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Langweid: Drei Flüchtlinge im Augsburger Land und ihre Geschichten

Langweid

Drei Flüchtlinge im Augsburger Land und ihre Geschichten

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    Ein Bild aus dem Jahr 2015 nach der Ankunft: Zunächst waren Abdulhakim Al Khalil (links) und Mohammad Almltaji in einem Hochhaus in Langweid untergebracht.
    Ein Bild aus dem Jahr 2015 nach der Ankunft: Zunächst waren Abdulhakim Al Khalil (links) und Mohammad Almltaji in einem Hochhaus in Langweid untergebracht. Foto: Marcus Merk

    Mehr als eine Million Flüchtlinge sind 2015 nach Deutschland gekommen. 126 Menschen sind vor fünf Jahren zunächst in einem Hochhaus in Langweid untergebracht worden. Fünf Jahre später haben wir drei junge Männer besucht, die damals nach Deutschland gekommen sind. Wie haben uns erkundigt, wie es ihnen heute geht.

    Die Männer, die inzwischen in Augsburg und Stadtbergen leben, erzählen von ihren Erfolgen und ihren Niederlagen und zeigen auf, dass Integration gelingen kann. In einigen Bereichen wie in der Bildung und im sozialen Leben gelang ihnen das gut. Schwieriger war und ist es mitunter noch, die Sprachbarriere zu überwinden. Wohnungs- und Arbeitssuche bereiten ihnen Probleme. Doch so unterschiedlich die drei Männer auch sind, eines haben sie gemeinsam: Sie fühlen sich heute in Deutschland zu Hause.

    • Mohammad Aws: "Ich fühle mich nicht mehr fremd"
    Mohammad Aws hat ein Übernahmeangebot für die Zeit nach der Ausbildung.
    Mohammad Aws hat ein Übernahmeangebot für die Zeit nach der Ausbildung. Foto: Marcus Merk

    Wenn er als Pfleger arbeitet, wollen viele Patienten von Mohammad Aws wissen, wo er herkommt: „Ich komme aus Syrien, und ich bin die Krise“, sagt er ihnen dann häufig. Er ist seit fünf Jahren in Deutschland. Zu Fuß und mit dem Schlauchboot war er von Syrien über Libanon, die Türkei und den Balkan nach Deutschland gekommen.

    Die erste Zeit verbrachte er in einem Asylbewerberheim in Langweid. Mit neun anderen Geflüchteten musste er sich eine Wohnung teilen. Besonders ärgerte ihn damals aber seine ungewisse Zukunft: „Ich wollte, dass mein Leben weitergeht“, sagt er. Mittlerweile macht er eine Ausbildung zum Pfleger bei der Arbeiterwohlfahrt.

    Ein Jahr musste er damals warten, bis er überhaupt einen Sprachkurs besuchen durfte. Bei der Aufnahme zum Kurs warnte ihn die Schuldirektorin: „So was wie in der Silvesternacht in Köln will ich hier nicht haben.“ 2015 hatte eine große Gruppe Geflüchteter auf der Domplatte Hunderte Frauen belästigt.

    Flüchtlinge im Landkreis Augsburg: Probleme, eine Wohnung zu finden

    Auch eine Wohnung zu finden, gestaltete sich schwierig. Schon bei seinem Namen winkten viele Vermieter ab, als er sich mit einem Freund, den er auf der Flucht kennengelernt hatte, bewarb. Erst als ein Ehrenamtler sich für die beiden verbürgte, klappte es mit der Wohnung. Die beiden leben noch immer dort.

    Sein Maschinenbaustudium in Aleppo musste er wegen des Bürgerkriegs erst unterbrechen und dann aufhören. In Deutschland wollte er weitermachen, aber er konnte sich an der Universität nicht einleben. Grund dafür seien die Sprachbarriere, die großen Vorlesungsgruppen und die Bürokratie gewesen. „Ich bin einfach mit dem System nicht klargekommen“, erinnert sich Aws.

    Sein Mitbewohner schlug vor, sich auf einen Ausbildungsplatz als Pfleger zu bewerben. Das lag Aws schon eher: „Ich bin ein sehr sozialer Mensch“, sagt er. Das Lernumfeld mit kleineren Gruppen, individueller Betreuung und mehr praktischer Arbeit gefällt ihm besser. „Die Bewohner und Patienten mögen mich auch“, sagt er.

    Mohammed Aws aus Syrien fühlt sich in Schwaben angekommen

    Mittlerweile sei er in Deutschland angekommen, habe eine neue Heimat gefunden. „Ich fühle mich hier nicht mehr fremd.“ Nur eines fällt ihm schwer: „Mit Messer und Gabel essen verlangt schon Konzentration“, sagt er. In Syrien nutzt man dafür die Hände oder einen Löffel.

    Im vergangenen Jahr sah er sogar seine Familie wieder. Er zeigt ein Handyvideo, wie sein Vater, seine zwei Schwestern und seine zwei Brüder ihm tränenreich auf einem türkischen Flughafen um den Hals fallen. 14 Tage verbrachten sie zusammen. Eine echte Freude. Sein Vater und einer der Brüder leben noch in Syrien. „Der Krieg hat sich beruhigt, aber die Wirtschaft funktioniert gar nicht“, sagt er. Sein Bruder verdient als Psychologe weniger als 100 Dollar im Monat. Obwohl sein Einkommen nicht gerade üppig ist, sieht er es als unverzichtbar an, seine Familie zu unterstützen: „Ich will, dass meine Familie sicher und versorgt ist“, sagt er. Wie es aussieht, wird er dazu weiterhin einen Beitrag leisten können: Obwohl seine Ausbildung noch neun Monate dauert, hat er bereits ein Übernahmeangebot.

    • Abdulhakim Al Khalil: "Ich will anderen mein Schicksal ersparen"
    Abdulhakim Al Khalil hat seine Familie fünf Jahre nicht gesehen.
    Abdulhakim Al Khalil hat seine Familie fünf Jahre nicht gesehen. Foto: Marcus Merk

    Eine Geschichte aus einem Praktikum lässt Abdulhakim Al Khalil bis heute nicht los. Als er bei der Asylberatung in München arbeitete, bat ihn eine Frau um Hilfe: „Sie kam in Tränen auf mich zu“, sagt er. Sie war gerade in Deutschland angekommen und hatte ihren Sohn auf der Flucht verloren. Als einer der wenigen dort, die Arabisch sprachen, musste er sich um die Frau kümmern, konnte aber nicht viel für sie tun. Er riet ihr, sich einen Anwalt zu suchen. Immerhin ging die Geschichte gut aus: Das Kind wurde wiedergefunden und lebt mittlerweile bei Verwandten in der Türkei. „Juristisch betrachtet, darf sie ihr Kind aber nicht nachholen“, bedauert er.

    Auch Al Khalil ist geflüchtet. 2015 kam er in Deutschland an. Den Weg hierher hat er sich verdient, indem er in der Türkei als Kellner gearbeitet hat: „Ich war illegal da und hatte keine Rechte“, sagt er. Zwölf Stunden habe er täglich für einen Hungerlohn gearbeitet. Noch heute ist es ihm unangenehm, ein Restaurant zu besuchen, weil er zu viele negative Erinnerungen mit der Erfahrung verbindet.

    Das Leben in der Unterkunft in Langweid war schwer für ihn: Fünf Leute waren in seinem kleinen Zimmer untergebracht. Meinungsverschiedenheiten waren an der Tagesordnung. Viel zu tun gab es nicht, außer zwei Stunden Sprachunterricht am Tag. Einige Bewohner bekamen Depressionen und fingen an zu trinken: „Obwohl sie in Syrien keinen Alkohol angerührt haben“, sagt er.

    Aus Syrien in den Landkreis Augsburg: Bürokratie ist ein großer Unterschied

    Die Hilfsbereitschaft der ehrenamtlichen Helfer im Flüchtlingsheim Langweid imponierte ihm. Er entschloss sich, soziale Arbeit zu studieren: „Ich habe gemerkt, wie sehr soziale Arbeit Menschen helfen kann. Das wollte ich auch tun“, erinnert er sich.

    Der größte Unterschied zu Syrien sei die Bürokratie. „Ich bekomme hier jeden Monat genug Papierkram für ein ganzes syrisches Dorf“, sagt er. Er findet es aber auch beruhigend, dass die Verwaltung hier offenbar ganze Arbeit leistet. Korruption könne man so auch verhindern.

    Geschockt hat ihn dagegen, dass viele Deutsche ihre Nachbarn nicht kennen. „In Syrien ist das unvorstellbar“, sagt er. In Deutschland sei man deutlich distanzierter zueinander.

    Einst Flüchtling, bald Bachelor

    Momentan bereitet er sich auf seine Bachelorarbeit vor. Es soll um die Bekämpfung von Fluchtursachen gehen: „Ich habe wegen politischer und wirtschaftlicher Interessen alles verloren. Das will ich anderen ersparen“, sagt Al Khalil. Nach dem Studium würde er gerne in der Entwicklungshilfe arbeiten.

    Seine Geschwister leben immer noch in Syrien. Sie mussten bereits mehrmals innerhalb des Landes fliehen. Sie sind immer noch dort, weil sie Kinder haben, die sie nicht zurücklassen wollen. „Die Wirtschaft ist komplett kaputt. Das ganze Land ist auf Hilfe aus dem Ausland angewiesen“, sagt er.

    Er hat seine Familie seit fünf Jahren nicht mehr gesehen. Es ist für ihn Ehrensache, seine Familie zu unterstützen. Auch sein Studium finanziert er komplett selbst, als Kassierer im Supermarkt. „Das beeinflusst mein Studium sehr negativ“, sagt er. Seine Arbeit koste ihn viel Zeit, die er lieber mit Lernen verbringen würde.

    • Mohammad Almltaji: "Ich habe so viel Zeit verloren"
    Mohammad Almltaji ist mit dem Studium fast fertig.
    Mohammad Almltaji ist mit dem Studium fast fertig. Foto: Marcus Merk

    In seinem Wohnzimmer hat Mohammad Almltaji einen Koran direkt vor seinem Fernseher stehen. Seine muslimische Religion ist ihm wichtig. Für seine Kommilitonen in seinem Bauingenieurstudium war es anfangs etwas befremdlich, wenn er sich deswegen weigerte, sie in die Diskothek zu begleiten. „Ich darf keinen Alkohol trinken und Frauen treffen kann ich da auch nicht. Was soll ich da?“, sagt Almltaji.

    Er und seine Partnerin haben sich kennengelernt, als sie zwölf Jahre alt waren. Mittlerweile sind sie verheiratet und seine Frau ist im dritten Monat schwanger. Sie sitzt im Nebenraum und hört gerade über Skype eine Medizin-Informatik-Vorlesung. Statt zu tanzen, geht er lieber mit seinen Kommilitonen wandern.

    Almltaji selbst ist fast fertig mit dem Studium. Ihm fehlen nur noch seine Abschlussprojekte. Das ist auch höchste Zeit findet er: „Ich habe durch diesen verdammten Krieg so viel Zeit verloren“, sagt er.

    Mohammed Almltaji arbeitet in einem Ingenieurbüro in Krumbach

    Sein Geld verdient er bei einem Ingenieurbüro in Krumbach, in dem er dort statische Berechnungen anfertigt. Das gehe problemlos, abgesehen vom schwäbischen Dialekt. Der bereitet ihm noch Probleme: „Das ist am Telefon schwer zu verstehen“, sagt er. Aber mithilfe der Kollegen schafft er es meistens doch, alles zu verstehen, ohne noch einmal nachfragen zu müssen: „Das ist mir ein bisschen peinlich“, sagt er.

    Anfangs hatte er es schwer, eine Stelle zu finden: „Die sehen nur deinen Namen“, sagt er. Mehrmals haben potenzielle Arbeitgeber ihm gesagt, dass keine Stelle ausgeschrieben wurde, obwohl er die Anzeige gesehen hatte. Und zudem hatte er gute Noten. Er ist sich sicher, dass das an seiner Herkunft lag.

    In Syrien hatte er bereits zehn Semester Ingenieurwesen studiert. Er hat abgebrochen, weil er sich unsicher fühlte: „Man musste auf jedes Wort aufpassen“, sagt er. Er hatte Angst, festgenommen und gefoltert zu werden, wenn er etwas Falsches sagt. Es sei durchaus vorgekommen, dass man schon für ein Graffito gefoltert wird.

    Flüchtling im Augsburger Land wollte von Anfang an nach Deutschland

    Nach Deutschland wollte er von Anfang an: „Ich habe recherchiert, wo ich mit meiner Ausbildung die besten Chancen habe“, erzählt er. Er habe seinem Gastgeberland nicht auf der Tasche liegen wollen. Er ist über die Türkei nach Deutschland gekommen. Von Izmir ist er bis nach Ungarn gelaufen, dort hat er eine Mitfahrgelegenheit gefunden, die ihn bis zur zentralen Aufnahmestelle nach München gebracht hat.

    Seine ganze Familie hat Syrien verlassen. Sein Vater ist im Libanon, seine Mutter und seine Geschwister in London. Vergangenes Weihnachten haben sie sich das erste Mal seit fünf Jahren wieder gesehen. Er strahlt, wenn er davon erzählt. Als er in London aus dem Flieger gestiegen ist und die Gepäckkontrolle überwunden hatte, fielen ihm seine Verwandten in die Arme. „Eine unheimliche Freude war das“, erinnert er sich. 14 Tage haben sie zusammen verbracht. Familien seien in Syrien enger als in Deutschland: „Dass ein Student am Wochenende keine Lust hat, seine Familie zu besuchen, ist dort unvorstellbar“, sagt er.

    Nach Syrien zurückzukehren, kann er sich in der aktuellen Situation nicht vorstellen.

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