Eines muss man dem kleinen Stieglitz lassen: Scheu ist er nicht. Denn seit er von dem Ehepaar Elisabeth und Friedrich Geiger rund sechs Wochen lang liebevoll aufgepäppelt wurde, kehrte er jeden Abend auf den großen Balkon zurück.
Er scheint seinen Pflegeeltern voll und ganz zu vertrauen. Das ging eine Weile so, bis er vor etwa zwei Wochen dann doch beschlossen hatte, die Freiheit zu suchen. „Wir haben ihm nicht das Leben gerettet, um ihn dann in Gefangenschaft zu halten“, sagt Elisabeth Geiger.
Familie Geiger aus Adelsried päppelt schon seit Jahren Vögel gesund
Eines Abends hatte der sechsjährige Eren Yildirim aus der Nachbarschaft den kleinen Vogel auf der Straße gefunden und ihn bei Familie Geiger abgegeben. Der Stieglitz hatte wohl den Schnabel zu weit aus dem Nest gestreckt. Elisabeth Geiger, die sich schon seit vielen Jahren um junge Tiere kümmert, hat eine „private Intensivstation“ eingerichtet. „Wir haben Amseln, Spatzen, Wacholderdrossel, ja sogar Eichhörnchen und Igel großgezogen“, berichtet Geiger.
Durch eine rasche Wärmezufuhr, Darmmassage und mit einer Traubenzuckerlösung kam wieder Bewegung in den fünf Gramm leichten Vogel. Mit einem Brei aus „entsetzlich stinkendem“ Handaufzuchtspulver gab es dann nach einer Woche bereits eingeweichte Haferflocken. „Alle 20 Minuten wurde Beanie, wie er von den Enkelkindern getauft worden war, gefüttert. Hand und Pinzette waren der Mutterersatz“, verrät die fröhliche Tier- und Naturliebhaberin Geiger. Später gab es dann zerkleinerte Nüsse. Ein Gericht schmeckte Beanie aber noch besser. „Gurken liebte er ganz besonders“, so Geiger. Damit er sich richtig wohlfühlt, hat die Familie frische Gräser mit Wildkräutern beim Spazierengehen mitgenommen. „Die haben wir ihm in den Käfig gelegt.“ Beanie wurde immer zutraulicher und leistete der Vogelmama gerne Gesellschaft auf deren Schulter.
Mittlerweile macht der Stieglitz der Geigers seine eigenen Rundflüge
Wenn sie nicht gerade Flugübungen machten, zog sich der Vogel gerne ins Nest zurück, bis er mutig genug war, um sich tagsüber auf Rundflüge zu begeben. „Zum Essen und Schlafen ist er jeden Abend wieder in seinen Käfig zurückgekehrt“, verrät Geiger. Mittlerweile konnte Beanie selbstständig picken. Die großen Sonnenblumen im Garten liebte er besonders. Und er wuchs schnell. Bei seiner Auswilderung wog er bereits 16 Gramm.
„Wir haben für die Freilassung den Wetterbericht genau angesehen und auf eine längere Schönwetterperiode geachtet“, sagte Friedrich Geiger. Die ganze Familie, auch Tochter und Enkelkind, waren anwesend, als Beanie seinen Flug in die endgültige Freiheit machte. „Da sind natürlich Tränen geflossen.“
Beim Gespräch schaut Elisabeth Geiger immer wieder nach oben zu den Baumkronen. „Ich würde ihn am Ton jederzeit wiedererkennen.“
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