Jahrelang war die Stadt Gersthofen die Mustergemeinde der ganzen Region: Während viele Kommunen trotz aller Anstrengungen an der „schwarzen Null“ scheiterten und Schulden machen mussten, heimste die Stadt über die letzten Jahre hinweg immens Steuereinnahmen ein. Doch mit dem Haushalt 2020 tritt eine Kehrtwende ein.
Trotz weiter sprudelnder Steuereinnahmen und Haushalt mit 130 Millionen Euro Rekordvolumen geht Gersthofen ans Eingemachte. Denn um geplante Investitionen finanzieren zu können, muss die Stadt ihr 40 Millionen Euro dickes Sparbuch auflösen. Ein großer Anteil an den Ausgaben entfällt dabei auf den Kauf des „Gersthofer Lochs“, jetzt lieber Potenzialfläche genannt.
Die Stadt hatte jetzt ein Vorkaufsrecht
Ende des Jahres hatte der Stadtrat entschieden, das 7000-Quadratmeter-Grundstück an der Nordseite der Bahnhofstraße zu kaufen. Gut zehn Jahre lang waren mehrere Investoren mit einer Bebauung des Areals gescheitert, weil ihre Projekte nicht mit den Vorstellungen der Stadt in Einklang zu bringen waren. Im Sommer 2019 stellte die Stadt dann ein „Städtebauliches Sanierungsgebiet“ für den gesamten Zentrumsbereich auf. Die Folge: Beim jüngsten Kauf hatte die Stadt jetzt ein Vorkaufsrecht.
Im ersten Etatentwurf für den Haushalt vom November 2019 war für den Grundstückserwerb noch kein Geld vorgesehen. Der jetzt verabschiedete Etat sieht unter diesem Posten 20,67 Millionen Euro vor. Welche genaue Summe aber davon auf den Kauf des Lochs entfällt, geht aus dem Haushalt nicht hervor, weil Grundstücksgeschäfte grundsätzlich nicht öffentlich abgehandelt werden.
Kreditaufnahmen von mehr als 56 Millionen Euro
Doch der Haushalt birgt einige Investitionen, welche den Bürgern direkt zugute kommen sollen. So sind im Finanzplan unter anderem für die Sanierung, Erweiterung und Neubau der Schulen ab 2021 bis 2022 Kreditaufnahmen von mehr als 56,3 Millionen Euro vorgesehen.
Erstmals ist heuer ein „Bürgerhaushalt“ mit einem Volumen von 100.000 Euro enthalten. Hier konnten die Gersthofer online Projekte vorschlagen, die umgesetzt werden sollen. Das sind 2020 unter anderem ein jährlicher Ehrenamtspreis von 1000 Euro, 10.000 Euro für eine Baumpflanzaktion in der Innenstadt, elektronische Anzeigetafeln an verschiedenen stark frequentierten Haltestellen (40.000 Euro) sowie eine Beleuchtung der Laufstrecke an der Via Claudia (35.000 Euro).
So bewerten die Fraktionsvorsitzenden den Etat
Max Poppe (CSU): „Vor fünf Jahren standen noch nie dagewesene Ersparnisse in Höhe von 75 Millionen Euro zur Verfügung. Zu dieser Zeit entsprach das etwa einem kompletten Jahreshaushalt der Stadt Gersthofen. Heute sind unsere Konten leergeräumt! Das Erstaunliche dabei: In derselben Zeit, in der die Stadt das Ersparte Geld ausgegeben hat, stiegen die Gewerbesteuereinnahmen aufgrund der guten Marktlage um sage und schreibe 59 Prozent an. Ein weiterer unmissverständlicher Trend zeigt sich bei den Personalkosten, welche im Zeitraum 2014 bis 2020 um unglaubliche 75 Prozent angestiegen sind. Unserer Stadt laufen seit Jahren die Kosten davon. Der aufgeblähte Verwaltungshaushalt zehrt mittlerweile fast unsere gesamten Jahreseinnahmen auf. Damit ist die dauernde Leistungsfähigkeit unserer Kommune in akuter Gefahr. Dabei sind die großen Herausforderungen unserer Zeit – Investitionen in die Wasserversorgung, in Verkehrsprojekte und die Zentrumsgestaltung – noch gar nicht berücksichtigt. Ich erkenne hier beim besten Willen keinerlei zukunftsfähige Strategie.“
Josef Koller (W.I.R.): Unser Kämmerer hat diese Situation noch nie erlebt. Er wird in der Bank nicht mehr links in die Festgeldabteilung abbiegen, sondern rechts in die Kreditabteilung. Auch günstige Kredite haben aber eine dumme Angewohnheit: Sie müssen getilgt werden. Daher fordern wir eine saubere und kalkulierbare Refinanzierung von künftigen Investitionen. Und da gehört sicherlich kein Kauf des Gersthofer Loches zu einem völlig abgehobenen und realitätsfernen Preis. Wir akzeptieren dies, obwohl der Kauf ein dickes Loch in unsere Stadtkasse reißen wird und uns an anderer Seite sicher finanziell erheblich einschränken wird. Jetzt ist es so wie es ist – und wir werden und wollen natürlich an der sinnvollen Gestaltung und Bebauung der Potenzialfläche mitwirken. Wir müssen wieder mehr unsere Unternehmen in den Fokus rücken. Sie sind das Rückgrat unseres Wohlstandes und erscheinen eigentlich nur einmal im Jahr auf der Position Gewerbesteuer im Haushalt. Überhaupt nicht nachvollziehbar ist, dass wir die Wasserpreise bereits nicht schon für 2020 und 2021 moderat erhöht haben. Es sind bereits erhebliche Kosten durch Chlorung und Sanierung des Wassernetzes entstanden.“ Wegen einer Konsolidierung des Haushalts vertraue ich auf den neuen Stadtrat und die neue Stadtspitze ab 1. Mai.
Bernhard Happacher (FW): „Man kann darüber streiten, ob das Bankkonto jetzt leer ist oder nicht – aber die Entscheidungen für Investitionen im Stadtrat waren fast immer einstimmig. Schon im Jahr 2017 wurde darauf hingewiesen, dass die Rücklagen der Stadt wegen der anstehenden hohen Investitionen bist 2020/2021 auf zwei Millionen Euro schrumpfen könnten. Wachstum bedeutet nicht nur höhere Steuereinnahmen, sondern auch Investitionen. Die Entscheidung zum Kauf der Potenzialfläche war richtig, auch wenn sie teuer war und kein ausgereiftes Konzept für ihre Weiterentwicklung vorlag. Das war aber innerhalb von zwei Monaten gar nicht möglich. Der heutige Stadtrat hat nun den künftigen Ratsmitgliedern eine einmalige Gelegenheit geschaffen. Jetzt muss so schnell wie möglich das dringend geforderte Mobilitätskonzept vorgelegt und umgesetzt werden. Die Sanierungsbedürftigkeit des Wassernetzes hätte bereits von mindestens zehn Jahren erkannt werden müssen.
Peter Schönfelder (SPD/Grüne) „Ein Achtel einer Milliarde Euro haben wir bei den Etatberatungen rauf und runter diskutiert. Ich konzentriere mich lieber auf kleine Zahlen. So sind die 50.000 Euro an Hundesteuer ein Betrag, den man vergessen könnte. Leider wird durch unkorrektes Verhalten der Besitzer so mancher Schaden verursacht, den die Stadt wieder zu beheben hat. Dass wir als Stadt großes Interesse haben, unsere Kinder der besten Betreuung anzuvertrauen, zeigt, dass wir für Weiterbildung 48.500 Euro eingeplant haben.“
Albert Kaps (Pro Gersthofen): „Mehr investieren für unsere Bürger“ – dieses Motto steht im Mittelpunkt. Für 2020 sind 28,4 Millionen Euro an Baumaßnahmen vorgesehen. Aufgrund der hohen Rücklagen, die mit Strafzinsen versehen werden, sollte noch kräftiger investiert werden. Wir werden Ende 2020 nicht mit null Rücklagen dastehen – wir setzen weiter auf unser starkes Gewerbe. Wir müssen ein Gesamtkonzept für den Öffentlichen Nahverkehr schaffen. Dieser muss kostenlos sein. Erst wenn hier Grundvoraussetzungen geschaffen sind, können wir über eine Verkehrsberuhigung im Zentrum reden. Ein Gersthofer Wohnbaumodell muss schnellstens entwickelt werden. Wann machen wir uns konkret Gedanken über eine Resolution zu einer Realschule in Gersthofen? Der Hebesatz der Kreisumlage – seit sieben Jahren nicht reduziert – muss deutlich verringert werden. (lig)
Im Etat enthalten ist auch das Gersthofen-Ticket: Gersthofer Bürger zahlen für die Busbenutzung innerhalb des Stadtgebiets monatlich 20 Euro, bis nach Augsburg 30 Euro. Den Differenzbetrag zum Abo der Stadtwerke Augsburg übernimmt die Stadt Gersthofen.
Stadtwerke müssen ebenfalls Schulden machen
Auch die Stadtwerke Gersthofen müssen Schulden aufnehmen: Bis zum Jahr 2024 stehen hier Kreditaufnahmen von knapp 15 Millionen Euro an. Insgesamt zwischen zwölf und 16 Millionen werden der Neubau des Wasserwerkes sowie die Sanierung des Leitungsnetzes – nach der Verkeimung – verschlingen, so Bürgermeister Michael Wörle. Weil die Wasserversorgung eine „kostendeckende Einrichtung“ ist, dürfen diese Kosten nicht über den städtischen Haushalt abgewickelt werden, sondern müssen über Gebühren direkt bei den Wasserkunden eingetrieben werden. Es drohen deutliche Erhöhungen des Wasserpreises. Zudem steht die Sanierung des Hallenbads und der Gerfriedswelle an.
Wörle nützte den Haushaltsbericht auch zu einer positiven Bilanz seiner knapp sechsjährigen Amtszeit. „Wir haben die Rücklage von 75 Millionen Euro – Stand 2015 – seitdem in unser Gersthofen und seine Ortsteile investiert.“ Dies sei so viel wie noch nie in der Geschichte der Stadt. „Kein einziger Euro ging hier in das laufende Geschäft – jedes Jahr flossen aus dem Überschuss nochmals zehn Millionen Euro in Investitionen.“
Streichempfehlungen habe nicht gegeben
Dass nun heuer die Allgemeine Rücklage aufgezehrt sein wird, „wissen wir alle bereits seit 2018“, so Wörle. Dies sei nur zu verhindern, indem man sich von einzelnen Projekten verabschiede. „Hierzu sehe ich aber keinerlei Ambitionen“, wandte er sich auch an die Stadträte. Streichempfehlungen habe es bei den Haushaltsberatungen nicht gegeben. Außerdem würden aufwendige Sanierungen oder Neubauten von Schulen oder dem Bahnhof „einige Jahrzehnte nicht mehr in diesem Umfang nötig sein“.