Gibt es ähnlich wie Green-Washing auch ein Mental-Health-Washing – also ein so tun als ob, um gut dazustehen, ohne es wirklich ernst zu meinen? Diese Frage stellte Cornelia Wanke, Ökonomin und Business Coach, beim jüngsten Symposium in der Psychosomatischen Klinik Kloster Dießen bei ihrem Vortrag „Mentale Gesundheit – Ein Must-Have für die Businesswelt oder doch (nur) ein Businessmodell?“
Zum Einstieg in das Thema definierte sie den Begriff Mentale Gesundheit: Darunter versteht man eine emotionale, psychische und soziale Stabilität, die beeinflusst, wie Menschen denken, fühlen und handeln. Zugleich präsentierte sie alarmierende Zahlen: 2022 entfielen in Deutschland 18 Prozent aller Krankmeldungen auf psychische Erkrankungen, Spitzenreiter dabei sind Depressionen und Angststörungen.
Psychische Erkrankungen sind der häufigste Grund für Frühverrentungen
Zudem zeigten 26 Prozent der Beschäftigten Anzeichen von Burn-out. Burn-out werde begünstigt in Branchen mit einer hohen Arbeitsbelastung und wenig Handlungsspielraum, so Wanke. Grundsätzlich erfülle jeder dritte Erwachsene innerhalb eines Jahres die Kriterien einer psychischen Erkrankung, und alljährlich erkranken rund 20 Millionen Menschen neu. Durch die langen Wartezeiten auf einen Behandlungsplatz stiege das Risiko einer Chronifizierung, sagte Wanke, die auch die Auswirkungen auf die Ökonomie ansprach: So sind psychische Erkrankungen der häufigste Grund für Frühverrentungen, das durchschnittliche Berentungsalter liege dabei bei 50,5 Jahren.
Hinter diesen Zahlen stecken nicht nur viele persönliche Leidensgeschichten, sondern auch hohe Summen: So machen die Kosten durch psychische Erkrankungen rund 13 Prozent aller Krankheitskosten, in Summe rund 56 Milliarden Euro jährlich, aus. Den volkswirtschaftlichen Verlust bezifferte die Ökonomin mit 1,1 Prozent des Bruttonationaleinkommens. „Hätten wir diese Summe als Wachstum, hätten wir überhaupt keine Probleme mit der Wirtschaft“, so Wankes Resümee, dem sie die Forderung nach mehr Prävention nachschob: „Warum wird gewartet, bis die Menschen krank sind und zu wenig getan, um ihre Gesundheit zu erhalten?“ Der Weg dorthin ist für Betriebe auch durch gesetzliche Grundlagen geregelt. So haben die gesetzlichen Krankenkassen die Aufgabe, Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung zu unterstützen.
Gesundheits-Apps ersetzen keine besseren Arbeitsbedingungen
Wanke ging auch auf digitale Angebote zur Förderung der Mentalen Gesundheit ein. Dazu zählen Apps, beispielsweise mit Entspannungs- und Meditationsübungen, aber auch kognitiver Verhaltenstherapie, die zunehmend vor allem von größeren Unternehmen den Mitarbeitenden zur Verfügung gestellt werden. Die Beliebtheit der Apps sei gestiegen, vor allem während der Corona-Pandemie, der Stresslevel werde jedoch – nach dem Empfinden der Nutzer – oftmals nicht nachhaltig gesenkt. Der Grund dafür liegt auch darin, dass Unternehmen mit diesen Angeboten „Mental Health Washing“ betreiben, sprich, zwar in Apps investieren, jedoch keine Verbesserungen der Arbeitsbedingungen vornehmen. „Die Frage muss doch viel mehr lauten: Was brauchen Menschen, um sich im Unternehmen gesund entwickeln zu können?“, so Wanke.
Wanke riet dazu, nur Apps von Anbietern zu verwenden, die von der Zentralen Prüfstelle Prävention (ZPP) zertifiziert wurden. Nur rund 20 Prozent der am Markt üblichen Produkte verfügen über dieses Siegel - wenig im Vergleich zu immer mehr digitalen Gesundheitsprodukten, die auf den Markt drängen. Zu den Digitalen Gesundheitsanwendungen (Diga‘s), diese sind verschreibungspflichtig, sagte Wanke, dass diese helfen könnten, die Wartezeiten bis zu einer Psychotherapie zu überbrücken oder auch zwischen den Sitzungen. Sie könnten jedoch keine Therapie ersetzen.
Mentale Gesundheit: Von der Kuration zur Prävention
Grundsätzlich liege beim Trend-Thema Mentale Gesundheit „viel Musik drin“, so Wanke. Gemeint ist, dass dieser Markt Investoren anzieht, kein Wunder bei einem Wachstum von 15 Prozent. Als Fazit verlangte Wanke einen Paradigmenwechsel von der Kuration zur Prävention. Zwar stehe man dabei noch ganz am Anfang. Aber auch durch den Ärzte- und Fachkräftemangel sei ein Umdenken zwingend notwendig.
Für eine Stärkung der Mentalen Gesundheit setzt sich auch der Chefarzt der Psychosmatischen Klinik Kloster Dießen, Bert te Wildt, ein. Zusammen mit seinem Kollegen Timo Schiele schrieb er das Buch „Burn on. Immer kurz vor dem Burn-out“, und greift dabei die sich auf dem Vormarsch befindliche Erschöpfungsdepression auf.
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