Wegen der laufenden Generalsanierung der Ammerseebahn verkehren dort bis Dezember keine Züge. Das eröffnet andere Nutzungsmöglichkeiten etwa für den Schondorfer Bahnhof: Am Freitag, 16. August, wird dort um 18 Uhr eine Ausstellung über einen ungewöhnlichen Menschen eröffnet, gestaltet von einem durchaus ebenfalls ungewöhnlichen Menschen: Der Bühnenbildner Erwin Kloker beschäftigt sich mit Gustav Mesmer. Unterstützt wird Kloker dabei durch den Kulturetat der Gemeinde Schondorf und der Gustav-Mesmer-Stiftung.
Der Name Gustav Mesmer dürfte den allerwenigsten Menschen etwas sagen und Mesmer war auch zu seinen Lebzeiten (von 1903 bis 1994) keine wirklich berühmte Person. Allerdings gibt es eine Stiftung, die seinen Namen trägt und die es sich zur Aufgabe gemacht hat, sein Lebenswerk zu erhalten. Vor diesem Hintergrund, erzählt Erwin Kloker, hat der Musiker Maxi Pongratz (“Kofelgschroa“) Musik für einen Film über Gustav Mesmer komponiert, die er wiederum zu einem Album mit dem Titel „Musik für Flugräder“ erweitert und 2021 mit Micha Acher, Theresa Loibl, Maria Hafner und Matthias Meichelböck eingespielt hat.
Gustav Mesmer wollte mit seinen Flugapparaten von Dorf zu Dorf fliegen
Der Titel dieses Albums führt hin zum Lebensthema von Gustav Mesmer: Als Kind der Zeit, in der Mensch begann, die Lüfte zu erobern, beschäftigte er sich zeitlebens mit der Konstruktion und dem Bau von Flugrädern, also Fahr- beziehungsweise Flugzeugen, die sich durch das Treten von Pedalen in die Lüfte erheben sollten. Die Vision von Mesmer war, mithilfe eines solchen Flugapparats auf einer kurzen Strecke von Dorf zu Dorf fliegen zu können. Freilich: Seine Konstruktionen erhoben sich zu keinem Zeitpunkt auch nur einen Zentimeter vom Erdboden.
Erst vor wenigen Tagen wurde die „Musik für Flugräder“ bei einem privaten Fest in Schondorf wieder aufgeführt, nachdem sie bereits 2023 im Hochseilgarten in Utting zu hören gewesen war. Erwin Kloker legt nun noch mit einer Ausstellung über Gustav Mesmer in der Sommer- und Winterhalle des Schondorfer Bahnhofs nach, die am Freitag eröffnet wird. Unter anderem ließ Kloker dafür Konstruktionsskizzen, die Gustav Mesmer auf Tapetenrollen zeichnete, auf meterlangen Fahnen reproduzieren. Gezeigt werden in Schondorf zudem großformatige 70 mal 100 Zentimeter große Bilder mit Mesmers kolorierten Flugradzeichnungen. Erwin Kloker hat auch ein Mesmer‘sches Flugrad nachgebaut. Zudem zeigt er Aufnahmen seines Großonkels Heribert Moser, der 1916 in Frankreich abgestürzte deutsche Doppeldecker fotografierte. Damit will er veranschaulichen, von welchen Eindrücken übers Fliegen der damals 13-jährige Gustav Mesmer möglicherweise geprägt wurde.
Gustav Mesner brachte 35 Jahre in der Psychiatrie zu
Mesmer wurde 1903 als sechstes von zwölf Kindern im oberschwäbischen Altshausen geboren. Nach einer schweren Operation konnte er mit elf Jahren nicht mehr die Schule besuchen und wurde zum Arbeiten auf verschiedene Gutshöfe geschickt, erzählt Erwin Kloker. Unter anderem kam er so in den Gutsbetrieb des Klosters Untermarchtal, wo er sich unter dem Einfluss einer Vinzenterinnenschwester entschloss, Benediktiner zu werden. Das Kloster Beuron (ein weiterer Großonkel Klokers war damals dort Professor für Hebräistik) verließ er jedoch nach sechs Jahren wieder, bevor er seine Gelübde ablegte.
1928 begann Mesmer in seinem Heimatort Altshausen eine Schreinerlehre. Am 17. März 1929 störte er eine Konfirmationsfeier in der Dorfkirche mit einer unchristlichen Erklärung, dass „hier nicht das Blut Christi ausgeteilt werde und sowieso alles Schwindel sei“. Elf Tage danach wurde er in die psychiatrische Heilanstalt Schussenried eingewiesen.
1932 wird die erste Flugmaschine aktenkundig
In Schussenried wurde er in der Buchbinderei beschäftigt. Seinem unbändigen Freiheitswillen – Mesmer unternahm in den späten 1930er-Jahren 16 Fluchtversuche – verlieh er, beseelt vom ununterbrochenen Gedanken ans Fliegen, mit dem Zeichnen und Basteln von Flugmodellen in allen Variationen Ausdruck: nach antikem Vorbild, nur von Muskelkraft angetrieben. Am 10. Oktober 1932 tauchte erstmals folgende Notiz in seiner Krankenakte auf: „Hat eine Flugmaschine erfunden, gibt entsprechende Zeichnungen ab.“
Durch Nachlässigkeit der Behörden und aufgrund fehlender Unterbringungsmöglichkeiten seiner Verwandten zogen sich seine Anträge auf Entlassung jahrelang hin. Erst 1964 wurde er in ein selbstbestimmtes Leben entlassen.
Gustav Mesmer wurde als „Ikarus vom Lautertal“ bezeichnet
Ein Altenheim in Buttenhausen, einem kleinen Dorf auf der Schwäbischen Alb, war Mesmers letzte Lebensstation. Hier sorgte er bei der Erprobung seiner aus allerlei Altmaterial wie Dachlatten, Blechteilen, Siloplanen und Mülltüten (zur Bespannung der Tragflächen) verfertigten Flugmodelle für Aufsehen, so etwa mit einem umgebauten Damenfahrrad. Nach einiger Zeit erhielt er von der Bevölkerung den Namen „Ikarus vom Lautertal“. Er schuf auch noch andere Dinge, merkt Erwin Kloker an, etwa ungewöhnliche Musikinstrumente und eine Sprechmaschine.
19 Jahre nach seinem Tod wurde 2013 das „Gustav Mesmer Haus“ als Teil des Zentrums für Psychiatrie Südwürttemberg eröffnet. Eine Stiftung zur Pflege der Erinnerung an Leben und Werk dieses ungewöhnlichen Menschen war bereits 1996 gegründet worden. Die Ausstellung in Schondorf wird bis Mitte September im Bahnhof zu sehen sein.
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