Die Anliegen der Eltern und ihre Forderungen an die Schulen und das Kultusministerium Gehör zu verschaffen, ist schon seit über 20 Jahren Henrike Paedes ehrenamtlicher Job. Im Hauptberuf ist die 66-jährige Stadtbergerin Sängerin. Doch was in der Pandemie an Belastungen auf Schüler und Eltern zukam, war für die Elternvertreterin bislang unbekannt. Wir sprachen mit der stellvertretenden Landesvorsitzenden des Bayerischen Elternverbands über ihren Werdegang, die Belastung der Eltern durch Homeschooling und andere Herausforderungen.
Frau Paede, Sie sind stellvertretende Landesvorsitzende des Bayerischen Elternverbands (BEV). In dieser Rolle sind Sie derzeit ja besonders gefordert. Wie haben Sie das zurückliegende Corona-Jahr erlebt?
Paede: Es herrscht große Aufregung und ist sehr viel Arbeit. Ich habe fast den ganzen Tag mit der Verbandsarbeit zu tun, Stellungnahmen, Forderungspapiere und Pressemitteilungen schreiben, Eltern beraten, Positionsabstimmungen und Videokonferenzen im Vorstand durchführen. Wir standen ja als Elternverband auch plötzlich vor der völlig neuen Frage, wie Unterricht zu Hause überhaupt funktionieren kann. Im ersten Lockdown waren die Eltern noch aufgeregter als jetzt. Denn ihnen wurde quasi eine Aufgabe übertragen, die sie eigentlich nicht leisten können, nämlich Hilfslehrer ihrer Kinder zu sein. Dutzende Blätter auszudrucken und die Aufgaben zu erklären und zu korrigieren, das darf wirklich nicht ihr Job sein. Denn Unterricht bleibt natürlich Aufgabe der Lehrer. Inzwischen ist das aber besser geworden.
Ihr Posten im BEV ist ja ehrenamtlich. Wie kommt es, dass Sie so viel Zeit dafür haben?
Paede: Ich bin von Beruf Sängerin (Mezzosopran) und lebe seit fast 30 Jahren in Stadtbergen. Früher war ich beim Chor des Bayerischen Rundfunks festangestellt, jetzt im Alter von 66 Jahren arbeitete ich nur noch freiberuflich und seit Corona natürlich kaum mehr. Deshalb habe ich mehr Zeit für den Elternverband.
Wie sind Sie zum BEV gekommen? Durch den Elternbeirat?
Paede: Ich habe zwei (heute erwachsene) Söhne und war vor 25 Jahren zunächst Elternbeirätin in der Grundschule, später am Holbein-Gymnasium. Elternbeirats-Vorsitzende war damals die famose Beate Schabert-Zeidler, die heute noch im Augsburger Stadtrat sitzt. Von ihr habe ich alles gelernt. Später konnte ich mich der Schule meines anderen Sohnes widmen, der Fritz-Felsenstein-Schule. Dort war der Bedarf an Hilfe viel größer als am Gymnasium, wo viele Eltern selbst sehr gebildet und handlungsfähig sind. Die Eltern und von Kindern mit Beeinträchtigungen haben viel größere Nöte. Dieser Eltern konnten wir uns verstärkt annehmen.
Vor Corona waren Eltern manchmal eher lästiges Übel
Ich glaube, damals war die Kultur der Elternarbeit an den Schulen noch eine andere?
Paede: Ja, manchmal wurden Eltern früher als lästiges Übel angesehen, da war keine Rede von der „Bildungs- und Erziehungspartnerschaft“ von Schule und Elternhaus, die heute im Schulgesetz steht. Ich persönlich habe aber damals überwiegend gute Erfahrungen gemacht. Es kommt halt auch darauf an, wie man selbst kommuniziert und ob man nur gleich mit Vorwürfen ankommt, wenn etwas nicht passt.
Was war anfangs Ihr Schwerpunkt beim Bayerischen Elternverband?
Paede: Als Elternbeiratsvorsitzende der Fritz-Felsenstein-Schule habe ich einen Leitfaden für bedürftige Eltern entwickelt, wie man es schafft, dass das Jobcenter die Schülerfahrten übernimmt. Das wurde von den Behörden oft rechtswidrig abgelehnt. Dieses Merkblatt habe ich dann dem BEV für andere Eltern zur Verfügung gestellt. 2008 bin ich fest beim BEV eingestiegen. Da mir das Sachgebiet Förderschule anvertraut wurde, war ich rasch im Vorstand und wurde 2011 stellvertretende Vorsitzende. Gerade wurde ich in diesem Amt für die nächsten drei Jahre wiedergewählt Danach will ich aber Schluss machen. Zum Glück sind aktuell viele engagierte und kluge Jüngere nachgerückt, die können dann übernehmen.
In der Corona-Krise haben der BEV und auch andere Elternverbände nicht mit Kritik am Krisenmanagement des Kultusministeriums gespart. Immer wieder wenden Sie sich mit Ihren Forderungen ans Ministerium, zum Beispiel mit offenen Briefen, die dann in der Presse veröffentlicht werden. Erhalten Sie dann eigentlich eine Antwort vom Kultusministerium?
Paede: Nein, eine direkte Antwort erhalten wir nicht, aber oft stellen wir später fest, dass unsere Forderungen umgesetzt wurden. So war es zum Beispiel bei den „Hinweisen und Standards für das Lernen zu Hause“, die unsere Forderungen 1 zu 1 abbilden und als Anweisung an die Schulen gingen. Unser Vorsitzender Martin Löwe vertritt uns meist bei den Videokonferenzen mit dem Kultusminister oder dem Ministerpräsidenten, da kann er unsere Anliegen auch direkt vorbringen. Wir sind hauptsächlich Ansprechpartner für den Bereich der Grund-, Förder- und Mittelschulen, obwohl wir Eltern aller Schularten vertreten.
Corona: "Alles hat so furchtbar lange gedauert."
Welche Forderungen hat der BEV in der Corona-Krise gestellt?
Paede: Vor allem einen qualitativ hochwertigen Distanzunterricht. Schon der erste Lockdown hat gezeigt, dass die Digitalisierung der Schulen in der Vergangenheit total verschlafen wurde. Jetzt musste Distanzunterricht stattfinden, aber weder die notwendige Technik war da, noch wussten die Lehrkräfte, wie es geht. Dass es dann so furchtbar lange gedauert hat, bis alles halbwegs funktionierte, und dass Mebis Anfang Dezember wieder zusammengebrochen ist, das haben wir wirklich nicht verstanden.
Bis heute liegt ja noch vieles im Argen. Man hätte zum Beispiel längst digitale Lehrmedien erstellen können, wie das in anderen Ländern gemacht wird. Das würde auch die Lehrer entlasten. Es ist unsinnig, wenn jeder Lehrer mühsam seinen eigenen Digitalunterricht aufbauen muss. Wir fragen uns, was man in den letzten zehn Monaten eigentlich gemacht hat. Zurzeit wird bei uns zu viel dem Datenschutz geopfert, und manche Lehrkräfte nehmen für sich in Anspruch, dass ihr Online-Unterricht nicht von Eltern verfolgt werden darf. Als ob die Eltern dafür Zeit hätten! Davon abgesehen, sollte es im Unterricht nichts zu verbergen geben.
Derzeit sind ja stark die Abschlussprüfungen in der Diskussion. Was meinen Sie dazu?
Paede: Viele Eltern sorgen sich sehr um die Bildungskarriere ihrer Kinder. Wir haben „Freischüsse“ für Abschlussprüfungen gefordert sowie Vorrücken und Übertritt nicht nach Noten, sondern nach Maßgabe eines individuellen Gesprächs zwischen Lehrkraft und Eltern. Mittlerweile ist klar, dass man das Versäumte in diesem Schuljahr nicht mehr aufholen kann. Deshalb fordern wir, den Lehrplan endlich abzuspecken. Das ISB (Institut für Schulqualität und Bildungsforschung, Anm. d. Red.) bietet hierfür Hilfe, aber anscheinend will das Kultusministerium den Lehrplan nicht offiziell reduzieren.
Nach dem Lockdown: Jetzt muss mal wieder Ruhe einkehren
Es herrscht ein wahnsinniger Druck, schnell-schnell soll alles durchgepaukt werden. Das halten wir für falsch. Die Schüler müssen nicht alles wissen, denn Wissen kann man überall abrufen, sondern sie sollen etwas können. Wir wünschen uns vor allem, dass jetzt Ruhe einkehrt, wieder eine gute Portion Spaß in den Unterricht kommt und der Doppelstress für die Eltern endet. Deshalb sind wir auch gegen die Streichung der Faschingsferien. Für die Grundschüler wünschen wir uns, dass sie als Erste wieder in die Schule gehen können, sobald es möglich ist.
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