Startseite
Icon Pfeil nach unten
Augsburg Land
Icon Pfeil nach unten

Gersthofen: Gersthofer Josef Pröll: "Ich bin stolz, dass meine Eltern so mutig waren"

Gersthofen

Gersthofer Josef Pröll: "Ich bin stolz, dass meine Eltern so mutig waren"

    • |
    Josef Pröll ist der Sohn von Anna Pröll, im Bild vor der Mittelschule Gersthofen, die den Namen seiner Mutter trägt.
    Josef Pröll ist der Sohn von Anna Pröll, im Bild vor der Mittelschule Gersthofen, die den Namen seiner Mutter trägt. Foto: Marcus Merk

    Die Mittelschule in Gersthofen wurde nach seiner Mutter Anna Pröll benannt, die während des NS-Regimes von Jugend an Widerstand leistete. Sie wurde mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet und war Ehrenbürgerin der Stadt Augsburg. Insgesamt hat seine Familie über dreißig Jahre Konzentrationslager durchlitten und drei Familienmitglieder sind darin zu Tode gekommen. Josef Friedrich Pröll wurde 1953 im Wöchnerinnenheim in Augsburg als zweites Kind von Anna und Josef Pröll geboren, lebt seit seiner Kindheit in Gersthofen, besuchte dort die Pestalozzischule und ist gelernter Technikermeister. Er ist verheiratet, hat drei Kinder und zwei Enkelkinder. Sein ganzes Leben hat ihn diese bedrückende Geschichte seiner Familie begleitet.

    Herr Pröll, haben Sie als Kind mitbekommen, mit welch einer schweren Last Ihre Eltern leben mussten?

    Pröll: Bewusst war es mir als Kind nicht, erst mit 16 Jahren habe ich begonnen, mir Gedanken darüber zu machen. Ich bin damit einfach groß geworden. Als Kind sitzt man am Tisch und hört halt zu, was die Erwachsenen reden. Die einen können nur überleben, wenn sie Schlimmes vergessen und nicht darüber sprechen und andere müssen immer wieder darüber sprechen. Meine Eltern gehörten zu denen, die viel darüber geredet haben. An den Befreiungstagen sind wir stets zu den KZ Gedenkstätten Buchenwald, Natzweiler und Dachau gefahren, in denen mein Vater als Häftling war. Da hat man früher Dinge ausgestellt, die man heute nicht mehr ausstellt, wie beispielsweise Lampenschirme aus Haut oder Schrumpfköpfe. Diese Schrumpfköpfe, mit denen man das unwerte Leben darstellen wollte, habe ich heute noch in grauenvoller Erinnerung. Damals dachte ich voller Schaudern: „Mein Papa war da drin, wo die das gemacht haben.“ Wenn man mitbekommt, was die Eltern erleiden mussten, bekommt man als Jugendlicher das Gefühl, seine Eltern vor allem Unheil schützen zu müssen.

    Anna Pröll (geb. 1916) war am Augsburger Widerstand beteiligt. Sie wurde 1934 wegen Hochverrats zu 21 Monaten Haft verurteilt. Bis zu ihrem Tod 2006 setzte sie sich gegen Faschismus ein. Sie erhielt das Bundesverdienstkreuz.
    Anna Pröll (geb. 1916) war am Augsburger Widerstand beteiligt. Sie wurde 1934 wegen Hochverrats zu 21 Monaten Haft verurteilt. Bis zu ihrem Tod 2006 setzte sie sich gegen Faschismus ein. Sie erhielt das Bundesverdienstkreuz. Foto: Marcus Merk (Archivbild)

    Waren oder sind Sie politisch aktiv?

    Pröll: Mit 18 oder etwas später habe ich mich bei der Gewerkschaftsjugend gegen Rechtsextremismus engagiert. Das war ganz wichtig für mich. Ich war aber sehr lange Zeit parteilos. Es war und ist mir immer ein besonderes Anliegen, dass so etwas wie der Nationalsozialismus nie mehr kommen darf. Habe mich deshalb mit der Demokratie auseinandergesetzt. Ich hörte meinen Vater oft sagen: "Man kann nicht einfach so dahinleben, sondern man muss sich einsetzen."

    Gab es für Sie negative Erfahrungen aufgrund der NS-Vergangenheit Ihrer Eltern?

    Pröll: Als ich meinen Wehrdienst leisten musste, Anfang 1973, wurde ich verhört, weil ich dreimal an Gedenkfeiern in Buchenwald teilgenommen hatte. Ich habe die übliche Sicherheitsstufe der damaligen Wehrdienstleistenden nicht erhalten. Die Begründung: Es ist davon auszugehen, dass meine Eltern mich nicht nach der demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland erzogen haben. Da war ich entrüstet und habe lange gebraucht, um das zu verarbeiten.

    Wann kamen Ihre Eltern nach Gersthofen?

    In Augsburg weder Wohnung noch Arbeit

    Pröll: Die Familien meiner Eltern lebten in Augsburg. Nach der Befreiung der Konzentrationslager wurden sie oft als "KZ-ler" bezeichnet. Sie bekamen weder Wohnung noch Arbeit. Sie brauchten eine Zuzugserlaubnis und mussten nachweisen, wer ihre Vorfahren waren. Deshalb haben sie in Gersthofen 1953 ein Grundstück gekauft. Hier bin ich aufgewachsen und lebe heute noch dort.

    Sie sind heute sehr viel unterwegs, um über die dunkle Vergangenheit aufzuklären.

    Pröll: Ja. Ich habe die Liebe zum Filmemachen mit 30 Jahren entdeckt. 2002 drehte ich, zusammen mit dem Historiker Wolfgang Kucera, den Film "Anna, ich hab Angst um dich" über das Leben meiner Mutter. 35 Stunden haben wir sie dazu interviewt. 500 Seiten Papier waren dann die Grundlage für den Film, der bis heute sehr gefragt ist. Der 2019 erschienene Film "Die Stille schreit – rechtlos ermordet vergessen" über die jüdische Familie von Miriam Friedmann aus Augsburg haben wir nun ins Englische übersetzt und bekommen positive Reaktionen aus der ganzen Welt. Als zertifizierter Referent der KZ Gedenkstätte Dachau begleite ich dort Besucherinnen und Besucher. Ich engagiere mich in verschiedenen Organisationen, um gemeinsam mit anderen dem Vergessen entgegenzuwirken und Gedanken zur Gegenwart und für die Zukunft zu entwickeln. Über den immer mehr aufkommenden Rechtsextremismus in Europa mache ich mir besondere Sorgen. In Gersthofen bin ich im Fachbeirat Stolpersteine. Gemeinsam mit den anderen Fachbeiratsmitgliedern kümmern wir uns um Anträge der Bürgerinnen und Bürger, die gerne Stolpersteine verlegen lassen wollen. Die Stolpersteine als Kunstwerk hat Gunter Demnig ins Leben gerufen. Die Stolpersteine gelten als größtes dezentrales Mahnmal der Welt. 2019 wurden 75.000 Stolperstein verlegt und jeden Monat kommen 440 weitere dazu.

    Ihre Mutter war, so sagen Sie immer wieder, eine Brückenbauerin. Warum?

    Pröll: Sie erzählte nie mit erhobenem Zeigefinger und konnte Menschen für sich gewinnen.

    Und wie stehen Sie dazu?

    Pröll: Diskussion muss immer möglich sein. Die heutigen Generationen sind nicht schuldig für die Vergangenheit, aber verantwortlich für das, was kommt. Die Verantwortung für die Zukunft hat jeder. Ich habe auch zu Hause nie einen Hass gespürt und hatte eine schöne Kindheit. Es war meinen Eltern wichtig, dass die Geschichten erhalten bleiben. Das "Nie wieder" lag ihnen besonders am Herzen. Wichtig ist, dass wir in unserer Gesellschaft wieder friedliche Worte finden. Hass war meiner Meinung nach der Auslöser des Nationalsozialismus und auch heute gibt es wieder mehr Menschen, die Hass schüren.

    Leben Sie zu sehr in der Vergangenheit?

    Pröll: Diese Frage wird mir öfter gestellt. Aber aus der Vergangenheit zieht man Positives für das Heute. Den Mut, Nein zu sagen, Zivilcourage zu zeigen und unsere Demokratie zu schützen.

    Wie ist es, der Sohn einer berühmten Mutter zu sein?

    Pröll: Ich finde es sehr schön, dass meine Mutter zu Lebzeiten geehrt wurde. Doch sie nahm jede Ehrung nur stellvertretend für all die anderen Opfer der NS-Zeit an. Ich glaube, wir waren in Gersthofen lange Zeit keine angesehen Familie. Deshalb freut es mich, dass eine Schule nach meiner Mutter benannt wurde. Diese Wertschätzung, die meine Mutter hat, wünsche ich allen, die sich für den Frieden einsetzen. Ich bin stolz darauf, dass meine Eltern so mutig waren, aber sie sind nur ein Beispiel von vielen. 1985 fand im Paul-Klee-Gymnasium dank Dr. Bernhard Lehmann, die erste Veranstaltung meiner Mutter statt. Sie kam nach Hause und sagte voller Freude: "Es war doch nicht umsonst!" Meine Eltern waren nicht nur Opfer, sondern haben auch Widerstand erlebt.

    Im Herbst soll ein Stolperstein für Ihre Mutter an der Mittelschule verlegt werden. Finden Sie das gut?

    Pröll: Eigentlich gehört der Stolperstein meiner Mutter nach Augsburg, neben den ihres Vater Karl Nolan, da die Steine im Sinne des Künstlers immer dort verlegt werden, wo die Menschen von den Nationalsozialisten verhaftet wurden. In Augsburg kann man nur Stopersteine verlegen, für Menschen die nicht überlebt haben. Ich empfinde es als große Anerkennung, dass zwei Stolpersteine für meine Eltern auch auf dem Gelände der Mittelschule verlegt werden.

    Wernher von Braun - hier vor dem Start der Apollo-11-Mission - leitete das Team mit deutschen Wissenschaftlern, das in den 60er Jahren die Entwicklung der Mondraketen vorantrieb.
    Wernher von Braun - hier vor dem Start der Apollo-11-Mission - leitete das Team mit deutschen Wissenschaftlern, das in den 60er Jahren die Entwicklung der Mondraketen vorantrieb. Foto: NASA/dpa (Archivbild)

    In Gersthofen gibt es nach wie vor eine Straße, die nach Wernher von Braun benannt ist und auch eine Messerschmittstraße. Beide bedienten sich der Zwangsarbeiter. Wie stehen Sie dazu?

    Josef Pröll: "Wernher von Braun geht gar nicht"

    Pröll: Über die Messerschmittstraße kann man diskutieren, aber die Wernher-von-Braun-Straße geht gar nicht. Meine Mutter erhob damals leider zu spät Einspruch gegen diesen Straßennamen und musste sogar noch 147 Euro Verwaltungsgebühren bezahlen. Auch Professor Rainer Eisfeld protestierte dagegen und musste über 300 Euro an Gebühren bezahlen. Eisfeld bewies in seinem Buch über von Braun, dass dieser mitverantwortlich für den Tod von 20.000 jungen Menschen war. Auch mein Onkel Fritz Pröll war in diesem Konzentrationslager, in dem sich von Braun junge Arbeiter für seine V1- und V2-Raketen aussuchte, die dann unterirdisch im Buchenwald-KZ-Außenlager "Dora" schufteten. Mein Onkel kam dort ums Leben. Natürlich ist von Braun der Vater der Mondfahrt, doch außer der Mondrakete hat er immer Kriegswaffen produziert. Mit seiner ersten Rakete bombardierte er London. Er hätte sich irgendwo mal entschuldigen können. Doch er hat nie bereut, was er getan hat.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden