Einst standen sie im Wohnzimmerregal von Diedorfer Bürgern, dann im Schrank der Bücherdrehscheibe auf dem Wertstoffhof und jetzt sind sie Teil eines Kunstprojekts der Ausstellung documenta in Kassel: 100 Bücher sind in einem Paket aus Diedorf auf die Reise gegangen. Die Mitarbeiter der Drehscheibe haben die Bücher aus ihrem Bestand für das Projekt der Künstlerin Marta Minujín beigesteuert. Sie folgten ihrem Aufruf, etwas zum Kunstwerk „Der Parthenon der Bücher“ zu spenden und so selbst Teil des Werks zu werden.
Vorbild war der Tempel auf der Athener
Mit dem Projekt will die argentinische Künstlerin ein Zeichen gegen das Verbot von Texten und die Verfolgung ihrer Verfasser setzen. Viele Tausende einst oder gegenwärtig verbotene Bücher aus der ganzen Welt wurden für die Realisierung des Werks auf dem Kasseler Friedrichsplatz benötigt. Das Kunstwerk, das nachts beleuchtet wird, steht an einem geschichtsträchtigen Platz. Dort wurden am 19. Mai 1933 im Zuge der sogenannten „Aktion wider den undeutschen Geist“ rund 2000 Bücher von den Nazis verbrannt. 1941 fing das Fridericianum – das damals noch als eine Bibliothek genutzt wurde – während eines Bombenangriffs der Alliierten Feuer und ein Buchbestand von rund 350000 Bänden ging verloren. Die Künstlerin hat die Installation „Der Parthenon der Bücher“ nach dem Vorbild des Tempels auf der Athener Akropolis errichtet, der das Ideal der ersten Demokratie repräsentiert.
Ein Paket mit 100 Büchern geht auf die Reise
Prof. Dr. Werner Hupka aus Diedorf gefiel die Idee des Parthenon-Projekts sofort, als er vor einigen Monaten von dem Aufruf hörte. „Der Parthenon als Herz der Athenischen Demokratie, dekoriert mit den Produkten von Verbot, Zensur, Unterdrückung der freien Meinungsäußerung, das kann schon zum Nachdenken über das Wesen von Demokratie anregen.“ Es sei nicht schwer gewesen, seine Mitarbeiter bei der Bücherdrehscheibe zu überzeugen, dass sie sich beteiligten. Die Diedorfer suchten aus den Beständen in den Regalen auf dem Wertstoffhof 100 jetzt oder früher einmal verbotene Bücher. Auf den Weg nach Kassel gingen beispielsweise Thomas Manns „Die Buddenbrooks“, Heinrich Heines „Deutschland. Ein Wintermärchen“, Erich Kästners „Fabian. Die Geschichte eines Moralisten“, Jochen Kleppers „Der Vater“ oder „Der kleine Prinz“ von Antoine de Saint-Exupéry. Auch Salman Rushdies „Die satanischen Verse“ kamen in das Paket. Die Bücher wurden in ein Stahlgerüst in der Größe des Parthenon eingehängt.
Das Angebot kommt in Diedorf gut an
Die Bücherdrehscheibe in Diedorf wurde 2010 gegründet. Alles begann mit einem normalen Gang auf den Wertstoffhof. Werner Hupka beobachtete, wie ein Mann Bücher in den Papiercontainer warf. Das tat dem Sprachwissenschaftler im Herzen weh. Spontan fragte er bei der Gemeinde Diedorf, ob der Bauhof auf dem Wertstoffhof ein Regal für aussortierte Bücher aufstellen könnte. Die Idee der Bücherdrehscheibe war geboren. Seitdem können Schmöker abgegeben und mitgenommen werden. Das Angebot wird von den Bürgern rege genutzt. Aus einem Regal sind mit den Jahren viele geworden. Rund 3000 Bücher stehen in der überdachten Schrankwand. Anfangs managte Werner Hupka das Projekt alleine, dann wuchs das Team auf mehrere Ehrenamtliche an. Sie sind stolz, dass sie an dem Projekt der documenta beteiligt sind. Auf der im Internet nachzulesenden 20-seitigen Dankesliste für das Parthenon-Projekt sind sie verzeichnet.