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Ausstellung: Neusäß blickt zurück auf den Mauerfall

Ausstellung

Neusäß blickt zurück auf den Mauerfall

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    Bei einer Podiumsveranstaltung und einer Fotoausstellung mit Aufnahmen von Daniel Biskup (Zweiter von rechts) feiert Neusäß den Mauerfall. Der Fotograf erzählt Karsten Schütze, Andrej Kaminsk und Richard Greiner (von links) die Geschichte des Fotos, das während des Streiks der Bergleute in Bischofferode entstand. 	Foto: Marcus Merk
    Bei einer Podiumsveranstaltung und einer Fotoausstellung mit Aufnahmen von Daniel Biskup (Zweiter von rechts) feiert Neusäß den Mauerfall. Der Fotograf erzählt Karsten Schütze, Andrej Kaminsk und Richard Greiner (von links) die Geschichte des Fotos, das während des Streiks der Bergleute in Bischofferode entstand. Foto: Marcus Merk

    Fotograf Daniel Biskup weiß genau, welche seiner gerahmten Fotografien aus der Zeit nach Mauerfall und Wiedervereinigung er auf das Gruppenfoto mitnehmen will. Mit schnellen Schritten geht der Fotograf auf die andere, nicht so gut ausgeleuchtete Seite der Ausstellungswand im Foyer des Rathauses und nimmt ein Bild vom Haken. Auf dem Foto sind Bergarbeiter und ein Transparent zu sehen. Der Spruch: „Bischofferode ist überall“, verweist nicht nur auf das dortige Kaliwerk, sondern auch auf die Ambivalenz der

    Die Kali-Kumpel, die 1993 gegen die Schließung des Werks protestieren, stehen für Biskup stellvertretend für Hunderte von Betrieben, die nach der Wiedervereinigung die Produktion einstellen mussten. Während der Mauerfall und die Wiedervereinigung überall euphorisch gefeiert wurden, wie auch Biskups Fotos auf der hellen Seite der Ausstellungswand zeigen, waren viele Bürger der ehemaligen DDR danach eher frustriert und desillusioniert. Werke machten dicht, Arbeitsplätze brachen in dramatischem Tempo weg und das Gefühl, „nichts mehr Wert zu sein“, breitete sich aus.

    Für Biskup, der heute in Neusäß wohnt, hat das Foto Bedeutung bis in die Gegenwart: „Wenn wir heute Zwischenbilanz ziehen, blicken viele Familien in Ostdeutschland auf 30 schwierige Jahre zurück.“ Biografien seien geprägt von Arbeitslosigkeit und der Zersplitterung von Familien, sterbende Städte bis heute ein Thema. Beispielhaft hängt auf der dunkleren Seite der Fotowand ein Bild aus Leipzig: Wenige Jahre nach dem Mauerfall erinnert der Straßenzug, den Biskup abgelichtet hat, an die Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges.

    Das Foto aus Leipzig hat auch Karsten Schütze, den Oberbürgermeister der Stadt Markkleeberg, besonders berührt. „Das ist das schlimmste, vor allem im Zusammenhang mit der Lebenssituation der Menschen damals“, erklärt er und ergänzt: „Da war Sprengstoff da, der bis heute nachwirkt.“

    Als Bürgermeister spürt Schütze die Nachwirkungen der Wendejahre bis heute. „Wenn ich in unser Grundbuch schaue, gehören 65 Prozent der Häuser im Stadtzentrum Menschen aus dem Westen und 10 Prozent internationalen Eigentümern“, erklärt er beispielhaft. Daniel Biskup kommentiert: Wer im Westen lebte, „hatte einfach Glück“ und vor allem „30 Jahre Vorsprung“ in einer freiheitlichen und demokratischen Gesellschaft Wohlstand aufzubauen. Ostdeutschland habe gar nicht die Möglichkeit gehabt, sich ähnlich aufzustellen, wie der Westen.

    Neusäß’ Bürgermeister Richard Greiner wirft die Frage in den Raum, wie weit Ost und West mittlerweile zusammengewachsen sind. Schütz antwortet: „Die Fakten halten uns die Unterschiede immer wieder vor Augen.“ Er betont den niedrigeren Lohn, die sozialen Probleme und die wirtschaftliche Struktur in den neuen Bundesländern. Die Tatsache, dass 80 Prozent der Bevölkerung während der Wendejahre wenigstens vorübergehend ihren Arbeitsplatz verloren hätten, ziehe sich bis heute durch und spiegle sich auch in den Wahlergebnissen wider, sagt der SPD-Politiker.

    Schauspieler Andrej Kaminsky bringt die Perspektive eines Kulturschaffenden in die Diskussion ein. Er ist in der DDR aufgewachsen. Nach unterschiedlichsten Engagements an Theatern und in Film und Fernsehen ist er aktuell Teil des Ensembles am Staatstheater Augsburg. Er erklärt, dass das Theater auch in der DDR noch ein Raum war, „in dem man kritische Gedanken formulieren konnte“. Beruflich habe sich für ihn mit der Wende nicht viel verändert, er betont aber: „Die Mauer wäre sowieso gefallen, wir hatten nur das Glück, dass der große Bruder BRD den Crash abfangen konnte.“ Alle Mauern auf der Welt würden früher oder später einstürzen, das habe die Wende gezeigt. Kaminsky denkt dabei an die Grenze zwischen Nord- und Südkorea oder die Mauer, die Donald Trump zu Mexiko bauen lässt. Außerdem erwähnt er die symbolische Mauer, die Europa entlang des Mittelmeers errichtet hat. Als Künstler werde er weiter daran arbeiten „Mauern einzureißen“.

    Trotz allem ist die Veranstaltung auch eine Feier der Wiedervereinigung. Richard Greiner ist besonders wichtig, dass Neusäß mit der Fotoausstellung und der Veranstaltung zum Zusammenwachsen von Ost und West beitragen wolle. Dafür brauche es Verständnis für die Situation der Ostdeutschen und die ambivalente Perspektive vieler auf die Wiedervereinigung. Während sich für den Westen kaum mehr als die Postleitzahl verändert habe, sei die Wende für Ostdeutschland eine Art Stunde Null gewesen. Alles in allem stellen Daniel Biskups Bilder beide Seiten eindrucksvoll dar.

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