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Kreis Augsburg: Demenz: Und plötzlich ist die Welt eine andere

Kreis Augsburg

Demenz: Und plötzlich ist die Welt eine andere

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     „Manchmal möchte man vor Ungeduld aus der Haut fahren.“ Seit drei Jahren pflegt Magdalena Menzel ihren an Demenz erkrankten Ehemann Erich. Unter den

    Familie Wenzel wohnt schon seit Ewigkeiten in Horgau, in einem schmucken Einfamilienhaus mit langer Hofeinfahrt. „Nicht gleich an der Straße, da ist doch so viel los.“ Magdalena Menzel ist eine zierliche Frau, feine Lachfältchen ziehen sich um ihre Augen, sie strahlen Optimismus aus. Die Diagnose Demenz steht seit 2011 fest. Doch angefangen hatte alles schon viel früher. Vor sechs Jahren erleidet Erich Menzel einen Schlaganfall. Da war er 82 Jahre alt. Ein Tag der alles veränderte. „Sein rechtes Auge hing“, erzählt Magdalena Menzel. Die rechte Gehirnhälfte wurde irreversibel geschädigt. Gedächtnislücken kamen schnell hinzu. „Aber die hatten wir noch auf den Schlaganfall geschoben“, so Menzel. Ihr Mann kommt für mehrere Wochen zur Rehabilitation nach Ichenhausen.

    Krankheitsverlauf ist typisch für die Demenzerkrankung

    Das ist Alzheimer

    Alzheimer ist eine bis heute unheilbare, neurodegenerative Erkrankung. Sie führt dazu, dass in bestimmten Bereichen des Gehirns Nervenzellen und Nervenzellkontakte zugrunde gehen.

    Alzheimer ist die häufigste Ursache für Demenz, an der nach Angaben der Deutschen Alzheimer Gesellschaft bundesweit 1,5 Millionen Menschen leiden (Stand 2014). Die meisten Patienten sind 85 Jahre und älter.

    Da die Gesellschaft altert, gehen Experten davon aus, dass die Zahl der Demenzkranken bis zum Jahr 2050 auf rund drei Millionen steigen wird - sofern kein Durchbruch in der Therapie gelingt.

    Alzheimer ist zwar nicht heilbar, doch das Fortschreiten der Symptome lässt sich mit Medikamenten vorübergehend hinauszögern. Oft ist eine Beaufsichtigung rund um die Uhr nötig - eine immense Herausforderung für pflegende Angehörige.

    Das Wesen des Erkrankten verändert sich. Viele Patienten erkennen ihre Angehörigen nicht mehr, manche werden aggressiv. In fortgeschrittenem Stadium weiß ein Patient nicht mehr, wo er sich befindet und wer er ist.

    Um das Risiko einer Erkrankung zu verhindern, kann man sich lediglich an ein paar Faktoren halten. Dazu zählen eine ausgewogene Ernährung sowie geistige, soziale und körperliche Aktivität.

    Magdalena Menzel besucht ihn regelmäßig, geht mit ihm spazieren und versucht ihren Mann Stück für Stück ins Leben zurückzuholen. Doch der zieht sich immer mehr zurück und wird plötzlich wortkarg. Magdalena Menzel erzählt: „Wenn ich ihn fragte, was er den Tag über gemacht habe, dann antwortete er immer: Nichts.“ Irgendwann wird sie stutzig und beschließt, sich selber ein Bild über die Behandlung ihres Mannes zu machen. Also fährt sie eines Tages schon morgens in die Klinik und findet ihren Mann bei therapeutischen Anwendungen wieder. „Gymnastik, Physiotherapie, er hatte ein volles Programm“, sagt sie.

    Magdalena Menzel ist überrascht. Warum kann sich ihr Mann nicht an die Therapien vom Vormittag erinnern? „Da habe ich das erste Mal mit Schrecken festgestellt, dass etwas nicht stimmen kann“, sagt sie. Doch noch liegt der Gedanke nah, dass es sich um Folgen des Schlaganfalls handeln könnte. Wieder zu Hause ist ihr Mann ein anderer. „Das Interesse an vielen Dingen war einfach weg“, sagt sie. Hinzu kam ein neuer Wesenszug, den sie vorher nicht gekannt hatte: „Er wurde aggressiv.“ Was sie damals noch nicht wusste, der Krankheitsverlauf ist typisch für die Demenzerkrankung. Der Schlaganfall hatte den Verlauf wahrscheinlich noch zusätzlich beschleunigt.

    Da zeigte der Ehemann schon eindeutige Symptome

    Für Magdalena Menzel war der Zeitpunkt gekommen, um zu handeln. In Neusäß macht sie einen Termin beim Neurologen. Der vertröstet die Familie noch mit den Worten: „Haben Sie Geduld.“ Doch für Magdalena Menzel manifestiert sich ein Gedanke: Mein Mann ist dement. Die Gewissheit erhält sie kurze Zeit später, da zeigt Erich Menzel schon eindeutige Symptome. Heute geht sie offen mit der Erkrankung ihres Mannes um. „Es gibt gute und schlechte Tage“, sagt sie. Gerade seien es gute.

    Demenz in Deutschland

    Derzeit gehen Experten davon aus, dass jeder dritte Mann und jede zweite Frau damit rechnen muss, im Lauf des Lebens an Demenz zu erkranken.

    Das besagt der Pflegereport 2010 der Krankenkasse Barmer GEK. Die Zahl von 1,2 Millionen Demenzkranken wird sich demnach bis 2060 auf 2,5 Millionen mehr als verdoppeln.

    Von den Dementen gelten rund zwei Drittel als pflegebedürftig. Pro Monat braucht ein Demenzkranker im Schnitt gut 500 Euro mehr von den Pflege- und 300 Euro mehr von den Krankenkassen als ein durchschnittlicher Versicherter, hat der Autor der Studie, Heinz Rothgang, errechnet.

    Das sind rund 10 000 Euro im Jahr. Rechnet man die steigende Zahl der Dementen hoch, kommt man längerfristig auf einen zweistelligen Milliardenbetrag, der zusätzlich nötig wäre.

    Die Zahl der Pflegebedürftigen könnte laut Experten von derzeit mehr als 2,4 Millionen bis zum Jahr 2030 auf 3,4 Millionen steigen. 2050 könnte es laut Statistischem Bundesamt sogar 4,5 Millionen Pflegebedürftige geben. Hauptgrund ist die höhere Lebenserwartung.

    Erich Menzel sitzt am Tisch, erzählt von früher, aus Kriegszeiten und der Familie in Schlesien. Frühe Erinnerung bleiben meist am längsten erhalten. Wo hingegen das Zeitverständnis oder die Erinnerung an das Geschehen der letzten zehn Minuten, dem 88-Jährigen längst abhanden gekommen sind. Magdalena Menzel legt ihrem Mann zärtlich die Hand auf die Schulter. Natürlich habe sich sein Wesen verändert, sagt sie. An manchen Tagen habe sie ihn nicht wiedererkannt. Doch dann kommen Momente, da sind die Augen unglaublich wach. Dann nennt er sie wieder „meine Leni“. „Er bedankt sich bei mir und sagt mir, wie froh er ist, mich zu haben“, erzählt sie. Diese Augenblicke entschädigen für vieles. Denn die Tage zerren an den Kräften. „Die Rundum-Pflege hat mich schon oft an die Grenzen gebracht.“

    Regelmäßig kommen nun ausgebildete Betreuerinnen vom BRK und der Sozialstation Zusmarshausen. Die liebevollen Helferinnen sind immer dann zur Stelle, wenn Magdalena Menzel die Puste ausgeht. „Dann komme ich mal raus“, sagt sie. Seit Kurzem besucht sie auch den Gesprächskreis des

    Demenz ist eine Volkskrankheit

    Demenz ist eine Volkskrankheit, die trotzdem noch nicht in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist. 2050 wird die Zahl der Erkrankten auf das Doppelte angestiegen sein. Dennoch wird Demenz meist hinter verschlossenen Türen versteckt. „Dabei tut es gut, offen damit umzugehen“, sagt Magdalena Menzel. Ein gutes Netzwerk helfe dabei, mobil zu bleiben und auch als pflegender Angehöriger wertvolle Auszeiten zu bekommen. Denn gerade die Familie leidet meist noch mehr als der Betroffene selber. In den Pflegestufen wird Zuwendung in Minuten definiert. Umfasst die Hilfestellung täglich 90 Minuten oder doch schon 180. Da kann die Horgauerin nur mit dem Kopf schütteln. Sollen die Politiker doch mal einen Tag vorbeikommen, denkt sie sich oft. „Das ist ein 24 Stunden Job“, betont sie. Doch sie mache ihn gerne. Erich und sie, das war Liebe auf den ersten Blick. „Und wir haben hoffentlich noch ein paar Jahre vor uns“, sagt sie.

    An Demenz kann generell jeder erkranken. Experten sind sich sicher, dass es schon Jahre vor den ersten Anzeichen einer Erkrankung zum Absterben von Nervenzellen komme. Bis sich die ersten Symptome der Vergesslichkeit zeigen, vergehen oft Jahrzehnte. Das mache die Demenz so heimtückisch. Magdalena Menzel hat deshalb eine Botschaft an die Menschen: „Genießen Sie das Leben in vollen Zügen, denn man weiß nie wie es einmal kommen wird.“

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