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Adelsried: Mit welchen Anliegen die Menschen in die Autobahnkirche kommen

Adelsried

Mit welchen Anliegen die Menschen in die Autobahnkirche kommen

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    Die Autobahnkirche Adelsried ist die älteste in Deutschland. Sie wurde 1958 geweiht. Mittlerweile gibt es fast 50 solche Kirchen in Deutschland; die in Adelsried ist die einzige an der A8.
    Die Autobahnkirche Adelsried ist die älteste in Deutschland. Sie wurde 1958 geweiht. Mittlerweile gibt es fast 50 solche Kirchen in Deutschland; die in Adelsried ist die einzige an der A8. Foto: Marcus Merk

    Sommerzeit ist Reisezeit. Auf den Straßen ist die Hölle los. In der Autobahnkirche finden Reisende himmlische Ruhe. Zumindest fast. Selbst wenn sich die große Glastür des Gotteshauses schließt, das etwas erhöht an der A8-Ausfahrt Adelsried steht, dringt das Rauschen des Verkehrs hinein. Trotzdem scheinen die Drängler, die Raser, der Lärm, das Tempo weit weg. Nun ist Zeit, an sich zu denken, an andere, an Gott. Dass das zurzeit viele tun, zeigt das dicke Buch, das in der Kirche ausliegt. Viele Menschen schreiben dort hinein.

    „Bitte lieber Gott, heile die Molly und segne unseren Urlaub. Vielen Dank. Amen.“

    Die Dominikaner aus Augsburg betreuen die Autobahnkirche seit ihrem Bestehen. Seit zehn Jahren ist Pater Wolfram Hoyer der Kurat. Er weiß: Die meisten kommen nicht zum Beten hierher. „Sie wollen hauptsächlich Entspannung, machen Brotzeit, gehen aufs Klo.“ Viele schauen danach noch in die Kirche, zünden eine Kerze an. Einige lassen im Anliegenbuch ein paar Gedanken da.

    „Wir danken für den wunderschönen Urlaub im Gebirge und bitten für eine gute Heimkehr.“

    Jetzt in den Sommermonaten füllt sich das Buch besonders schnell. Jeden Tag kommen sechs bis sieben Seiten dazu. Eineinhalb Bände – jeder hat 1000 Seiten – braucht Pater Hoyer im Jahr. Im Archiv füllen die vollen Bücher eine große Wand. Eine Wand voller Sehnsüchte und Wünsche.

    „Lieber Gott, ich denke an meinen Papa. Geliebt, beweint, unvergessen. Am 14.7.2016 endete das Erdendasein meines Vaters, hörte sein treu sorgendes Herz auf zu schlagen, verstummte sein hilfsbereiter Rat und erfrischender Humor, endete eine gemeinsame, erfüllte Zeit von nahezu 49 Jahren, wurde er von unsäglichen Qualen erlöst und durfte heim gehen. Tränen und Trauer konnten nicht versiegen. Meine Dankbarkeit wird es niemals. T.G. auf dem Weg nach Moosburg in Kärnten, wo wir vor 45 Jahren erstmals gemeinsam Urlaub machten.“

    „Der Dominikanerpater feiert an jedem Sonntag und jedem katholischen Feiertag drei Messen in der Autobahnkirche. Und er ist regelmäßig vor Ort und bietet sich an, wenn jemand Hilfe oder Rat braucht. Die Initiative ergreift er dabei selten, erzählt er: „Ich sitze dekorativ herum und lasse mich ansprechen.“ Dann kommen die Menschen mit ganz unterschiedlichen Fragen, Problemen, Anliegen zu ihm. Sie seien ähnlich wie die, die er im Buch liest.

    „Lieber Gott, bitte hilf uns weiterhin bei allem, beim Hausbau und bei der Arbeit. Bitte hilf mir, dass ich wieder in eine Festanstellung komme, damit bei mir wieder ein innerlicher Frieden einkehrt.“

    Die meisten Einträge drehen sich um eine gute Reise und gutes Heimkommen.

    „Mein 18. Geburtstag. Ich bitte für eine gute und sorgenfreie Fahrt.“

    Ansonsten kommen die Menschen mit allem, was das Leben bringt: Eheprobleme, Familie, Abiturprüfungen, Arbeit, Krankheit, Tod.

    „Bitte lieber Gott, lass uns die Wohnung kriegen und uns wohl fühlen. Bitte.“

    „Wir wünschen uns so sehr ein Baby. Herr, lass aus unserer Liebe Leben werden.“

    „Lieber Gott, bitte bete für mich, dass meine zwei Kinder mich nicht mehr so anstrengen und dass ich mich nicht mehr so aufregen muss.“

    Nach dem Unglück mit der Costa Concordia 2012 wurden Überlebende offenbar mit dem Bus heim nach Norddeutschland gebracht, erzählt Wolfram Hoyer. „Sie haben in Adelsried Station gemacht und im Anliegenbuch seitenweise ihren Dank eingetragen.“ Das Anliegenbuch ist eben nicht nur ein Bittbuch, sondern auch ein Dankbuch.

    „Danke Jesus, dass Du mich aus meiner Schwermut herausholst, mir Perspektive für die Zukunft, durch wahre Freude, aufgezeigt hast. Ich bitte jetzt um die Kraft, den Mut und die Besonnenheit, diesen Weg zu gehen und ich danke jetzt schon dafür!“

    Wer durch die Seiten blättert, sieht: Es sind ganz unterschiedliche Menschen, die hierher kommen. Krakelige Kinderbuchstaben, die zittrige Schrift eines Seniors, Einträge von Männern und Frauen. Eine Studie des Zentrums für kirchliche Sozialforschung über die deutschen Autobahnkirchen hat ergeben, dass zwei von fünf Besuchern sonst wenig Beziehung zur Kirche haben.

    „Danke, vor zwei Jahren stand ich hier in einer verzweifelten beruflichen Lage. Ich war gerade arbeitslos geworden. Nun habe ich seit über einem Jahr einen tollen Job, eine super Chefin und einfach ganz, ganz liebe Kollegen. Danke dafür und bitte lass es so bleiben.“

    Anders als in den Pfarreien, wo Frauen meist in der Überzahl sind, kommen hier an der Autobahn vor allem Männer. Sie sind beruflich eben häufiger unterwegs, sagt der Pater. Als Kradfahrer, bei der Polizei, beim ADAC zum Beispiel. An diesem Tag betritt ein Soldat in Uniform die Kirche. Er zündet eine Kerze an, Tränen laufen über seine Wangen. Er verweilt wenige Minuten, dann geht er wieder.

    „Für meine Mama, gestorben am 2.August. Ich liebe und vermisse Dich.“

    Die Autobahnkirche in Adelsried ist die älteste in Deutschland. Sie ist fast 60 Jahre alt und muss sich finanziell selbst tragen, betont Hoyer. Erhalten und gepflegt wird sie durch die Spenden der Besucher. In einem normalen Monat kostet der Unterhalt inklusive Personal etwa 5000 Euro, sagt der Pater.

    „Ich komme regelmäßig mit dem Motorrad hier her an diesen ruhigen, schönen Ort. Herr, schütze alle Reisenden!“

    Am Schriftenstand können die Gäste Bücher, Rosenkränze, Christophorusmedaillen kaufen oder einfach eine Spende dalassen. Auch am Inhalt des Geldkästchens merkt der Pater, wie international der Besuch ist. „Schon zwei Tage, nachdem der Euro in Lettland eingeführt wurde, hatte ich hier die erste lettische Münze“, erzählt er. Die A8 sei eben eine der Hauptverkehrsadern Europas. Deshalb machen auch viele Menschen aus dem Ausland Halt. Im Anliegenbuch stehen Einträge auf italienisch, polnisch, kroatisch, niederländisch. Egal woher sie kommen: Für viele ist die Kirche ein Ort, um Fragen, Bitten, Probleme auszudrücken. Einige sind auch einfach nur dankbar.

    „Danke, dass Du mich so geschaffen hast, wie ich bin!“

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