Nicht weit weg vom Ort der Tagung findet sich das ganze Elend auf einem Fleck. Steile Stufen hinauf zu Schwabens niedrigsten Bahnsteigen, die Reisende mitunter zu gewagten Schritten nötigen, wollen sie in den Zug steigen. Dicht rasen die Schnellzüge ICE und TGV durch Bahnhalt und Ort: Der Neusässer Bahnhof ist nicht nur unbequem und eine Schikane für alle, die ein wenig schlecht zu Fuß sind. Er ist gefährlich. Ähnlich ist es ein paar Kilometer weiter in Diedorf, wo ein Gutachten dem Hauptzubringer zum neuen Gymnasium erhebliches Gefahrenpotenzial bescheinigt.
Die Liste der Defizite der Bahnstrecke Augsburg–Ulm ist lang und längst bekannt: veraltete Bahnhöfe, fehlender Lärmschutz und auf den gut 20 Kilometern zwischen Dinkelscherben und Augsburg schlicht zu wenig Gleiskapazität für eine wachsende Zahl an Zügen. Seit 2008 bescherte der Fugger-Express Zuwächse, ab 2021, wenn die Strecke zwischen Stuttgart und Ulm mit Milliardenaufwand ausgebaut ist, soll der Fernverkehr mit Macht hereindrängen.
Kommt die Region endlich zum Zug?
Ein Lösungsvorschlag liegt seit Mitte der 1990er-Jahre auf dem Tisch: das dritte Gleis, womit der Ausbau der Bahnlinie gemeint ist. Aber kommt die Region nun endlich zum Zug?
Das war am gestrigen Freitagvormittag das Thema einer hochrangig besetzten Konferenz im Neusässer Rathaus. Teilnehmer waren unter anderem die Bundestagsabgeordneten Hansjörg Durz und Ulrich Lange, Volker Ullrich, der Europaabgeordnete Markus Ferber (alle CSU), der Beauftragte der Bahn für Bayern, Klaus-Dieter Josel, Landtagsabgeordnete und Kommunalpolitiker sowie Michael Odenwald. Er ist Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium.
Von der Veranstaltung sollte ein starkes Signal ausgehen für den Ausbau der bestehenden Bahnstrecke zwischen Augsburg und Ulm für den Fern- und Nahverkehr. Das seit Jahrzehnten geforderte Projekt hat nämlich Konkurrenz. Es gibt Pläne für den Bau einer Schnellbahnstrecke entlang der Autobahn zwischen Burgau und Augsburg. Jetzt soll die Region mit einer Stimme sprechen. Die Entscheidung aber fällt in Berlin, wo der neue Bundesverkehrswegeplan aufgestellt wird.
Weiteres Projekt: Ausbau der Strecke Augsburg-Donauwörth
Im Herbst, nach der Sommerpause, werden die Weichen gestellt, im Dezember entscheidet das Kabinett, Anfang des kommenden Jahres beschließt der Bundestag. Nur wer dort im vordringlichen Bedarf landet, hat in den nächsten Jahren Aussicht auf Verwirklichung. Dorthinein sollte nach den Vorstellungen der Politiker aus der Region auch ein weiteres Projekt: der Ausbau der Bahnstrecke zwischen Augsburg und Donauwörth, wo auch ein drittes Gleis fehlt, damit die regionale S-Bahn in einem wirklichen Viertelstunden-Takt fährt. Dieses Gleis freilich soll erst später angegangen werden. Aktuell geht es um den Ausbau zwischen Augsburg und Neu-Ulm.
Dabei positionierten sich die Politiker aus diesem Raum gestern eindeutig: Sie wollen den Ausbau der bestehenden Strecke. Sie wollen das dritte Gleis. Die Ausnahme ist der Augsburger Ullrich. Der Neusässer Rathauschef Richard Greiner verwies darauf, dass ohne Entscheidung über den Ausbau auch Lärmschutzprojekte und Bahnhofssanierung blockiert seien: "Wir brauchen Planungssicherheit."
Für Diedorfs Bürgermeister Peter Högg ist die Hängepartie auch in anderer Hinsicht eine Belastung. Mit ihr begründet das Straßenbauamt, dass es die Planungsarbeiten für die B-300-Umfahrung Diedorfs auf Eis gelegt hat, die entlang der Bahn verlaufen soll. Man wolle eine Fehlplanung vermeiden. Högg sagt: "Wenn es bei zwei Gleisen bleibt, wäre das eine mittlere Katastrophe."
Ähnlich sieht es die Kutzenhauser Bürgermeisterin Silvia Kugelmann, ihre Gessertshauser Amtskollegin Claudia Schuster hat Angst, "dass der Nahverkehr auf der Strecke bleibt". Experten haben mehrfach gewarnt, dass die ab 2021 wachsende Zahl von Fernzügen – die Rede ist von bis zu 75 Prozent mehr bis 2030 – den Nahverkehr verdrängen wird, wenn die Strecke nicht ausgebaut wird. Dabei sei der Nahverkehr jetzt schon ausbaubedürftig, sagt der Dinkelscherber Bürgermeister Edgar Kalb: "Da fordern wir Verbesserungen." Sein Zusmarshauser Kollege Bernhard Uhl lud zur Unterzeichnung einer Resolution gegen die Schnellbahntrasse ein.
"Fangen Sie an, etwas zu verwirklichen"
Auch im Nachbarlandkreis Günzburg und im Kreis Neu-Ulm, wo es Pläne für ein zusätzliches Gleis zwischen Neu-Ulm und Neu-Offingen gibt, ist der Ausbau der Bestandsstrecke Favorit. Damit sei sowohl dem Nah- als auch dem Fernverkehr gedient, sagte Neu-Ulms Zweiter Bürgermeister Albert Obert. Der CSU-Landtagsabgeordnete Hans Reichart forderte Tempo: "Fangen Sie an, etwas zu verwirklichen", sagte er in Richtung Bahn und Bundesverkehrsministerium. Denn schließlich, darauf wies Konrad Barm aus Burgau hin, gebe es noch andere Projekte, denen man nicht in die Quere kommen dürfe. Im Mindeltal werde zurzeit für Millionen von Euro ein Hochwasserschutz angepackt, und die Kommunen bräuchten Planungssicherheit und Informationen.