Vertraulich, Verschlusssache – nur für Dienstgebrauch steht unter dem in Großbuchstaben „INTERNER Entwurf“ überschriebenen Papier. Eine Arbeitsgruppe aus nicht weniger als fünf Ministerien arbeitet sich darin an einem der großen Projekte aus unbeschwerten Anfangszeiten der Ampel-Koalition ab: der Legalisierung von Cannabis – „zu Genusszwecken“, wie es im Beamtendeutsch heißt. Inzwischen ist das Papier alles andere als geheim. Der durchgestochene Entwurf für ein Eckpunktepapier verbreitete sich in den E-Mail-Postfächern des Berliner Politbetriebs schneller als ein Computervirus.
Koalition plant Cannabis-Legalisierung bis ins kleinste Detail
Die zwölf Seiten haben es in sich. Auch wenn sie in Zeiten von Krieg und Krisen aus der Zeit gefallen zu scheinen. Selbst den Fragen des klimatischen Fußabdrucks und der ökologischen Folgen eines Cannabis-Anbaus auf Ackerflächen oder der „erhöhten Nachfrage nach Strom“ beim Anbau in Hallen unter Kunstlicht widmet sich die Fachgruppe. Ebenso, ob ein Verkauf von Cannabis nicht nur in „lizenzierten Fachgeschäften“, sondern auch über Apotheken laufen sollte. „Dadurch könnte über die bestehende Infrastruktur eine bessere Versorgung im ländlichen Raum ermöglicht werden“, sorgen sich die Ministerien-Fachleute um das Angebot abseits der Städte.
Immerhin geht es um scheinbar gewaltige Mengen, welche die Deutschen künftig legal konsumieren könnten: Die Arbeitsgruppe schätzt einen „Bedarf von 400 Tonnen Genuss-Cannabis pro Jahr“. Findige Köpfe haben ausgerechnet, dass dies 20 „Joints“ pro Erwachsenen in Deutschland pro Jahr entsprechen würde. Das wäre immerhin die Hälfte dessen, was die Deutschen derzeit insgesamt an Zigarren und Zigarillos verqualmen.
Import für Cannabis-Legalisierung verstößt gegen EU-Recht
Die Pflanzen für die 400 Tonnen getrockneter Stoff müssten zudem komplett in Deutschland angebaut werden. Denn Import aus dem Ausland verstößt nach Ansicht der Fachleute gegen EU-Gesetze und internationales Recht. Dies ist nur eine der vielen hohen rechtlichen Hürden, die dem Ampel-Projekt im Weg stehen, wie dem Papier der Arbeitsgruppe penibel aufgeführt wird. „Alle Wege zur Umsetzung des Koalitionsvertrages sind mit unterschiedlichen völker- und europarechtlichen Risiken verbunden“, heißt es.
Was dies in der Praxis bedeutet, steht in einem hässlichen Wort in einem Nebensatz des Papiers: Drogentourismus. Denn Deutschland wäre das einzige Land in der gesamten Europäischen Union, das Cannabis tatsächlich legalisiert. Selbst in den liberalen Niederlanden ist Cannabis nur toleriert, aber illegal. Deutschland ist durch diverse EU-Gesetze und Abkommen verpflichtet, Drogenhandel und Ausfuhr über Grenzen zu unterbinden. Die ganze EU hat beispielsweise 1988 das „Wiener Abkommen“ der Vereinten Nationen als einen Meilenstein im internationalen Kampf gegen Drogen unterzeichnet. Es verpflichtet alle seine Unterzeichner ausdrücklich auch zur Strafverfolgung von Cannabis-Drogen.
CSU-Minister Klaus Holetschek warnt vor Drogentourismus bei Cannabis-Legalisierung
„Die Legalisierungspläne der Bundesregierung stellen nicht nur für Deutschland, sondern auch für ganz Europa ein gefährliches Signal dar“, sagte Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek. „Es ist zu befürchten, dass eine Legalisierung in Deutschland auch Cannabis-Fans aus anderen europäischen Ländern anlockt“, warnt er. „Deshalb muss die Bundesregierung sicherstellen, dass keine Anreize für einen Drogentourismus nach Deutschland geschaffen werden.“
Doch Holetschek bezweifelt, dass die Legalisierung überhaupt zulässig ist. „Es bestehen sowohl nach Europarecht als auch nach Völkerrecht hohe rechtliche Hürden für eine Legalisierung von Cannabis in Deutschland“, betont er. „Bei Verstößen gegen die UN-Einheitsabkommen sowie Europäisches Unionsrecht können Sanktionen drohen.“ Und selbst ein strikt kontrollierter legaler Markt für Cannabis würde „einen enormen bürokratischen und finanziellen Aufwand bedeuten“, erklärt der Jurist. Der CSU-Politiker gehört zu den entschiedensten Gegnern einer Cannabis-Freigabe. „Der Konsum birgt wesentliche und teils irreversible gesundheitliche und soziale Risiken – und jede Form der Verharmlosung ist völlig verantwortungslos“, betont er. „Cannabis besitzt eine starke stimmungs- und wahrnehmungsverändernde Wirkung.“ Bayern lehne deshalb die Legalisierungspläne der Bundesregierung klar ab.
Cannabis-Pläne: Karl Lauterbach will kein zweiter Andreas Scheuer werden
Die rechtlichen Risiken sieht auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach, dessen Haus die Federführung für die Umsetzung der Koalitionspläne des Projekts innehat.
Der SPD-Minister hat innerhalb der Koalition bereits klargemacht, dass er nur einen Gesetzentwurf vorlegen wird, der vorab von der EU für rechtlich einwandfrei geprüft wurde. Der Professor aus Köln will auf keinen Fall als zweiter Andreas Scheuer in die Regierungsgeschichte eingehen, nachdem der CSU-Mann mit dem Verstoß gegen EU-Recht ein hunderte Millionen Euro teures Mautdebakel erlebte.
So könnte der Kompromiss bei Cannabis-Legalisierung aussehen
In Juristenkreisen gibt es viele, die bezweifeln, dass die Cannabis-Legalisierung das Brüsseler TÜV-Siegel erhält. So könnte es zu einer Minimallösung kommen, die bereits bei den Koalitionsverhandlungen diskutiert wurde: Nur der Eigenanbau zum Eigenkonsum könnte straffrei werden. In dem Papier steht auch schon ein konkreter Vorschlag: „zwei weibliche blühende Pflanzen pro volljähriger Person.“