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Landkreis Augsburg: Kinder in Not: So reagiert das Jugendamt

Landkreis Augsburg

Kinder in Not: So reagiert das Jugendamt

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     Vor einem Monat mussten sich in einer Augsburger Geburtsklinik Eltern von ihrer neugeborenen Tochter verabschieden, die von da an in einer Pflegefamilie leben sollte.
    Vor einem Monat mussten sich in einer Augsburger Geburtsklinik Eltern von ihrer neugeborenen Tochter verabschieden, die von da an in einer Pflegefamilie leben sollte. Foto: imago/Ikon Images (Symbolfoto)

    Dieser Fall bewegt: Vor einem Monat mussten sich in einer Augsburger Geburtsklinik Eltern von ihrer neugeborenen Tochter verabschieden, die von da an in einer Pflegefamilie leben sollte. Erst im letzten Moment hatten die Eltern dem zugestimmt. Unverständlich war der Vorschlag des Jugendamts damals zunächst vor allem für den Vater des kleinen Mädchens: „Ich verstehe nicht, warum unsere Tochter nicht mit uns leben darf“, sagte er der Augsburger Allgemeinen. Von einem absoluten Ausnahmefall hatte Christine Hagen, die Leiterin des Amts für Jugend und Familie im Landkreis Augsburg, gesprochen.

    Ein Ausnahmefall – aber doch kein Einzelfall. Rund 160 Kinder leben im Moment im Landkreis Augsburg bei Pflegefamilien, weitere sind in Kinderheimen untergebracht. Im Gespräch mit der Augsburger Allgemeinen erklärt die Jugendamtsleiterin jetzt, was die meisten dieser Fälle gemeinsam haben: In praktisch jeder Geschichte dieser Kinder und ihrer Eltern spiele psychische Erkrankungen eine Rolle. Oft sind die Eltern oder ein Elternteil erkrankt, manchmal die Kinder selbst, seltener andere Angehörige. Das sei eine Entwicklung, die in den vergangenen Jahren immer deutlicher werde, so Christine Hagen.

    Keine „Frage des Wollens, sondern des Könnens“

    Wenn sich Eltern dann nicht richtig um ihre Kinder kümmern können, dann sei das gar keine „Frage des Wollens, sondern des Könnens“, erläutert sie. Im Zweifelsfall erstellt ein Psychologe mit Zusatzausbildung für Familienpsychologie ein Gutachten über die Erziehungsfähigkeit. Dabei kommt es nicht nur darauf an, dass Eltern in der Lage sind, die Grundversorgung ihres Kindes sicher zu stellen, sie zu waschen und ihnen ausreichend zu Essen zu geben.

    Hier geht es auch um Eltern, die Schwierigkeiten haben, eine sichere Bindung zu ihrem Kind aufzubauen. Ihnen fällt es schwer, auf die Versuche der Kontaktaufnahme schon der Allerkleinsten angemessen zu reagieren. Sie merken nicht, dass das Kind im Moment keinen Hunger hat, auch wenn es eigentlich Zeit für die Mahlzeit ist. Sie erkennen nicht, dass das kleine Kind auf den Arm genommen werden will, wenn es schreit.

    Probleme werden von Generation zu Generation weitergegeben

    Was für Christine Hagen eine besonders dramatische Entwicklung ist: Es gibt Familien, in denen immer neue Generationen mit genau denselben Problemen vom Jugendamt betreut werden. „Da scheint die Bindungsunfähigkeit praktisch „erworben“ zu werden“, so die Jugendamtsleiterin.

    Das Fatale an solch einer Situation erklärt die Leiterin des sozialen Diensts des Amts für Jugend und Familie, Carolin Vöst: Für die eigene spätere Bindungsfähigkeit seien die ersten beiden Lebensjahre entscheidend. Lernen die Kinder das nicht von ihren Eltern, dann sei der Schaden möglicherweise „irreparabel“, ergänzt Christine Hagen. Später fallen Kinder, die diese Art der Vernachlässigung in ihren ersten Lebensjahren durchlitten hätten, manchmal durch aggressives, aber auch selbstverletzendes Verhalten auf. „Das Schlimme ist, diese Vernachlässigung sieht man nicht gleich“, so Carolin Vöst.

    Dennoch soll die Diagnose „Bindungsstörung“ kein Schicksal sein. Das Eltern und Kind getrennt werden, wie im jüngsten Aufsehen erregenden Fall, ist erst das letzte Mittel, mit dem Jugendamt und Familiengericht eingreifen. Davor stehen viele andere Hilfsangebote. Eines davon, das Müttern mit Neugeborenen oder kleinen Kindern gemacht wird, ist eine Betreuung in der Mutter-Kinde-Unterbringung, einer Art Wohngemeinschaft.

    Manchmal wirft die Mutter selbst das Handtuch

    Bei mehr als zwei Dritteln der Mütter, berichtet Christine Hagen, ist das erfolgreich: Sie können anschließend mit ihren Kindern ihr Leben selbst in die Hand nehmen. Doch immer klappt das nicht. Manchmal wirft die Mutter nach wenigen Wochen selbst das Handtuch und ist damit einverstanden, dass ihr Kind in einer Pflegefamilie aufwachsen soll. Doch auch dann gilt: Die Arbeit geht weiter. Es gibt auch Fälle, in denen Kinder nach Jahren zu den Eltern zurückkehren.

    Was genau vor einem Monat passiert ist, lesen Sie hier: Baby kommt aus Geburtsklinik direkt in Pflegefamilie

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