/Gersthofen

Leben retten ist ein „absolut tolles Gefühl“

    • |
    Unermüdlich und mit viel Charme wirbt Brigitte Lehenberger aus Münster an Schulen und bei Vereinen für die Registrierung bei der DKMS. Die 52-Jährige hat mit ihren Aktionen bereits 380 Lebensretter gefunden.
    Unermüdlich und mit viel Charme wirbt Brigitte Lehenberger aus Münster an Schulen und bei Vereinen für die Registrierung bei der DKMS. Die 52-Jährige hat mit ihren Aktionen bereits 380 Lebensretter gefunden. Foto: Marcus Merk

    Ein Foto von zwei fröhlichen Männern bei einem Ausflug im Porsche, ein anderes von einem Jungen auf einem Schneemobil. Warum hat Brigitte Lehenberger diese Bilder fremder Menschen als Bildschirmschoner? „Das sind Bilder von Spendern und Patienten“, erklärt die 52-Jährige aus Münster (Landkreis Donau-Ries). „Wenn ich mir diese Fotos anschaue, dann weiß ich, warum ich das alles mache.“

    Das alles – das ist ihr unermüdliches Engagement für die Deutsche Knochenmarkspenderdatei (DKMS), wo sich Menschen typisieren lassen können, um so vielleicht einem todkranken Menschen mit ihrer Stammzellenspende das Leben retten zu können. Bei den unzähligen Aktionen bei Vereinen, Dorffesten oder Schulveranstaltungen, die Brigitte Lehenberger initiiert hat, haben sich bisher etwa 33000 Menschen typisieren lassen, und 380 Spender und potenzielle Lebensretter gingen daraus hervor. Dazu kommen noch die großen Massentypisierungen mit mehreren Tausend Teilnehmern, die meistens einem bestimmten Patienten gewidmet sind und die die DKMS mit vielen weiteren Initiatoren aus dem Familien- oder Freundeskreis des Patienten organisiert, wie zum Beispiel für Lisa aus Stadtbergen oder Nele aus Stettenhofen.

    „Jede dieser Aktionen stößt etwas an, bringt das Thema den Leuten ins Bewusstsein, und sie befruchten sich gegenseitig“, sagt Brigitte Lehenberger. Für ihr ehrenamtliches Engagement hat die 52-Jährige bereits die Bayerische Verdienstmedaille des Freistaats erhalten sowie den DKMS-Ehrenamtspreis und die „Silberdistel“ unserer Zeitung.

    Im kleinen Ellgau, wo sie aufwuchs, standen der Zusammenhalt der Dorfgemeinschaft und das Vereinsleben im Mittelpunkt. Von der Mutter habe sie die „Mordspower“, vom Vater das Durchhaltevermögen, das „Dranbleiben an einer Sache“. Das „Vereins-Handwerk“ lernte sie in der Schützenjugend bei Jugendleiter Dietrich Rudolf, das seien für sie sehr prägende Jahre gewesen und eine wunderschöne Zeit. Bald wurde sie selbst Jugendleiterin bei den Lechschützen

    Beruflich wurde sie nach der Realschule Meitingen Anwaltsgehilfin, arbeitete später in der Verwaltung bei großen Versicherungsgesellschaften und nach der Geburt ihrer Kinder in der elterlichen Versicherungsagentur. Seit 2014 arbeitet sie in der Schulverwaltung der Kapellen-Mittelschule in Augsburg.

    Nach einem Volksfesttanz lernte sie ihren Mann kennen und folgte ihm nach der Heirat über den Lech nach Münster, wo sie heute noch lebt. Auch dort wurde Brigitte Lehenberger schnell eine Aktive des Vereinslebens. So gründete sie 1996 das Kinderturnen, dessen Leitung sie im Herbst nach 20 Jahren in jüngere Hände abgibt.

    Vor 20 Jahren ließ sie sich bei einer Aktion der DKMS in Donauwörth selbst typisieren. „Ich hab damals schon gedacht: Das wäre doch auch was für unseren Sportverein in Münster.“ Sie erkundigte sich bei der DKMS, wie man so etwas organisiert, und lernte alles, was es über das Thema zu wissen galt. „Die arme Frau bei der DKMS, die ich gelöchert habe mit meinen Fragen, die tut mir heute noch leid!“ Aber das ist es, was Brigitte Lehenberger ausmacht: Immer freundlich, aber hartnäckig fragen, am Ball bleiben, „und die Leute in Grund und Boden reden“, lacht die 52-Jährige mit einem Schuss Selbstironie.

    2002 ging dann bei einem Fußballturnier die erste Typisierungsaktion über die Bühne, und 1000 Menschen ließen sich registrieren. Lehenberger war überwältigt: „So viele Helfer und Teilnehmer, und das ohne konkreten Patienten im Hintergrund – das war ein absolut tolles Gefühl.“ Was sie am meisten beeindruckt hat – und das ist bis heute so geblieben – „wenn man Leute anspricht, ob sie mitmachen, sagen fast alle begeistert Ja – als ob sie nur darauf gewartet hätten, dass jemand die Initiative ergreift und was anstößt.“ Der Rest laufe dann meist in den Vereinen und in den Dorfgemeinschaften von ganz allein: ein buntes Programm, ein Kuchenbüfett, eine Spendenbox und ein DKMS-Infostand – solche Veranstaltungen sind auf dem Land Selbstläufer.

    In der Stadt ist es deutlich schwieriger, anonymer. Ein Grund, warum Lehenberger dem Interview mit unserer Zeitung zugestimmt hat, war die Aussicht darauf, dass sie sich auf diesem Wege bedanken kann, „bei allen Helfern und Unterstützern, die das alles möglich gemacht haben, denn ohne sie hätte ich das nicht geschafft!“ Landrat, Bürgermeister, Vereinsvorstände – alle sind 2002 nach Münster gekommen. Auch heute ist es noch so: Wenn Brigitte Lehenberger für die DKMS ruft, helfen viele mit. Und immer mehr Menschen lassen sich in die Kartei aufnehmen, um im Falle einer Übereinstimmung der genetischen Merkmale Stammzellen spenden zu können. Das Resultat: Im Jahre 2002 fanden noch 25 Prozent aller Kranken keinen passenden Stammzellenspender, heute sind es nur noch 17 Prozent.

    Nach der ersten Aktionen in Münster und Rain dachte sich die Organisatorin: „Jetzt, wo ich endlich alles weiß, soll ich aufhören? Das wäre ja schade drum.“ Also warb sie in ihrem Vereinsumfeld, ging auf Vorstandstreffen anderer Vereine in den Nachbarlandkreisen, zu Spielgruppensitzungen. Manchmal an drei bis vier Abenden die Woche ist sie in Sachen DKMS unterwegs, viele Wochenenden gehen dafür drauf. Sie hält vor oder nach der Arbeit Vorträge an weiterführenden Schulen und unterstützt das bayernweite Projekt „DKMS – Leben retten macht

    Dabei sollen junge Erwachsene aufgeklärt und angesprochen werden, denn die Datei nimmt Freiwillige ab 17 Jahren auf, Stammzellen spenden darf man ab 18. „Man muss mit so vielen Fehlinformationen aufräumen“, berichtet Brigitte Lehenberger, etwa, dass die Stammzellen aus dem Rückenmark entnommen würden. „Ich weiß nicht, wo das herkommt, aber es ist Quatsch.“ Meist werden die Stammzellen aus dem Blut entnommen, in 20 Prozent der Fälle aus dem Beckenknochen. Und für die Registrierung genügt ein Abstrich aus der Mundschleimhaut mit einem speziellen Wattestäbchen. Nur bei großen Massentypisierungen werde Blut abgenommen.

    Das geht zum einen schneller, denn beim Wangenabstrich muss eine Wartezeit beachtet werden, außerdem soll die Blutabnahme die Ernsthaftigkeit verdeutlichen, um später so wenig „Rückzieher“ wie möglich zu haben. „Wer das macht, soll sich gut informieren und darüber nachdenken – das ist keine Sache aus einer Laune heraus“, erklärt Lehenberger. Denn jederzeit kann der Brief kommen, der den Spender „zu den Waffen“ ruft, er könnte weltweit der Einzige sein, der einem anderen Menschen das Leben retten kann. Was verwundert: Brigitte Lehenberger hat nur einen dünnen Taschenkalender in der Handtasche. Sie lacht: „Da stehen nur Uhrzeit und Adresse drin, zu Hause habe ich einen großen Ordner für meine Termine.“ Ob das nicht manchmal zu viel wird? Ja, deshalb habe sie sich auch gegen eine Vereinsgründung entschieden. „Wenn ich mal beruflich oder familiär nicht mehr kann, kann ich halt weniger machen, bin ungebunden.“

    Aber wenn das Ehrenamt überhandnimmt, „ist mein Mann der ruhende Pol, der zeigt mir dann wohlwollend die Rote Karte“. Was sie dann zur Entspannung macht? Lehenberger winkt ab: „Ach, ich bin kein Entspanner, ich muss mich nur bewegen, Schwimmen gehen oder Laufen, dann geht’s mir wieder gut.“ Zudem genieße sie die kulturellen Veranstaltungen, zu denen sie eingeladen wird, wenn eine Spende übergeben wird. „Ein schönes Chorkonzert oder Theater – das finde ich dann schon schön.“

    Traurig sei es natürlich, wenn es jemand „nicht geschafft hat“, die Kranken also trotz Stammzellenspende sterben. „Es ist ein unvorstellbares Leid, das auch die Familien ertragen müssen“, denn oft sind es ja die Kinder, die an Blutkrebs erkranken. Hier gelte es, trotz aller Hilfsbereitschaft die Gefühle der Betroffenen zu respektieren. „Das ist ein ganz schmaler Grat, denn man braucht zwar die Medien und die Öffentlichkeit, um Spender zu finden, aber die Familien wollen sich eigentlich eher abschotten“, sagt Brigitte Lehenberger. Sie selbst beschreibt sich als pragmatisch: Es sei jedes Mal traurig, wenn ein Patient stirbt, aber nach einiger Zeit blicke sie wieder nach vorne, hin zum Nächsten, der Hilfe braucht. „Jeder soll die Chance kriegen, weiterzuleben. Und dafür setze ich meine Kraft ein.“

    Glücksmomente sind dann die Erfolgsgeschichten: die beiden Männer auf ihrem Porscheausflug, der Lebensretter und der Gerettete. Oder der kleine Junge aus Schweden, der dank einer Spenderin aus Deutschland wieder mit dem Schneemobil umhersausen kann.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden