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Hausbeuche: Hausbesuch: Von zwei Häusern, die auszogen, um eine Heimat zu finden

Hausbeuche

Hausbesuch: Von zwei Häusern, die auszogen, um eine Heimat zu finden

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    Die Sölder aus Siegertshofen, einem Ortsteil von Fischach, steht seit zehn Jahren im Bauernhofmuseum Illerbeuren. Sie wurde komplett abgetragen und wieder aufgebaut. Das Dach wurde wie früher mit Roggenstrohgedeckt.
    Die Sölder aus Siegertshofen, einem Ortsteil von Fischach, steht seit zehn Jahren im Bauernhofmuseum Illerbeuren. Sie wurde komplett abgetragen und wieder aufgebaut. Das Dach wurde wie früher mit Roggenstrohgedeckt. Foto: Marcus Merk

    Bei diesem Hausbesuch steht kein frisch gebrühter Kaffe auf dem Tisch. Ein Stück Kuchen gibt es genauso wenig wie einen Gesprächspartner, der die Türe öffnet. Denn bei diesem Hausbesuch geht es um einen Hausbesuch im Wortsinn – besucht werden nämlich zwei Häuser, die jedermann im Bauernhofmuseum Illerbeuren offen stehen. Sie stammen aus dem Augsburger Land und sind vor Jahren auf große Reise gegangen.

    Ein Haus zieht aus: Vor zehn Jahren begann für das Kleinbauerngehöft aus dem Fischacher Ortsteil Siegertshofen ein neues Leben. Es war abbruchreif und sollte einer Halle weichen. Denkmalpfleger erkannten den kulturhistorischen Wert des Gemäuers. Viele, teils mühevolle Arbeitsschritte waren seit dem 2004 beschlossenen Umzug notwendig, um die Sölde, die einst einem Schneider gehört hatte, abzutragen. Das Gehöft wurde zuvor vermessen, gezeichnet und fotografiert. Auf Tiefladern kam das Kleinbauerngehöft in Illerbeuren zunächst zur fachgerechten Restaurierung zu Baudenkmalpflegern und wurde dann auf dem Gelände des Bauernhofmuseums wieder aufgebaut.

    Große Aufregung um das Dach

    Angekommen: Im Bauernhofmuseum Illerbeuren wurde die Sölde wieder aufgebaut. Dort erhielt das Haus sein ursprüngliches Dach aus Roggenstroh.
    Angekommen: Im Bauernhofmuseum Illerbeuren wurde die Sölde wieder aufgebaut. Dort erhielt das Haus sein ursprüngliches Dach aus Roggenstroh. Foto: Tanja Kutter, Bauernhofmuseum

    Bei der Eröffnung – Dr. Walter Pötzl gab während seiner Rede eine kurze Einführung in das (bauern-) häusliche Leben um 1670 – hatte die Sölde noch kein Dach über dem Kopf. Eine Provinzposse. Statt der Stroheindeckung flatterte nur eine Plastikplane über den braunen Dachsparren. Das hatte einen Grund.

    Die Dachdecker aus Ungarn durften nämlich nicht arbeiten. Die Experten hätten das Dach rechtzeitig zur Einweihung decken können. Doch die Rechnung war ohne die Arbeitsagentur gemacht worden. Da ungarische Arbeitnehmer nach damaligem EU-Recht nur in begrenzter Zahl in Deutschland beschäftigt werden durften, verweigerte ihnen die Behörde in Frankfurt die schnelle Genehmigung.

    Das Verfahren zog sich hin – mit dem Ergebnis, dass Sturm und Regen einmal die Plastikplane vom Dach der aufwendig restaurierten Sölde rissen. Es regnete hinein, der Deckenputz blätterte ab. Daraufhin musste wieder aufwendig restauriert werden.

    Die Ungarn, die auch in Museen in Österreich und den Niederlanden gut bekannt war, meldeten schließlich ein Gewerbe an und durften das Haupt krönen. Erst dann konnten sie das Roggenstroh mit ihren Spezialwerkzeugen, die an Fleischklopfer erinnern, verdichten. Überstehende Borsten stutzten sie mit der Heckenschere. Jetzt sitzt die Frisur.

    Viele Kinder sterben zu dieser Zeit

    Unter der Haube spielten sich früher übrigens menschliche Dramen ab. Jakob Rössle, der die Sölde 1863 von seinem Vater übernommen hatte, brachte mit seiner Frau Elisabeth Micheler aus Siegertshofen sechs Kinder zur Welt. Nur Sohn Joseph sollte das Erwachsenenalter erreichen. Alle anderen Geschwister starben früher. 1871 ereilte Rössle der nächste Schicksalsschlag: Seine Frau Elisabeth, die aus einer Schuhmacherfamilie stammte, starb ebenfalls. Rössle heiratete wieder. Doch diese Ehe blieb kinderlos.

    Bewohnt: So sah die Sölde in Siegertshofen um das Jahr 1950 aus. Damals war das Bauernhaus im Fischacher Ortsteil noch bewohnt.
    Bewohnt: So sah die Sölde in Siegertshofen um das Jahr 1950 aus. Damals war das Bauernhaus im Fischacher Ortsteil noch bewohnt. Foto: Tanja Kutter, Bauernhofmuseum

    Heike und Robert Brandt aus Gernsbach bei Baden-Baden haben sich das alte Gemäuer angeschaut. „Mein Herz hat gleich höher geschlagen“, sagt Urlauberin Heike Brandt. Sie hat sich in die alten Höfe verliebt. Ihr Mann ist skeptischer: Was im Museum zu sehen ist, entspreche nicht dem harten Leben früher.

    Wie die Rössles damals lebten, zeigen das ausgestellte Mobiliar, die Gebrauchsgegenstände und der bauliche Zustand mit massiven Ziegelwänden und einem Kamin. Auch die Farbgebung in den Räumen ist an zwei Stellen im Original zu sehen. Wie ausgeprägt die Wandgestaltung mit der so genannten Schablonenmalerei damals war, können die Besucher des Bauernhofmuseums auch in der Torfwirtschaft entdecken.

    Das Gebäude wurde 1864 gebaut

    Das schief stehende Gebäude stand einst im Moor im Bremental bei Jettingen. Otto Hamp aus Dinkelscherben hatte es gekauft und daraus ein gut gehendes Ausflugslokal gemacht. Das Gebäude wurde 1864 gebaut und zeigt sich in Illerbeuren im Zustand von 1920.

    Etwas jünger ist ein weiteres Haus aus dem Augsburger Land: das frühere „Behelfsheim“ aus Gessertshausen. Es war eines der vielen Gebäude, die in den letzten Kriegsmonaten in ganz Deutschland gebaut wurden, um den Ausgebombten eine Bleibe zu bieten.

    Vor dem Abriss gerettet hat das Behelfsheim eine lange graue Unterhose. Die Hausbesitzer, die auf dem Grundstück neu bauen wollten, hatten das geschätzt 50 Jahre alte Kleidungsstück entdeckt. Es steckte schon in einem Kleidersack, als sich die damalige Hausbesitzerin Christine Holl-Enzler daran erinnerte, dass im Volkskundemuseum Oberschönenfeld eine Textilausstellung vorbereitet wurde. Sie meldete sich und so rückte das Behelfsheim in den Fokus der Historiker.

    Mobiliar vermittelt urdeutsche Gemütlichkeit

    Wer es betritt, bekommt den Kontrast des Dritten Reichs vor Augen geführt. Das Mobiliar aus dem Fundus des Museums vermittelt urdeutsche Gemütlichkeit in einer Zeit brutalster Diktatur. Im Wohnzimmer hängt ein Porträt von Adolf Hitler, auf einer Kommode steht ein Volksempfänger. Im Keller des Holzhauses wird dieser Kontrast thematisiert: Zu sehen ist ein übergroßes Foto von jubelnden Menschenmassen bei einem Hitler-Besuch 1937 in der Fuggerstraße in Augsburg. An der Wand daneben der Verbrennungsofen im Krematorium des KZ Buchenwald als Symbol für die Ermordung von vielen Millionen Menschen. An der dritten Wand wird das von Bomben zertrümmerte Augsburg gezeigt.

    In der Tenne direkt neben dem Wohnteil des Bauernhofs finden sich heute en Fuhrwerk und Werkzeuge.
    In der Tenne direkt neben dem Wohnteil des Bauernhofs finden sich heute en Fuhrwerk und Werkzeuge. Foto: Marcus Merk

    In den Kellerräumen daneben ist das Labor und das Fotostudio des Fotografen Wilfried Schröter ausgestellt, der als Letzter in dem Behelfsheim wohnte. Ironie der Geschichte: Schröter lebte zeitweise von Porträtaufnahmen amerikanischer Besatzungssoldaten.

    Ein Besuch im Bauernhofmuseum

    • Bauerhofmuseum Es wurde 1955 als erstes seiner Art in Süddeutschland geöffnet. Es zeigt Zeugnisse der ländlichen Baukultur, also eingerichtete Häuser und Höfe. Auf zwölf Hektar sind über 30 historische Gebäude zu sehen. Im Augenblick wird auch eine Sonderausstellung zur alten Bahn zwischen Memmingen und Legau gezeigt.
    • Öffnungszeiten Bis 15. Oktober täglich bis von 9 bis 18 Uhr, montags ist es geschlossen.
    • Standort Die Sölde Siegertshofen und das Behelfsheim Gessertshausen befinden sich in der Baugruppe Mittelschwaben, also im östlichen Ausläufer des Museumsdorfs. Beide Gebäude sind frei zugänglich. Ebenfalls aus dem Landkreis Augsburg: Eine Waage aus Schwabmühlhausen.
    • Anfahrt Wer mit Auto kommt, nimmt am besten die B 17 und dann die A 96 in Richtung Lindau. Von der
    • Ausfahrt Aitrach/Legau sind es weiter in Richtung Lautrach-Illerbeuren nur noch wenige Kilometer.
    • Gastronomie Neben dem Museumsgasthof Gromerhof gibt es die Torfwirtschaft Otto Hamp mit Biergarten und Freiluft-Kegelbahn.
    • Tag der Volksmusik Aus ganz Schwaben und darüber hinaus kommen am Sonntag, 14. Juli, Musikanten und Tanzgruppen zum Tag der Volksmusik ins bauernhofmuseum nach Illerbeuren. Ab 12.30 Uhr geht es los, dann erklingt das Zusammenspiel von Zither, Gitarre, Harfe, Hackbrett und Kontrabass in den historischen Gebäuden. Instrumente wie die Harmonika, Trompete, Tuba, Flügel- oder Alphorn tragen die Melodien durch das weite Gelände des Freilichtmuseums. Rund 35 Gruppen haben sich angemeldet, insgesamt spielen fast 200 Musikanten und Tänzer.

    Bereits erschienen in unserer Serie "Hausbesuche"

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