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Langweid: Wohnen im Schützenhaus

Langweid

Wohnen im Schützenhaus

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    Reinhard Pösel mit einem Bild der Harburg, wo er mit seiner Familie nach der Vertreibung einquartiert wurde.
    Reinhard Pösel mit einem Bild der Harburg, wo er mit seiner Familie nach der Vertreibung einquartiert wurde. Foto: Andreas Lode

    Die Gemeinde Langweid ist Reinhard Pösel zur liebens- und lebenswerten Heimat geworden, sagt er heute. Dabei stammt der 1944 Geborene eigentlich aus Neudorf-Wies, Hausnummer 55 im Kreis Mährisch-Schönberg (heute: Sumperk). Diese mittlere Kreisstadt liegt in Nord-Mähren, etwa auf halbem Wege (Luftlinie) zwischen Prag und Krakau. Anfang Juni 1946 folgte für Familie Pösel die Ausweisung – wie für so viele andere deutschstämmige Familien in dieser Zeit auch. Schlimmes und für die Familie Aufregendes hatte vor allem Richard Pösels Vater in den Monaten zuvor erlebt:

    „Mein Vater, Richard Pösel, war als gelernter Maurer während des Krieges dienstverpflichtet bei der Organisation Todt, einer paramilitärischen Bautruppe. Er geriet bei Kriegsende Anfang Mai 1945 auf der Halbinsel Hela (Danziger Bucht) in russische Kriegsgefangenschaft, wurde etwa Ende August 1945 aus gesundheitlichen Gründen) entlassen und schlug sich Richtung Neudorf zu seiner Familie durch. Fünf Kilometer vor der Haustüre wurde er von tschechischer Miliz aufgegriffen und wegen illegaler Überschreitung der inzwischen tschechischen Staatsgrenze im Konzentrationslager Zlin, das in den ehemaligen Bata-Schuhwerken eingerichtet war, inhaftiert. Nach neun Monaten wurde er Ende Mai 1946 zur Ausweisung nach Hause (

    Dann kam die Vertreibung. Der kleine Reinhard war damals erst eindreiviertel Jahre alt, seine Schwester Anni immerhin schon zehn. Neben Vater und Mutter war auch noch Großmutter Anna Pösel, Jahrgang 1874, dabei. Für die alte und gebrechliche, außerdem schwer zuckerkranke Frau war die Reise in Bodenmais, dem ersten Halt auf bayerischem Boden, zu Ende. Sie wurde von einem Rot-Kreuz-Arzt zurückgehalten, weil sie den Weitertransport nicht überlebt hätte. Die übrige Familie wurde in kurzen Etappen über Augsburg, wo sie in der Georg-Schule unterkam, über Monheim nach Harburg geschickt. Reinhard Pösel vermutet, dass dies der Transport vom 21. Juni 1946 aus Mährisch-Schönberg mit 1214 Personen war.

    „Die Einquartierung war, zusammen mit vielen anderen Vertriebenen, in der Burg Harburg in einem Saal, dessen Boden durch Kreidestriche in Parzellen von etwa drei mal fünf Metern pro Familie eingeteilt war. Mein Vater wollte sich und seine Familie möglichst bald aus dem Massenquartier befreien und durchstreifte die ganze Stadt auf der Suche nach Wohnraum. Er dachte dabei auch an seine kranke Mutter, die wir in Bodenmais zurücklassen mussten. Schließlich entdeckte er das leer stehende und teilweise ausgeplünderte Schießhaus (Schützenheim). Die Läden zum Garten und die Fensterstöcke fehlten. Ein Wasseranschluss war nicht vorhanden, das Plumsklo in einem seitlichen Anbau.“

    Als Maurer traute sich der Vater von Reinhard Pösel jedoch zu, dass Haus für zwei Familien herrichten zu können und bewarb sich bei der Stadt Harburg darum. Vorsichtigerweise behielt er die Örtlichkeit Schießhaus jedoch für sich, bis ihm der damalige Stadtinspektor per Handschlag versprochen hatte, wenn immer möglich, sein Vorhaben zu unterstützen. Und so kam es, dass Familie Pösel und eine weitere die gastliche Burg verließen und Anfang September 1946 ins Schießhaus zogen. Reinhard Pösel:

    „Hier lebten wir bis Mai 1954. Die Wohnverhältnisse waren vor allem anfangs primitiv. Der erste Küchentisch war ein Schemel, aus Kistenbrettchen zusammengenagelt, die Sitzgelegenheit dazu Ziegelsteine oder der blanke Fußboden. Der Ofenersatz bestand aus einem Loch im Kamin, davor gemauerten Ziegeln, die mit einer rauen Stahlplatte abgedeckt waren. Wasser musste eimerweise von einem Bauernhof, 100 Meter oberhalb am Berg, geholt werden. Die Wohnung bestand aus einer Wohnküche, in der es gerade einmal elektrisches Licht gab, dem Elternschlafzimmer mit Kinderbett (für mich), und einer kleinen Kammer für meine Schwester und die kranke Oma, die Vater aus Bodenmais nachgeholt hatte.

    Die Familie war nun zusammen und glücklich in den „eigenen“ vier Wänden. Fast jede Woche gab es kleine Fortschritte. Der Vater bekam Arbeit bei einer Donauwörther Baufirma und half dort, den bombardierten Bahnhof wieder aufzubauen. Im Winter war er als Maurer regelmäßig arbeitslos. Deshalb zogen wir im Mai 1954 nach Langweid, denn im nahen Augsburg gab es damals zunehmend auch schon Winterbaustellen.“

    Und so ist aus Reinhard Pösel schließlich selbst ein Langweider geworden: Seit 1969 ist er mit einer waschechten Langweiderin verheiratet. (jah)

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