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Ammersee: Transgender aus Dießen: Im falschen Körper geboren

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Transgender aus Dießen: Im falschen Körper geboren

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    Finn (links) und Steffi Pia aus Dießen sind ein Paar. Beide wollen sich einer Operation unterziehen, weil sie sich nicht dem Geschlecht zugehörig fühlen, mit dem sie geboren wurden.
    Finn (links) und Steffi Pia aus Dießen sind ein Paar. Beide wollen sich einer Operation unterziehen, weil sie sich nicht dem Geschlecht zugehörig fühlen, mit dem sie geboren wurden. Foto: Thorsten Jordan

    Steffi Pia Jädicke hat schon einen langen, vor allem psychisch schmerzhaften Weg hinter sich, denn sie ist noch nicht die Frau, die sie gerne sein möchte. Die 53-jährige Dießenerin wurde als Junge geboren und durchläuft derzeit eine Geschlechtsangleichung. Vor einer anderen Operation hat sie aber so viel Respekt, dass sie in diesem Punkt darauf verzichtet, weiblichen Vorstellungen entsprechen zu wollen.

    Rein äußerlich ist die Wandlung von Steffi, die früher Steffen hieß, schon zu erkennen. Hormone sorgen dafür, dass ihr Brüste wachsen, und die rot gefärbten, schulterlangen Haare trägt sie offen. „Ich hatte Glück, in meiner Familie haben alle volles Haar“, sagt sie und schmunzelt. Ihre Eltern, der Vater lebt inzwischen nicht mehr, und ihre Schwester hätten verständnisvoll auf ihr Outing reagiert, sagt sie. „Im Grunde war mir seit dem Kindesalter klar, dass ich ein Mädchen sein will. Ich hätte auch gerne Ballett gemacht.“ Doch zunächst fügte Steffen sich ins Rollenbild. Der gebürtige Sachsen-Anhaltiner arbeitete zu DDR-Zeiten in der Viehzucht und kündigte 1995, weil er die Haltung in dem Betrieb, die er als Tierquälerei empfand, nicht mehr mittragen wollte. Also sattelte Steffen auf Lkw-Fahren um und zog 1999 in den Landkreis Dachau.

    Geburt des Sohnes führt zu langer Beziehung

    Auch privat deutete zumindest nach außen nichts darauf hin, dass Steffen das Bedürfnis haben könnte, eine Frau zu sein. Er heiratete eine Frau und bekam mit ihr einen Sohn, der heute 21 Jahre alt ist. „Der Nachwuchs kam eher überraschend und hat dann zu einer längeren Beziehung geführt, weil ich für meinen Sohn da sein wollte. Wir haben uns getrennt, als er neun Jahre alt war.“ Kontakt zu ihrem Sohn, der im Landkreis Aichach-Friedberg lebt, habe sie nicht, auch wenn sie betont, dass sie stolz darauf sei, was dieser aus seinem Leben gemacht habe.

    „Meine Frau konnte sich nie mit meinem Bedürfnis abfinden und hat dafür gesorgt, dass mein Sohn keinen Kontakt mehr will. Sie hat auch Druck gemacht, dass ich zum Psychotherapeuten gehen soll, damit dieser Wunsch in mir verschwindet.“ Ärztliche Hilfe brauchte Jädicke über die Jahre aber tatsächlich immer wieder, weil sie unter Depressionen litt. „Das ist bei sehr vielen Transgendern ein Problem. Ich schätze, dass es etwa zwei Drittel betrifft“, sagt die 53-Jährige. Als sie im Jahr 2011 wieder einmal in München-Haar in der Klinik war, erhielt sie einen Brief vom Anwalt. Die Ehefrau wolle die Scheidung, erinnert sich Steffi Pia Jädicke an das Schreiben. „Die Art und Weise war schlimm für mich, aber zugleich auch der Zeitpunkt, an dem ich mir gesagt habe: O.k., dann kann ich mich auch outen und sagen und zeigen, was ich wirklich fühle.“

    Dießener will sich nicht an Stimmbändern operieren lassen

    Weil Jädicke erst die Depressionen besiegen musste, fing sie erst vor zwei Jahren mit der Hormontherapie an. „Etwas zickiger bin ich dadurch schon geworden und fahre Leuten schon mal über den Mund, das ist sonst nicht meine Art“, sagt sie und schmunzelt etwas. Ende dieses Monats wird der Medizinische Dienst der Krankenkassen darüber entscheiden, ob die geschlechtsangleichende Operation bezahlt wird. „Das war ein Marathon, bis ich endlich alle Unterlagen hatte, die sie für die Entscheidung benötigen“, erinnert sich die 53-Jährige. Vor einer Operation hat sie aber so viel Respekt, dass sie darauf verzichten wird: die Stimmbänder. „Es gibt auch Frauen mit tiefen Stimmen“, betont Jädicke. Sie denkt aber über eine Brustvergrößerung nach, damit diese besser zu ihrem etwas breiteren Kreuz passen.

    Die Zahl der Transgender in Deutschland steigt seit Jahren, vor allem bei jüngeren Menschen lässt sich dieser Trend beobachten, äußerten Mediziner in der jüngeren Vergangenheit. Genaue Zahlen sind aber nicht statistisch erfasst. Eine Entwicklung, die Steffi Pia mit einer gewissen Sorge betrachtet. „In meinem Alter sind sich die Transgender wirklich sicher, was sie wollen. Bei Jugendlichen sollte man auf jeden Fall sehr genau hinsehen, weil der Eingriff irreversibel ist.“

    Im Rock und mit Handtasche durch Dießen

    Die 53-Jährige geht offen mit dem Thema Transsexualität um. Sie trägt Rock und Schuhe mit Absätzen, hat eine Handtasche und lackierte Fingernägel. „Ich habe mich so lange versteckt und will es jetzt nachholen“, sagt sie zu ihren bewusst weiblichen Outfits. Ihr Partner (48), der sich im Mai vergangenen Jahres geoutet hat, formal noch eine Frau ist und sich Finn nennt, sagt, er bewundere die Gelassenheit von Steffi, wenn es auf der Straße zu unangenehmen Blicken oder Sprüchen komme. „Ich finde, in Dießen ist es ganz o.k., da hatte ich beispielsweise in München schon deutlich häufiger Probleme. Mein Lieblingslied ist ,Lass die Leute reden’ von den Ärzten“, sagt Steffi Jädicke zu dem Thema.

    Auch ihr Partner war 26 Jahre verheiratet und hat zwei Kinder. Wegen des Nachwuchses sei man lange zusammengeblieben, erinnert er sich. Der Ehemann habe viele weibliche Züge gehabt, sagt Finn. „Sonst hätte das nicht funktioniert.“ Dass Finn überhaupt eine Beziehung mit einem Mann eingegangen ist, habe mit den Erwartungen der Familie zu tun, sagt er rückblickend. Die Kinder hätten verständnisvoll reagiert und das Outing weder in der Familie noch am Arbeitsplatz großes Erstaunen ausgelöst. „Viele haben gesagt, es sei für sie offensichtlich gewesen.“ Dass er lieber ein Junge wäre, sei ihm schon früh klar gewesen und er habe es gehasst, Kleider zu tragen, sagt Finn. Das Erste, was er sich nach seinem Outing kaufte, war ein Anzug. Stolz zeigt er die Bilder.

    Finn hat noch einen weiteren Weg vor sich als Steffi, bis er ein Mann ist. Steffi hat große Hoffnung, dass die Geschlechtsangleichung bald vorgenommen wird. „Dann komm ich endlich aus dieser schrecklichen Zwischenwelt raus, in der ich gerade stecke.“

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