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Landkreis Augsburg: Landrat Martin Sailer: "Wir sind doch alle an der Belastungsgrenze"

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Landrat Martin Sailer: "Wir sind doch alle an der Belastungsgrenze"

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    Als Martin Sailer vergangenes Jahr seinen 50. Geburtstag gefeiert hat, gehörte die Maske schon zur Ausstattung.
    Als Martin Sailer vergangenes Jahr seinen 50. Geburtstag gefeiert hat, gehörte die Maske schon zur Ausstattung. Foto: Marcus Merk (Archivfoto)

    Nach der Inzidenzwert-Panne in der vergangenen Woche musste der Augsburger Landrat Martin Sailer (CSU) ordentlich Kritik einstecken. Viele Menschen waren sauer wegen des ab 14. Januar verhängten Ausflugsverbots aufgrund von falschen Zahlen. Wie konnte das passieren, was sind die Lehren daraus und vor allem, wie entwickelt sich die Corona-Pandemie im Augsburger Land? Darüber sprachen wir mit Sailer. Das Interview fand in seinem Amtszimmer statt.

    Herr Landrat, Sie wollen nun per Video auf Fragen von Bürgern zur Pandemie antworten. Was ist Ihr Anliegen: die Menschen zu informieren oder sie auch ein wenig moralisch aufzurichten?

    Sailer: Beides. Uns geht es doch allen so, dass wir auf baldige Besserung hoffen. Wir wollen unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger wieder stärker mitnehmen und einbinden. Gleichzeitig wollen wir transparent zeigen, woran wir arbeiten. Persönlich ist mir der direkte Kontakt zu meinen Mitmenschen sehr wichtig und der kommt leider in der Pandemie zwangsläufig viel zu kurz. Eine weitere Motivation hinter dem neuen Format ist, dass wir viel Desinformation und Meinungsmache beobachten, der wir mit Informationen aus erster Hand entgegentreten wollen.

    Thema Nummer eins ist die Impfung. Sailer (links) bei einer der ersten Impfungen im Impfzentrum Gablingen.
    Thema Nummer eins ist die Impfung. Sailer (links) bei einer der ersten Impfungen im Impfzentrum Gablingen. Foto: Marcus Merk

    Was sind denn die zentralen Botschaften des Landkreises?

    Sailer: Nichts ist für uns aktuell wichtiger als das Thema Impfen, zu dem wir endlich eine verlässliche und längerfristige Perspektive aufzeigen wollen. Dabei befinden wir uns in einer echten Zwickmühle. Die Bevölkerung hat zu Recht eine hohe Erwartungshaltung an uns, während wir bisher zwangsläufig nur scheibchenweise und kurzfristig über neue Entwicklungen rund um den Impfbetrieb berichten konnten. Das liegt daran, dass wir immens von sich schnell ändernden Vorgaben und Impfstofflieferungen des Freistaats abhängig sind, wobei letztere bisher aus den bekannten Gründen nur unregelmäßig kamen. Daher ist es wichtig, dass wir offen und transparent mit unseren Mitbürgerinnen und Mitbürgern im Gespräch bleiben. Dazu überlegen wir uns neue Wege – beispielsweise die Videos. Was bei allen Problemen nicht untergehen sollte: Derzeit geht die Zahl der Neuinfektionen deutlich zurück. Es sind momentan nur noch um die 50 am Tag.

    Stimmung im Landkreis Augsburg wird immer gereizter

    Welchen Eindruck haben Sie bisher aus den Rückmeldungen gewonnen? Wie ist die Stimmung?

    Sailer: Die Leute sind von der Pandemie und ihren Auswirkungen berechtigterweise genervt und angespannt. Dementsprechend gereizt fallen auch viele Rückmeldungen an uns aus. Wir sind doch inzwischen alle an der Belastungsgrenze: Behörden, Unternehmen, Kulturschaffende und auch die Familien. Allerdings erreichen uns täglich auch viele wohlwollende, solidarische und konstruktive Zuschriften unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger.

    Am Donnerstag vor einer Woche wurden allen Landkreisbürgern Ausflüge untersagt, weil der Inzidenzwert bei über 200 lag. Am Freitag stellte sich bereits heraus, dass dieser Wert falsch war, das Ausflugsverbot blieb aber bis Sonntag. Im Rückblick: Hätten Sie anders und schneller reagieren können?

    Sailer: Ich habe bereits am Freitag mit der Regierung von Schwaben gesprochen, unserer Aufsichtsbehörde. Das Problem war, dass uns das Gesetz so wenig Spielraum gelassen hat. Rechtlich bindend war die Angabe des RKI, die aufgrund einer Verkettung von Gründen an diesem Tag nicht das tatsächliche Infektionsgeschehen abgebildet hat. In Absprache mit der Regierung konnte der Schritt dann einvernehmlich korrigiert werden. Auf anderem oder schnellerem Wege wäre das nicht möglich gewesen.

    Sie haben sich inzwischen an den neuen bayerischen Gesundheitsminister gewandt und in derartigen Fällen mehr Entscheidungsfreiheit für die Landräte gefordert. Ist schon eine Antwort gekommen?

    Der Gesundheitsminister antwortet nicht

    Sailer: Nein. Aber mir und meinen Kollegen in den bayerischen Landkreisen wäre wirklich sehr geholfen, wenn wir da mehr Handlungsspielraum hätten. Man sieht doch immer wieder, wie ungenau die Inzidenzwerte sein können. Das jüngste Beispiel der vom RKI gemeldeten Tageszahlen von minus acht Fällen für unseren Landkreis zeigt, wie wenig belastbar diese Werte sein können.

    Eine Ursache für den zu hoch angesetzten Inzidenzwert waren verzögerte Meldungen vonseiten des Gesundheitsamtes, die bislang an Wochenenden und über die Feiertage nicht an das RKI weitergemeldet wurden. Warum wird das erst jetzt, nach einer Panne, geändert?

    Sailer räumt Fehler ein

    Sailer: Das mag ein Fehler gewesen sein. Aber auf uns trifft das Gleiche zu wie auf viele andere Menschen: Unser Amt arbeitet seit vielen Monaten an der oberen Belastungsgrenze. Während der sogenannten "ersten Welle“ haben Teile unseres Kollegiums sieben Tage die Woche durchgearbeitet und dabei bergeweise Überstunden aufgebaut. Auch über die Weihnachtsfeiertage und um den Jahreswechsel haben wir als Amt mit rund 35 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern durchgearbeitet. Um langfristig über einsatzfähiges Personal zu verfügen, haben wir die Einsatzzeiten im Sommer über die Wochenenden reduziert. Seit die Infektionszahlen und damit auch das zeitkritische Tagesgeschäft der Kontaktpersonenermittlung nachlassen, können wir schichtweise auch wieder die Wochenenden besetzen, um die Zahlenmeldungen künftig an diesen Tagen nicht auszusetzen.

    Ihnen wird vorgeworfen, Sie hätten sich in Sachen Pandemie-Bekämpfung im Vergleich zum vergangenen Frühjahr zurückgenommen, wären weniger öffentlich präsent. Hat das Gründe?

    Sailer: Zu Beginn der Pandemie gab es immensen Erläuterungsbedarf. Die ersten Fälle des Virus im Landkreis, die ersten Quarantäneanordnungen, die ersten intensivmedizinischen Betreuungsfälle: Alles, was heute beinahe alltäglich thematisiert wird, war damals völlig neu. Seither sind wir hier im Landratsamt voll gefordert, um die Dinge nun schlichtweg am Laufen zu halten. Es ist kaum vorstellbar, welchen gigantischen Abstimmungs- und Organisationsaufwand wir allein rund um den Impfbetrieb haben. Ich bin nicht abgetaucht. Entscheidungen mussten getroffen, Abläufe festgelegt und von Virologen Rat angenommen werden.

    Wir haben jetzt fast ein Jahr Corona im Augsburger Land. Wenn Sie die Zeit um zwölf Monate zurückdrehen könnten, was würden Sie anders machen?

    Sailer(schweigt länger, blickt nachdenklich auf den Tisch): Ich würde von Anfang an viel stärker auf Transparenz setzen und zeigen, wie viel Aufwand und Arbeit in unserem Landratsamt hinter den Kulissen täglich stattfindet. Damit die Bürgerinnen und Bürger sehen: Hier arbeiten Menschen mit aller Kraft für ihr Wohl und machen dabei sicher auch mal Fehler. Was mir in den vergangenen Monaten auch oft zu kurz gekommen ist: Wir müssen den Menschen Hoffnung geben. Da fehlt oft der Silberstreif am Horizont. Dass wir zuletzt zu wenig über unsere Arbeit berichtet haben, liegt auch daran, dass einfach immens viel Arbeit anfällt.

    Dem Impfzentrum in Gablingen soll ein weiteres im Süden des Landkreises folgen.
    Dem Impfzentrum in Gablingen soll ein weiteres im Süden des Landkreises folgen. Foto: Marcus Merk (Archivfoto)

    Und was ist Ihr Hoffnungsschimmer?

    Sailer: Hoffnung macht mir beispielsweise die grandiose Solidarität, die wir auf unsere Hilfsaufrufe wegen der in Personalnot geratenen Pflegeheime haben erleben dürfen. Und natürlich der Impfstoff. Der ist derzeit die einzige Perspektive.

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