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Interaktive Karte: Analyse: Wählen arme Menschen wirklich eher AfD?

Interaktive Karte

Analyse: Wählen arme Menschen wirklich eher AfD?

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    Haben bei der Landtagswahl wirklich eher Menschen die AfD gewählt, die weniger verdienen?
    Haben bei der Landtagswahl wirklich eher Menschen die AfD gewählt, die weniger verdienen? Foto: Marcus Merk

    Bayern hat gewählt, und das Ergebnis wird oft mit dem Streit der Politiker in Berlin begründet. Aber es gibt noch andere Faktoren, die bei der Wahl eine Rolle spielen: objektive Daten wie Alter, geografische Lage oder Vermögen. Besonders der letzte Punkt hat uns interessiert. Denn auch im reichen Landkreis Augsburg, in dem nahezu Vollbeschäftigung herrscht, gibt es gewaltige Unterschiede.

    Die aktuelle Sozialraumanalyse zeigt, wie unterschiedlich die Menschen im Landkreis verdienen. In Aystetten beispielsweise haben nur 1,5 Prozent aller Haushalte ein mittleres monatliches Nettoeinkommen von weniger als 1500 Euro. In Langerringen sind es mehr als ein Viertel aller Haushalte. Genauso unterscheiden sich die Nachbarstädte Gersthofen und Neusäß mit 22,1 und 8,8 Prozent (siehe Karte unten).

    Mehr als 30.000 Menschen im Landkreis mit Minijob oder in Teilzeit

    1500 Euro sind für einen Haushalt mit ein oder zwei Personen nicht unbedingt wenig. Für die finanzielle Situation entscheidend ist aber, ob sie zur Miete wohnen oder Eigentum besitzen. Zumal im Landkreis die Anzahl der Betroffenen, die einen Minijob haben oder in Teilzeit- oder Leiharbeitsverhältnissen eingestellt sind, von Jahr zu Jahr steigt. Allein im Augsburger Land sind das mehr als 30.000 Menschen – ein Rekordwert. Gleichzeitig steigen Mieten und Lebenshaltungskosten stetig, das setzt Menschen immer weiter unter Druck.

    Diese Beobachtungen haben wir mit den Wahlergebnissen der Alternative für Deutschland (AfD) verglichen. Gemeinsam mit Alexander Kritikos, Forschungsdirektor am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin, haben wir analysiert, ob zwischen den Faktoren Einkommen und Wahlverhalten ein Zusammenhang besteht. Kritikos sagt: „Wie bereits nach der Bundestagswahl zeigte sich: Dort, wo die Menschen im Landkreis wenig verdienen, ist die AfD stark. Wo die Einkommen hoch sind, ist die rechte Partei eher schwach.“ Dieser Zusammenhang scheint sich auch für den Landkreis Augsburg zu bestätigen. Drei Beispiele: In Aystetten holt die AfD bei den Zweitstimmen 8,3 Prozent, in Langerringen sind es 12,0 Prozent. Auch in den Nachbarstädten Gersthofen mit 14,5 Prozent und Neusäß mit 10,0 Prozent ist die populistische Partei unterschiedlich stark. In Stadtbergen, wo 13,8 Prozent der Haushalte weniger als 1500 Euro haben, holt die AfD 9,5 Prozent. In Königsbrunn – dort sind es 23,0 Prozent – liegt die AfD bei 13,6 Prozent (siehe Karte unten). Zum Vergleich: Der Durchschnittswert im Stimmkreis Augsburg-Land-Süd liegt bei 11,1 Prozent, im Stimmkreis Augsburg-Land-Dillingen bei 11,8.

    Klicken Sie auf unsere interaktive Karte: Dort sind alle 46 Städte und Gemeinden farblich nach Einkommensstruktur markiert. Sie zeigen den Anteil der Haushalte mit einem monatlichen Nettoeinkommen von unter 1500 Euro. Lila = über 25 Prozent; Rosa = unter 25 Prozent; Gelb = unter 22 Prozent; Hellgrün = unter 19 Prozent; Dunkelgrün = unter 16 Prozent

    Wahlforscher: Geringverdiener fühlen sich abgehängt

    „Natürlich gibt es auch Ausnahmen“, sagt Alexander Kritikos. Zum Beispiel Altenmünster und Schwabmünchen. In kleineren Gemeinde ist zudem die Aussagekraft der Zahlen begrenzt, weil im Verhältnis dort weniger Menschen wählen gehen. „Insgesamt stehen die Wahlergebnisse aber im Einklang mit unserer aus der Bundestagswahl gewonnenen These.“ Wahlforscher stellten schon seit Jahren fest, dass sich Geringverdiener von der Politik nicht angesprochen fühlen und deshalb entweder gar nicht wählen gehen oder nun eben für die AfD stimmen, erklärt Kritikos. Eine mögliche Ursache:

    In den vergangenen 20 Jahren ist in den unteren Einkommensschichten der Reallohn gesunken. Das heißt: Die untere Hälfte in der Lohnverteilung der gesamten Gesellschaft verdient immer weniger. „Gleichzeitig vermittelt die Politik aber nicht den Eindruck, dass sie an der Situation der weniger Wohlhabenden etwas ändern wird“, erklärt Kritikos. Stattdessen werben viele Politiker mit dem Wohlstand für alle, nach dem Motto: Es geht uns so gut wie nie. „Doch gerade bei den weniger Wohlhabenden ist von dieser Wohlstandssteigerung eben nichts angekommen. Das führt zu Verdruss.“

    Der Politologe Alexander Kritikos vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung.
    Der Politologe Alexander Kritikos vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Foto: Bettina Keller

    Deshalb wenden sich viele dieser Menschen der AfD zu. „Sie bietet nämlich für solche Probleme scheinbar einfache Lösungen an und richtet sich damit genau an die Menschen, die nicht an den Wohlstandssteigerungen teilnehmen und frustriert sind.“

    "Prekäre Lebensverhältnisse schaden der Demokratie"

    Auf dem Land wird diese Frustration noch größer. Denn dort fühlen sich die Menschen von der Politik im Stich gelassen, wenn Schulen und Krankenhäuser geschlossen werden. „Auch dort wenden sich deshalb mehr Menschen der AfD zu.“ Das fand Alexander Kritikos nach der Bundestagswahl heraus. Vieles spricht dafür, dass sich dieses Wahlverhalten auch in den bayerischen Landtagswahlen bestätigt hat. Zum Beispiel ist die AfD in den relativ weitgesiedelten Holzwinkelgemeinden Emersacker, Welden und Heretsried – mit Ausnahme von Bonstetten – stark.

    Dass immer mehr Menschen mit geringem Einkommen für die AfD stimmen, hält Armutsforscher Christoph Butterwegge aus Köln für bedenklich. „Ebenso problematisch ist, dass prekäre Lebensverhältnisse häufig sogar zur Wahlabstinenz führen.“ Laut Butterwegge kann das sogar die Demokratie gefährden: „Deren Sinn ist, dass alle Bevölkerungsschichten im politischen Geschehen repräsentiert sind.“ Wenn aber ein Teil der Bürger, zum Beispiel Arme und Alleinerziehende, kaum vertreten sind, ist das politische System infrage gestellt. „Man kann es so sagen: Prekäre Lebensverhältnisse schaden der Demokratie. Denn wenn nicht alle wählen, die entscheidungsbefugt sind, dann ist es nicht mehr gerecht, wie sich Deutschland entwickelt.“

    Der Kölner Armutsforscher Christoph Butterwegge hält es für bedenklich, dass immer mehr Menschen mit geringem Einkommen für die AfD stimmen.
    Der Kölner Armutsforscher Christoph Butterwegge hält es für bedenklich, dass immer mehr Menschen mit geringem Einkommen für die AfD stimmen. Foto: Federico Gambarini, dpa

    Doch Butterwegge fragt sich: Wie sollen sich Arme oder Alleinerziehende in den Entscheidungsprozess einbringen? „Solche Menschen plagen schließlich ganz andere Sorgen. Die arrivierten Politiker in Berlin oder München wissen doch gar nicht, wie es ist, wenig Geld zu haben. Sie sind weit entfernt von der direkten Lebenswirklichkeit der Armen.“

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