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Berwang/Leitershofen: Lawine erfasst Skischüler: Warum jetzt die Polizei ermittelt

Berwang/Leitershofen

Lawine erfasst Skischüler: Warum jetzt die Polizei ermittelt

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    Nach dem Lawinenabgang von Berwang suchten die Bergrettung Berwang und Bichlbach nach Verschütteten. Weiter unterhalb wurden Erwachsene und Kinder der DJK Leitershofen bei einem Skirennen mitgerissen.
    Nach dem Lawinenabgang von Berwang suchten die Bergrettung Berwang und Bichlbach nach Verschütteten. Weiter unterhalb wurden Erwachsene und Kinder der DJK Leitershofen bei einem Skirennen mitgerissen. Foto: Zoom.Tirol

    Die Polizei in Österreich ermittelt jetzt, ob es vergangenen Sonntag am Thanellerkarlift eine Fehleinschätzung der Lawinenkommission gegeben hat. Mittags rauschten Tonnen von Schnee auf eine freigegebene Piste – dort trug die DJK Leitershofen gerade ein Kinderskirennen aus. Mehrere Erwachsene und Kinder wurden von der Lawine mitgerissen. Insgesamt elf Menschen waren nach Angaben der Polizei betroffen. Alle konnten sich selbst befreien. Verletzt wurde niemand. Trotzdem wird jetzt ermittelt – das hat einen besonderen Grund.

    In Österreich gibt es die sogenannte Gemeingefährdung. Danach macht sich jemand strafbar, der fahrlässig oder vorsätzlich eine Gefahr für Leib oder Leben einer größeren Zahl von Menschen oder für fremdes Eigentum herbeiführt. Kommt die Staatsanwaltschaft nach den Ermittlungen der Polizei zum Ergebnis, dass es sich tatsächlich um den Straftatbestand handelt, dann könnten die Kommission vor Gericht landen.

    Sie besteht aus mehreren Mitgliedern, darunter auch ist auch der Bürgermeister von Berwang. Die Mitglieder der Kommission müssen wissen, was sie tun. Im Landesrecht heißt es: Sie müssen „in besonderem Maße Kenntnisse und Fähigkeiten“ mitbringen, um drohende Lawinengefahren zu erkennen und zu beurteilen“. Sonntagfrüh entschieden sich die Mitglieder, keine künstliche Sprengung am Thaneller auszulösen.

    Tonnen von Schnee rauschen den Berg hinab

    Gegen 13.30 Uhr rauschten dann Tonnen von Schnee in drei Rinnen – so die Erkenntnisse der Alpinpolizei – ins Tal. Die Bergbahnen Berwang sprechen von „vielen unglücklichen Umständen, die leider zu diesem Ereignis geführt haben“. Bei der Beurteilung in der Früh sei die Neuschneemenge so gering gewesen, dass es keinen Anlass für Bedenken gegeben hätte.

    Doch es schneite und schneite. Und: In der Höhe gab es angeblich starken Wind, der aber im Tal nicht spürbar gewesen sei. Der Wind türmte weiteren Schnee auf. Als sich dann am Nachmittag die Temperatur stieg, löste sich die Lawine. Sie ging im Bereich der Bergstation auf einer Höhe von ungefähr 1500 Metern über den Ziehweg zum Rastkopflift, der auf der gegenüberliegenden Talseite liegt, und teilweise über die Skipiste. Insgesamt wurden laut Polizei zehn Menschen teilweise und ein Skifahrer vollkommen verschüttet.

    Lawinengefahr: Die fünf Warnstufen

    Die europäische Lawinengefahrenskala unterscheidet fünf Gefahrenstufen - von gering bis sehr groß. Das haben sie zu bedeuten.

    Stufe 1 - gering: Die Schneedecke ist allgemein stabil, mit wenigen Ausnahmen an extrem steilen Hängen herrschen sichere Verhältnisse.

    Stufe 2 - mäßig: Eine Auslösung von Lawinen ist vor allem bei großer Zusatzbelastung etwa durch Skifahrergruppen an Steilhängen mit einer Neigung von mehr als rund 30 Grad möglich.

    Stufe 3 - erheblich: Eine Auslösung ist bereits bei geringer Zusatzbelastung (einzelner Skifahrer, Snowboarder oder Schneeschuhgeher) vor allem an gefährdeten Steilhängen mit nur mäßig verfestigter Schneedecke möglich. Spontan (ohne menschliches Zutun) sind bereits einige auch große Lawinen zu erwarten.

    Stufe 4 - groß: Eine Auslösung ist bereits bei geringer Zusatzbelastung an zahlreichen Steilhängen wahrscheinlich. Spontan können viele große, mehrfach auch sehr große Lawinen abgehen.

    Stufe 5 - sehr groß: Spontan sind viele sehr große, mehrfach auch extrem große Lawinen selbst in mäßig steilem Gelände unter 30 Grad zu erwarten. (dpa)

    Am Thanneller, dem Hausberg von Berwang, hatte es an diesem Sonntag offenbar 40 Zentimeter Neuschnee gegeben, erklärt Christian Ihrenberger, der Chef der Wildbach- und Lawinenverbauung Außerfern. Der Winter in diesen Jahr sei völlig untypisch. Teilweise habe es deutlich mehr geschneit als in den Top-Wintern der vergangenen 30 Jahre. Dazu sei heuer extremer Wind aus Norden und Nordosten gekommen – plötzlich habe es Schneeverfrachtungen an ganz anderen Hängen gegeben. Ihrenberger: „Das stellt jede Lawinenkommission vor große Probleme.“

    Die Verantwortlichen in Berwang kennen die Probleme

    Dass der Thaneller ein Problemberg sein kann, ist bekannt. Auch die Verantwortlichen der Bergbahnen in Berwang wissen das. Die Bergstation des Thanellerkarlifts liegt nach dem aktuell gültigen Lawinenerlass von 2011 in einer Gefahrenzone – heute dürfte sie dort nicht mehr gebaut werden. Auch eine neue Seilbahn im Thanellerkar an Ort und Stelle wäre nicht mehr genehmigungsfähig. Betrieben werden dürfe der immer wieder modernisierte Lift nur, weil er Bestandsschutz genießt. Laut Christian Ihrenberger wurde er vor 1974 gebaut, also noch bevor das österreichische Verkehrsministerium einen Lawinenerlass herausgegeben hatte.

    Ihrenberger vergleicht es mit einem Haus: Wer heute baut und einen gewissen Energiestandard erreichen will, muss andere Auflagen erfüllen als noch vor 40 Jahren. Früher galt eine Bergstation als lawinensicher, wenn der kritische Schnee mit künstlichen Sprengungen ins Tal abgeschossen werden konnte. Heute reichen auch Sprengungen nicht mehr aus. Sicherheit müsste etwa durch Lawinenverbauungen gewährleistet werden, erklärt Ihrenberger.

    Entsprechend sind die Anforderungen für das Neubau-Projekt am Thaneller: Unter anderem soll eine neue Zehner-Gondel entstehen, die am Egghof-Parkplatz startet und den Bilig- sowie den oberen Teil des Thanellerkarlifts ersetzt. Eine Betroffene, die das Beinahe-Unglück erlebte, sagt: „Das alles wirkt nicht sehr vertrauenswürdig.“ Die DJK Leitershofen hat nach dem Lawinen-Abgang eine E-Mail an alle Eltern verschickt. Darin ist die Rede von „einer ganz und gar nicht alltäglichen Situation“.

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