Zum Glück hat Kapitän Andreas Wipper einen klimatisierten Arbeitsplatz an Bord des Schaufelraddampfers „Diessen“ an diesem heißen Sonntagnachmittag. Denn angesichts der unzähligen Segelboote, Stand-up-Paddler und Schwimmer, die den Ammersee bei schönstem Sommerwetter in Beschlag nehmen, gilt es, einen kühlen Kopf zu bewahren um das Ausflugsschiff samt Passagieren sicher von einem Anlegesteg zum nächsten zu manövrieren. Von 12 Uhr mittags bis 19.30 Uhr am Abend geht sein Dienst und unaufmerksame Momente darf er sich nicht erlauben. Denn das könnte böse Folgen haben.
Routiniert legt Wipper, der seit 2007 Kapitän auf den Ausflugsschiffen der Bayerischen Seenschifffahrt ist, am Dampfersteg in Herrsching an. Sobald das Schiff an den Bohlen festgemacht ist und die Passagiere aus- und dann aussteigen können, steht er oben im Führerhaus am Fenster. Aber nicht, um dem bunten Treiben am Steg und an der Promenade zuzuschauen, sondern um einen Teil seiner täglichen Arbeit auszuführen, die vermutlich kaum jemand auf dem Schirm hat. In jeder Hand hält Wipper eine kleine Zählmaschine. Mit der einen zählt er die aussteigenden Gäste, mit der anderen, die einsteigenden. Die Zahlen notiert er dann auf einem Blatt Papier. Maximal 500 Passagiere dürfen an Bord der „MS Diessen“ über den Ammersee gefahren werden. So viele sind es bei dieser südlichen Rundfahrt allerdings nicht. „Es ist vermutlich viel zu heiß, da gehen die Leute lieber baden“, glaubt Wipper und soll recht behalten. Spätestens beim Passieren der beiden Strandbäder in St. Alban und Riederau wird es deutlich: Wer auch immer kann, sucht Abkühlung im Ammersee.
Doch bevor Wipper das Schiff vom Ostufer aus nach Dießen steuert, gilt es laut und deutlich Signal zu geben, dass die „MS Diessen“ jetzt rückwärts vom Anleger in Herrsching abfährt. Dreimal zieht der Kapitän am Seil für das Signalhorn, dann setzt sich das Schiff langsam in Bewegung. Den Blick hat Wipper dabei auf die Rückfahrkameras gerichtet und von seinem Kollegen David Meszaros, ebenfalls Kapitän auf dem Ammersee, erhält er zusätzlich die Information, dass der Weg raus aus der Herrschinger Bucht frei sei.
Ganz so einfach ist das Ab- oder Anlegen an den Stegen rund um den See nicht immer. Vor allem dort, wo sich beliebte Badestellen oder Strandbäder in unmittelbarer Nähe befinden, ist höchste Konzentration und Vorsicht geboten. „Es kommt immer mal wieder vor, dass Leute ganz bewusst im fast letzten Moment vom Steg ins Wasser springen oder in aller Ruhe in unserer Fahrtroute weiter schwimmen oder mit dem Schlauchboot paddeln“, berichtet Meszaros. Zu diesem Zeitpunkt ahnt er nicht, dass bei der Rückkehr des Schiffes in Herrsching genau so eine Situation auf ihn und Kapitän Wipper warten wird.
„Heute ist auf dem See gar nicht so viel los“, sagt Wipper und gibt den Blick auf den Radar-Bildschirm an seinem Steuerstand frei. Nicht viel los? Das Schiff befindet sich gerade etwa 300 Meter entfernt vom Ufer vor dem Strandbad von St. Alban. Es wimmelt nur so von roten Punkten, zumindest für den Laien. Jeder Punkt gehört zu einem beweglichen Etwas auf dem See, Stand-up-Paddler etwa werden aber mit der aktuellen Radar-Technik gar nicht erkannt.
Aber es scheint Tage zu geben, an dem der See noch weitaus stärker bevölkert ist. Gleichwohl muss Wippler jedes Segelboot, jedes Schlauchboot und einfach alles, was sich auf der Wasseroberfläche zeigt, genau im Blick haben. Manchmal holt er sich dabei Unterstützung von seinem Fernglas. „Damit kann ich auch Segelboote beobachten, die momentan noch etwas weiter entfernt von meiner Route sind, aber darauf zusteuern.“ Sitzt der Steuermann an Bord eines solchen Boots mit dem Rücken zu ihm, gibt Wippler ein lautes Zeichen. „In der Regel reagieren die Leute dann auch ziemlich schnell“, sagt er. Unbelehrbare oder unerfahrene Segelausflügler gebe es aber leider auch immer wieder. Und die Verkehrsregeln, die auf dem Ammersee, wie im Übrigen auf jedem anderen Gewässer auch, gelten, kennen viele Freizeitsegler und Wassersportler auch nicht. In der bayerischen Schifffahrtsordnung ist beispielsweise geregelt, dass die Fahrgastschiffe im Linienverkehr auf dem See immer Vorfahrt haben.
„Und unvernünftige Schwimmer“, ergänzt sein Kollege Meszaros, der an diesem Tag Kassendienst auf der „MS Diessen“ macht und daher immer wieder mal Zeit hat, in der Kapitänskabine vorbeizuschauen. „Einem Kollegen ist es passiert, dass ein Schwimmer am Steg an das Schaufelrad geschwommen ist, um sich das mal genauer anzusehen. Nur weil ein Passagier an Bord das gesehen und den Kollegen sofort informiert hat, ist nichts passiert.“
Brenzlige Situationen gibt es an diesem Sonntagnachmittag zum Glück keine und Wippler kann den herrlichen Blick auf das Dießener Marienmünster vor dem stahlblauen Himmel im Hintergrund und den weiß leuchtenden Segeln im Vordergrund genießen. „Die Stimmung auf und am See ist immer wieder eine andere und immer wieder faszinierend“, sagt der Kapitän, der seinen Job sichtich genießt. Auch wenn, wie er sagt, in der Coronapandemie der Wassersport einen richtigen Boom erlebt hat, der bis heute anhält. Selbst in Riederau, wo Wippler die „MS Diessen“ ganz nah am Strandbad vorbei zum Anlegesteg manövrieren muss, läuft alles nach Plan.
Dann führt die südliche Route wieder zurück nach Herrsching. Schon aus der Ferne ist zu erkennen, dass sich in der Bucht und rund um den Steg viele Wassersportler tummeln. Und dann muss David Meszaros, der im Bug des Ausflugsschiffes steht, doch noch eingreifen. Mit lauten Rufen fordert er ein paar Schlauchboot-Fahrer auf, nicht noch näher an den Anlegesteg zu kommen. Es braucht ein paar laute Schreie, dann drehen die Angesprochenen ab und Wippler kann wieder in Herrsching anlegen.
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