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Biberbach: Aus dem Rollstuhl in 1133 Tagen zum Ironman

Biberbach

Aus dem Rollstuhl in 1133 Tagen zum Ironman

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    Mental hatte sich Markus Kratzer aus Biberbach im Bett, Rollstuhl und auf Krücken immer wieder vor Augen geführt, wie er mit seinen Kindern die Ziellinie eines Triathlons überlief (Foto). Drei Jahre nach seinem Unfall erfüllte sich dieser Traum dann beim „Ironman“ in Roth.
    Mental hatte sich Markus Kratzer aus Biberbach im Bett, Rollstuhl und auf Krücken immer wieder vor Augen geführt, wie er mit seinen Kindern die Ziellinie eines Triathlons überlief (Foto). Drei Jahre nach seinem Unfall erfüllte sich dieser Traum dann beim „Ironman“ in Roth. Foto: Birgit Hassan

    Es ist dieser schreckliche Unfall, der das Leben von Markus Kratzer geprägt hat. Von einer Sekunde auf die andere wird aus dem sportverrückten Biberbacher ein Mann im Rollstuhl. Es ist ein Samstagmorgen im Juni 2006, als der damals 39-Jährige mit seinem Rennrad unterwegs ist, um für den Ironman in Klagenfurt zu trainieren. Zwischen Baar und Thierhaupten übersieht ihn Autofahrer. Bei dem Zusammenstoß werden Brust- und Lendenwirbel zertrümmert. Er hat einen inkompletten Querschnitt, das heißt, ein Teil des Rückenmarks ist verletzt. Kratzer kann zunächst nicht mehr laufen, ist auf den

    Wer heute den 51-Jährigen trifft, kann kaum glauben, dass dieser sportliche Mann einmal einen so schweren Unfall hatte. Kratzer sprüht vor Elan. Er begrüßt Gäste mit einem Lächeln im Gesicht, bewegt sich agil. Bei einem Besuch bei ihm zuhause, wird schnell klar, dass dieser Mann auf seine Gesundheit und vor allem auf seinen Rücken achtet. Im gemütlichen und hellen Haus finden Gespräche gerne am Stehpult statt. Selbst bei Gartenpartys packt Kratzer seine Steh-Biertisch-Garnitur aus. „Am Anfang haben die Freunde gelacht, doch mittlerweile finden sie es ganz toll“, erklärt der dreifache Vater und lacht.

    Das richtige Ärzteteam und die passende Reha erwischt

    Da ist keine Verbitterung, kein Selbstmitleid, keine Frage, warum ausgerechnet er so einen schweren Unfall haben musste. Ganz im Gegenteil. Immer wieder spricht der begeisterte Sportler vom Glück, das er hatte. Das Glück, eine Frau, Familie und Freunde zu haben, die ihm zur Seite standen. Das Glück, das richtige Ärzteteam und die passende Reha erwischt zu haben.

    Es sind die Erkenntnisse aus dieser schweren Zeit, die ihn dazu treiben, mit 50 Jahren seinen sicheren und gut bezahlten Job als Unternehmensberater bei einer Versicherung aufzugeben. Der studierte Sport- und Wirtschaftslehrer orientiert sich neu. Er wagt den Sprung in die Selbstständigkeit und wird Personal Coach. Kratzer will anderen Menschen helfen, wieder zu körperlicher Leistungsfähigkeit und mentaler Kraft zu kommen. Mit diesem Angebot will er beispielsweise auch Leute nach Krebserkrankungen ansprechen.

    In einem Glasgefäß hat er alle Schrauben gesammelt

    Er weiß, dass es keine Selbstverständlichkeit ist, als Schwerstverletzter oder Schwerstkranker auf ein einfühlsames und kompetentes Team zurückgreifen zu können. Noch heute schreibt er beispielsweise jedes Jahr eine Karte an Professor Edgar Meyer vom Klinikum Augsburg. Dort wurde er vier Mal operiert. In einem Glasgefäß hat er all die Schrauben gesammelt, die einmal in seinem Körper waren, um Knochen zusammenzuhalten oder zu stabilisierten.

    Kratzer liegt elf Wochen im Klinikum. Er und seine Frau haben zwei Kinder und gerade frisch gebaut. Die Ärzte drücken sich sehr vorsichtig aus, wenn es um die Frage ging, ob er je wieder laufen kann.

    Er entdeckte seinen Humor wieder

    Im Rollstuhl kommt er zur Reha. Dort lernt er in mühevollen Wochen zu stehen und wieder zu gehen. Und genau dort hatte er wieder Glück. Per Zufall geht er in einen Vortrag, bei dem es um „Blumen am Gardasee“ ging und den ein recht unsportlicher Referent hielt. Doch dieser unscheinbare Mann hatte ein Funkeln in den Augen, als er von den Blumen erzählte. „Das war ein lebensentscheidender Abend für mich“, sagt Kratzer heute. Er kam zur Erkenntnis: Wenn es mit dem Sport nicht klappen sollte, werde ich mir eine andere Leidenschaft suchen, für die ich brennen kann. Doch zuvor werde ich alles versuchen, um in mein altes Leben zurückzukommen. Ihm war klar geworden, dass es auf den Fokus ankommt. Er entdeckte seinen Humor wieder und fokussierte das klare Bild, wie er mit seinen beiden Kindern ein zweites Mal die Ziellinie bei einem Ironman überqueren würde.

    Kratzer gibt nicht auf. Nach der Reha hat er einen Physiotherapeuten, dem er vertraut. Er macht Aquajogging – drei bis viermal die Woche, denn nur im Wasser hat er keine Schmerzen. Gerade die Schmerzen sind ein „Monsterthema“ für ihn, das er nur mit Hilfe einer Schmerztherapeutin in den Griff bekommt. Bis heute hat er allerdings übersensible Füße und langes Sitzen macht ihm immer noch zu schaffen.

    Ans Joggen war überhaupt nicht zu denken

    Kratzer schwimmt und trainiert seine Muskeln. 13 Monate nach dem Unfall beginnt er mit einer Wiedereingliederung in den Job. Doch der Rücken machte Probleme. „Ich konnte nicht lange sitzen“, erinnert er sich. Auch an Joggen war überhaupt nicht zu denken.

    Einige seiner Bekannten sagen damals, er müsse doch mit dem Erreichten zufrieden sein. Auf der anderen Seite gibt es seine sportverrückten Kameraden, wie seinen Bruder Wolfgang aus der Ultralaufszene oder Günther Haas aus Adelsried. Die fragen ihn, was er denn nun mache, dass es ihm noch besser gehe. Haas, der einen Kurs für natürliches Laufen gemacht hatte, unterrichtet ihn darin. Kratzer läuft viel barfuß und beginnt mit kurzen Joggingeinheiten von fünf Minuten. „Als Laie will man anfangs gleich zu viel. Das geht nicht gut“, weiß er aus Erfahrung.

    Es gibt Tiefschläge, Umwege und Schmerzen

    Schließlich merkt er – auch mit Unterstützung seiner Freunde – dass sportlich wieder etwas möglich ist. Er trainiert, steigert das Pensum. Dabei gibt es Tiefschläge, Umwege und Schmerzen, doch 2009 ist es soweit: Kratzer geht beim Ironman in Roth bei Nürnberg an den Start und kommt ins Ziel. „Das war fast filmreif“, sagte er. Drei Jahre nach seinem Unfall läuft er mit seinen beiden Kindern an der Hand ins Ziel.

    2011 ist er nochmals in Roth dabei, anschließend legt er den Ironman auf Eis, denn 2012 kommt Tochter Jolanda auf die Welt. Auch heute kann Kratzer nicht ohne Sport leben. Er läuft, schwimmt, ist gern mit dem Mountainbike unterwegs und hat das Skitourengehen für sich entdeckt.

    Kratzer will seine Geschichte erzählen und zeigen, dass es nach einem schrecklichen Unfall auch gut ausgehen kann. Er hält Vorträge und wird immer wieder angesprochen, dass er doch in die Richtung eines Beraters gehen soll.

    Er trainiert mit Leuten aus unterschiedlichsten Berufsgruppen

    Das macht er Anfang 2018. Er weiß, dass das Konzept „Personal Coaching“ für Nordschwaben eine ungewöhnliche Geschäftsidee ist. Es dauert auch, bis er sich seinen Kundenstamm erarbeitet hat. Doch heute trainiert er mit Leuten aus den unterschiedlichsten Berufsgruppen. Er geht mit Landwirten Mountainbiken, joggt mit Hausfrauen und zeigt Zahnärzten, was sie für ihren Rücken tun können. Dabei geht es ihm nicht nur das körperliche Training. Kratzer geht mit den Leuten grundsätzlich raus ins Freie, will ihnen auch zeigen, wie sie Entspannen und wieder ganz zu sich kommen können. Das sei eine „Netto-Ego-Zeit“, um die Akkus wiederaufzuladen. Und wer könnte für einen Sportmuffel ein besseres Vorbild sein als Kratzer. Er hat bewiesen, dass alles möglich ist und dass man selbst vom Rollstuhl in 1133 Tagen wieder an einen Ironman teilnehmen kann.

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