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Fundstück des Monats: Westendorf: Was alles in einer römischen Glasscherbe steckt

Fundstück des Monats

Westendorf: Was alles in einer römischen Glasscherbe steckt

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    Diese Scherbe hat William Farquhar auf einem Acker bei Westendorf gefunden.
    Diese Scherbe hat William Farquhar auf einem Acker bei Westendorf gefunden. Foto: Gisela Mahnkopf

    Eines sollte man über die Römer wissen: Sie mochten Glas. Wo sie sich niederließen sind Reste von Glas meist nicht weit. Wie man es herstellt war in Germanien allerdings weitgehend unbekannt. Dementsprechend selten und wertvoll war das Material. Unser Fundstück stammt wahrscheinlich aus dem ersten oder zweiten Jahrhundert nach Christus, als die Römer auch in der Gegend um Augsburg schon quasi-industriell Glas fertigten: eine 4,5 mal 5,8 Zentimeter große grünliche Glasscherbe.

    Eine fast 2000 Jahre alte Glasscherbe aus Westendorf lässt tief blicken

    Die Scherbe stammt wohl aus dem ist der Boden eines Gefäßes. Man erkennt noch konzentrische Kreise, die wohl früher zu einem Dekor Muster, oder ähnlichem gehört haben. Die Boden-Scherbe war wohl Teil eines sogenannten Vierkantkruges. In einem solchen Gefäß wurde Eines viereckigen Gefäßes in dem Öl, Parfüm und ähnliches zum Endverbraucher transportiert. wurde. Dass teures Glas verwendet wurde, lässt wohl auf einen wertvollen Inhalt, oder zumindest eine reiche Zielgruppe schließen. Wer wenig Geld hatte nutzte meist Ton oder ähnliches um Flüssigkeiten aufzubewahren. Die Würfelform ermöglichte es das Transportvolumen eines Karrens oder Schiffes effizient auszufüllen, ähnlich wie bei einem modernen Tetrapack. Besonders aufschlussreich ist aber die Inschrift: C. SALV! Römer, die nur etwas mehr als ein Dutzend Vornamen verwendeten, nutzten das C um den Vornamen Gaius abzukürzen. Ähnliche Inschriften lassen vermuten, dass dort wohl Gaius Salvius Gratus stand. Dabei ist Salvius der Familienname und Gratus ein individueller Beiname (auf Deutsch: der Dankbare).

    Es ist davon auszugehen, dass Gratus in die Produktion des Glases involviert war, entweder als Glasbläser oder Werkstattbesitzer. Es kam durchaus vor, dass Handwerker ihren Namen auf Stücken verewigten, auf die sie besonders stolz waren. Teilweise entwickelte sich sogar eine Art antike Markenware, wenn dies standardmäßig geschah, weil bestimmte Werkstätten einen guten Ruf erlangt hatten. In Gratus' Werkstatt war das scheinbar der Fall, denn sein Name wurde mit einem Stempel eingeprägt. Für die ehemaligen Provinzen Ober- und Untergermanien und Rätien, die zumindest teilweise im heutigen Deutschland liegen, sind uns 13 Glasbläser durch Namen auf Scherben bekannt.

    War der Augsburger Glasfabrikant Gaius Salvius Gratus ein Sklave?

    Viel mehr als seinen Namen und seinen Beruf werden wir über Gratus allerdings nicht erfahren. Es gab zwar das römisches Adelsgeschlecht, der Salvier, das im ersten und zweiten Jahrhundert mehrere Konsuln stellte, aber es ist unwahrscheinlich, dass ein einfacher Handwerker dazugehörte. Der römische Adel lebte meist entweder von ererbtem Reichtum oder besaß ausgedehnten Grundbesitz, dessen Bewirtschaftung man Sklaven und Angestellten überließ. Handwerker waren meist einfache Freie, aktuelle und ehemalige Sklaven, oder Ausländer ohne Bürgerrecht.

    Die meist adeligen Schriftsteller schrieben nicht allzu oft über aus ihrer Sicht niedere Handwerker. Auch die mittelalterlichen Schreiber, die uns ihre Werke überlieferten, fanden das Thema nicht besonders spannend, so dass es fast gar keine Quellen zum Thema gibt.

    Gerade bei anspruchsvollen Handwerkszweigen, wie der Glasbläserei und größeren Betrieben waren vor allem hochspezialisierte Sklaven bei der Arbeit und leiteten die Betriebe sogar manchmal. Teilweise kamen sie dadurch zu einem beachtlichen Reichtum. Ihr Vermögen gehörte allerdings ihrem Besitzer, obwohl der Sklave frei über es verfügen konnte. Unter Umständen konnte er sich damit sogar selbst freikaufen.

    Ähnliche Glasscherben finden sich überall in Mitteleuropa

    Eines ist klar: Gratus' Ware war beliebt. Glasscherben mit seinem Namen wurden in Kroatien, Oberösterreich, Köln, Ljubljana, Turin, Verona und Urbino gefunden. Oft sind die Reste mit charakteristischen Palmwedeln verziert. Besonders häufig ist der Name aber an zwei Fundstellen. In Augsburg und Trieste, damals noch Augusta Vindelica und Aquileia. Archäologen gehen davon aus, dass Gratus's Werkstatt ursprünglich in Trieste arbeitete und eine Filliale in Augsburg eröffnete. Durch die günstige Lage an der Via Claudia, die die Provinzen nördlich der Alpen mit Italien vernetzte, hatte Augsburg sich zum urbanen Zentrum der Provinz Raetien entwickelt. Die Stadt wurde zum Handelsknotenpunkt für Wein und Textilien. Auch zahlreiche Handwerker siedelten sich hier an. Glasproduktion ist ab der Zeit um 100 nach Christus belegt.

    Das könnte auch erklären, warum in bayerisch Schwaben eine so große Zahl von modellgleichen Krügen unter anderem aus Günzburg und Kempten gefunden wurden. Scheinbar hat die Werkstatt in Augsburg also die ganze Region mit Glaswaren versorgt.

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