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Gersthofen/Ingolstadt: Illegale Bordelle entdeckt: Junge Frauen wurden wie Sklaven verliehen

Gersthofen/Ingolstadt

Illegale Bordelle entdeckt: Junge Frauen wurden wie Sklaven verliehen

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    Bei Wohnungsdurchsuchungen in Gersthofen, Saarbrücken und Ingolstadt fanden Polizisten Hinweise auf Menschenhandel.
    Bei Wohnungsdurchsuchungen in Gersthofen, Saarbrücken und Ingolstadt fanden Polizisten Hinweise auf Menschenhandel. Foto: Oliver Berg, dpa (Symbolfoto)

    Die vielen Polizeifahrzeuge vor einem Gebäude im Norden Gersthofens haben am Donnerstag großes Aufsehen erregt. Beamte haben nicht nur hier, sondern auch in Ingolstadt und Saarbrücken Wohnungen durchsucht. Mehrere Beschuldigte sollen dort illegale Bordelle betrieben und Frauen zur Prostitution gezwungen haben. Eine Ermittlerin spricht von "moderner Sklaverei".

    Bei den Durchsuchungen erhärtete sich dieser Verdacht auf Menschenhandel weiter. Neben den Festgenommenen wurden insgesamt acht junge Frauen im Alter zwischen 18 und 29 Jahren in den Wohnungen angetroffen. Umfangreiche Beweismaterialien wurden laut Polizei sichergestellt. Die Staatsanwaltschaft Ingolstadt hat gegen einen 62-jährigen Mann aus Ingolstadt sowie jeweils einen 19-Jährigen und eine 35-jährige Frau aus Rumänien Haftbefehle beantragt. Gegen eine weitere 32-jährige Frau aus

    Eine ältere Frau hatte die Wohnung in Gersthofen wohl angemietet

    Die Wohnung im Norden von Gersthofen nahe der B2 war schon länger im Visier der Ermittler. "Wir haben gewusst, dass dort ein illegales Bordell betrieben wird", sagt Johanna Weimer. Sie ist beim Polizeipräsidium Schwaben-Nord seit vielen Jahren die Fachfrau für den Bereich Prostitution und Menschenhandel. Der Fall erstreckt sich über mehrere Standorte, die Wohnung in Gersthofen steht wohl eng in Verbindung mit Ingolstadt. Die dortige Kripo leitete den zeitgleichen Zugriff auf die Wohnungen. Eine ältere Frau, die Wohnung angemietet hatte, wurde festgenommen. Sie hatte anscheinend die Werbung für die jüngeren Frauen im Internet organisiert und mit den Freiern verhandelt.

    Die Augsburger Kripobeamtin war am Donnerstag in Gersthofen mit dabei, als die jungen Frauen früh morgens aus den Betten geholt und später als Zeuginnen vernommen wurden. "Sie haben zwar mit ihrer Tätigkeit eine Ordnungswidrigkeit begangen", erklärt Weimer, da Prostitution in der Pandemie ja verboten wurde. In erster Linie seien die jungen Frauen aber Opfer von Menschenhändlern. Die Details, die die Ermittlungen bisher ergaben, sind erschütternd, aber für die Kripobeamtin leider wenig überraschend. Dieses System der "modernen Sklaverei" kenne sie aus ihrer langjährigen Erfahrung im Bereich der Rotlichtkriminalität.

    In erster Linie seien die jungen Frauen aber Opfer von Menschenhändlern. Die Details, die die Ermittlungen bisher ergaben, sind erschütternd, aber für die Kripobeamtin leider wenig überraschend.
    In erster Linie seien die jungen Frauen aber Opfer von Menschenhändlern. Die Details, die die Ermittlungen bisher ergaben, sind erschütternd, aber für die Kripobeamtin leider wenig überraschend. Foto: Boris Roessler, dpa (Symbolfoto)

    Im aktuellen Fall ist es anscheinend ein großer Familienclan aus Südosteuropa, der in Deutschland mit Prostitution Geld verdient. Dabei werden laut Johanna Weimer junge, ungebildete Frauen - überwiegend sogar weitschichtig Verwandte - ins Ausland geschickt und in die Prostitution gezwungen. "Die Frauen wissen zwar, was sie dort tun sollen, aber es ist ihnen nicht klar, dass sie am Ende fast kein Geld bekommen." Deshalb spreche man hier auch nicht vom Tatvorwurf der Zuhälterei (dann würden die Einnahmen halbe-halbe geteilt), sondern von Menschenhandel. Die Frauen erhielten in der Wohnung nur Kost und Logis und fließendes Wasser, und ab und zu könnten sie ein bisschen Geld nach Hause schicken, das sei alles, berichtet die Kripobeamtin.

    Illegales Bordell: 22-jährige Mutter von drei Kindern unter den Opfern

    Weimer berichtet von einer 22-Jährigen, die in Gersthofen in der Wohnung auf den Strich ging. Sie hat drei kleine Kinder, die sie bei Verwandten in ihrem Heimatland zurückgelassen hat, in der Hoffnung, hier in Deutschland als Prostituierte Geld für ihre Familie zu verdienen. "Sie hat schon mit 15 das erste Kind bekommen, der Vater unterstützt sie nicht, sie hat insgesamt nur vier Jahre lang eine Schule besucht und würde in der Heimat von 110 Euro Kindergeld im Monat leben."

    Junge, ungebildete Frauen wie sie würden hier komplett "freischwebend" im Land ohne jede Zukunftsperspektive in der Illegalität leben. Selbst ein Hilfsarbeiterjob sei für sie illusorisch, denn sie sprechen kein Deutsch und auch kein Englisch. Sie sind von ihrem Familienclan komplett abhängig, werden streng bewacht und kontrolliert. Gewalt ist an der Tagesordnung. Und weil dem Kunden in den einschlägigen Foren im Internet auch regelmäßig - wie es dort heißt - "Frischfleisch" versprochen wird, werden die Frauen auch regelmäßig zwischen den verschiedenen Standorten ausgetauscht.

    Auch die Unterstützer machen sich strafbar

    Deshalb konzentriert sich die Arbeit der Kriminalpolizei nun auf die komplexen Tatzusammenhänge und eventuelle weitere Unterstützer der Tatverdächtigen. "Denn auch die ganzen Fahr- und Hilfsdienste sind Unterstützung für diesen menschenverachtenden Menschenhandel und strafbar", erläutert Johanna Weimer. Das seien oftmals ganz junge Burschen, die im System des Familienclans ihre Rolle einnehmen.

    Nachdem die jungen Frauen von der Polizei vernommen worden waren, konnten sie wieder ihrer Wege gehen. "Wir versuchen, mithilfe eines Dolmetschers den Frauen einen Ausweg aus ihrer Lage zu zeigen und sie zum Ausstieg zu bewegen", sagt Johanna Weimer. Hilfe gebe es zum Beispiel bei der Hilfsorganisation Solwodi in Augsburg. Sie setzt sich für die Opfer von Menschenhandel, sexueller Ausbeutung und Prostitution ein und hat in

    Aber das sei für die meisten undenkbar, sagt Johanna Weimer. "Denn sie müssen ja weiterhin irgendwie Geld verdienen und überleben." Außerdem sei es für die Opfer nahezu unmöglich, einen anderen Lebensweg außerhalb des Milieus einzuschlagen, denn dann würde ihre Familie sie verstoßen, und dann hätten sie noch weniger Unterstützung. Die Ermittlungen der Polizei gegen die Täter und die Strafverfolgung erschwere das natürlich ebenfalls, "denn kaum jemand sagt gegen die eigene Familie aus". Und wenn es keine Zeugenaussagen gibt, wird ein Strafverfahren schwierig.

    Die meisten der jungen Frauen aus der Gersthofer Wohnung könnten also inzwischen das Land verlassen haben - oder die Familie hat für sie schon einen neuen Unterschlupf gefunden.

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