Dießen: Nach fast 120 Jahren geht der Ofen im Café Vogel aus
Das Café Vogel in Dießen wird schon in der fünften Generation betrieben. Ab Mitte des Jahres bleibt der Backofen kalt. Warum der Familienbetrieb nach 118 Jahren schließt.
„Alles hat seine Zeit“, sagt Jutta Golder und lächelt. 42 Jahre lang stand die 54-jährige, erst als Tochter des Hauses und später als Geschäftsführerin und Konditormeisterin, nahezu täglich in der Backstube oder hinter der Verkaufstheke der Konditorei Café Vogel. In dem traditionsreichen Ladengeschäft mit familiärer Atmosphäre an der Dießener Johannisstraße 4 werden bis heute Torten in traditioneller Handwerkskunst gefertigt und dekoriert. Kuchen, selbst gemachtes Eis, Pralinen oder andere Köstlichkeiten werden über die Ladentheke gereicht. Doch das alles wird bald Geschichte sein.
Sobald das Glöckchen beim Öffnen der Eingangstüre zur Konditorei ertönt, ist man verzaubert vom Anblick der süßen Leckereien und es scheint, als würde das Tosen der stark befahrenen Johannisstraße verstummen. Man kauft ein oder setzt sich an einen der liebevoll gedeckten Tische, um bei einer Leckerei den Alltag zu vergessen. Und im Sommer lockt der Garten, wo vom Straßenverkehr nichts zu hören ist, und wo bis heute an schönen Sommertagen gesungen wird oder kleine Konzerte stattfinden. Doch lange wird es dieses Idyll nicht mehr geben. Die Konditoren-Familie Golder/von Thülen hat sich entschieden, ihr Café im Sommer für immer zu schließen. Nun freuen sie sich auf einen neuen Lebensabschnitt. „Vor ein paar Tagen habe ich die erste Bewerbung meines Lebens geschrieben“, sagt Jutta Golder.
Die Vorfreude auf einen neuen Lebensabschnitt ist groß
Gegründet wurde die älteste Konditorei Dießens, das Café Vogel, 1904 von Viktoria und Paul Vogel. Seitdem Jutta Golder das Geschäft 1997 in der fünften Generation von ihrem Vater Hermann Busch übernommen hat, wurden hier 23 Lehrlinge ausgebildet. Insgesamt zehn Mitarbeiter unterstützen derzeit das Familienteam, das aus den Konditormeistern und Geschäftsführern Jutta (54) und Reinhard Golder (53) sowie deren Sohn, Juniorchef Lukas von Thülen (27) besteht, der das Konditorhandwerk ebenfalls von der Pike auf gelernt hat. Man habe es sich mit der Entscheidung, Café und Konditorei aufzugeben nicht leicht gemacht, erklären die Drei – man habe viel nachgedacht, geredet, gerechnet und gekämpft. In den letzten Jahren sei zwar der Umsatz gestiegen, am Gewinn habe sich das jedoch kaum bemerkbar gemacht. Beste Rohstoffe hätten nach wie vor oberste Priorität, betont Jutta Golder. Doch die Preise dafür seien ebenso gestiegen wie die Energie- und die Lohnkosten für die Mitarbeiter. „Andererseits haben wir uns mit Preiserhöhungen für unsere Produkte immer schwergetan“, erklärt Reinhard Golder.
In einer Autowerkstatt würden für eine Handwerkerstunde bereits mehr als 100 Euro verlangt. Wenn sie diesen Betrag für eine kunstvolle Torte aus hochwertigen, regionalen Rohstoffen verlangen würde, würde das kein Kunde akzeptieren. „Konditor ist eben ein sehr arbeitsintensiver Beruf mit teuren Rohstoffen und edlen Materialien“, betont Jutta Golder.
In die Backstube müsste viel Geld investiert werden
So habe man in den letzten Jahren fleißig vor sich hin gewerkelt, ohne nennenswerte Rücklagen bilden zu können. Und mittlerweile sei nicht nur der Laden, sondern auch die Backstube eine „Zeitbombe“: „Wir haben lauter alte Geräte. Den Backofen hat mein Vater 1963 gekauft. Der tut zwar seine Dienste, aber wenn der kaputt ist, kostet ein neuer Backofen rund 70.000 Euro. Und eine neue Teigrührmaschine, die den neuesten Bestimmungen entspricht, benötigen wir auch“, erklärt Jutta Golder. Für den Verkauf werde eine neue Kühltheke benötigt. Kostenpunkt: 70.000 Euro. Ein Konzept, wie sie ihr Geschäft gerne modernisieren würden, haben die Golders seit einigen Jahren in der Schublade, doch eine Umsetzung war bisher nicht möglich. „Heute muss man viel effektiver arbeiten, mit möglichst wenig Personal und viel Selbstbedienung,“ sagt Jutta Golder und fügt hinzu: „Aktuell sind wir schuldenfrei“, deshalb habe sich die Familie an Weihnachten geeinigt, keine neuen Investitionen zu tätigen, sondern das Geschäft jetzt aufzugeben. Damit ist auch Sohn Lukas einverstanden: „Ich liebe meinen Beruf“, sagt der junge Konditor und Familienvater. „Aber ich wünsche mir geregelte Arbeitszeiten und mehr Zeit für meine Familie“.
Hinzu komme, so die Golders, dass sich das Verkaufsverhalten der Kunden verändert habe. Die Lage an der verkehrsreichen Ortsdurchfahrt sei ein Problem und die Zahl der Stammkunden und der Laufkundschaft gehe zurück. Es sei nicht attraktiv, an der verkehrsreichen Johannisstraße zu flanieren und einzukaufen. Mit dem Fahrrad sei ein Einkauf an der Ortsdurchfahrt nicht ungefährlich und Autoparkplätze seien schlicht nicht vorhanden. Eine Verkehrsberuhigung, von der auch die Gewerbetreibenden an der Johannisstraße profitiert hätten, habe die Gemeinde in den letzten Jahrzehnten schlicht versäumt.
Das Ende des Traditionscafés Vogel sei definitiv traurig, umso mehr, weil man dank Sohn Lukas die beiden Corona-Jahre gut überstanden habe. Lukas von Thülen hatte seine Eltern zu ungewöhnlichen Geschäftsideen motiviert: Originelle Themenboxen zu verschiedenen Anlässen oder Feiertagen wurden in den sozialen Medien beworben, gepackt und verschickt. Das Café blieb während Corona geschlossen, die Konditorei konnte weiterlaufen. Trotzdem lautet das Fazit der Golders: „Es hat sich halt vieles geändert, was wir mit unserer Eigenleistung nicht mehr ausgleichen können, obwohl wir unsere Arbeit immer sehr gerne gemacht haben“.
Auch ungewöhnliche Geschäftsideen helfen nicht mehr
Eine rosige Zukunft können sie sich für die Konditorei Café Vogel aufgrund der geringen Gewinnspanne und der Lage ihres Geschäfts nicht mehr vorstellen. Worüber sich die Golders jedoch freuen, ist die Tatsache, dass sie beide Lehrlinge und auch einige Mitarbeiter weitervermitteln konnten. Auch Sohn Lukas hat eine Perspektive. Er wird ab Herbst eine leitende Position in einer großen, modernen Backstube übernehmen. Und noch etwas ist sicher: Ihre Kunden will die Familie Golder/von Thülen bis zum letzten Öffnungstag des Café Vogel, der voraussichtlich Mitte des Jahres sein wird, mit der gewohnten Qualität und Freundlichkeit verwöhnen.
Das Café Vogel war eine Institution in Dießen
Winfried Kahler (71) aus Dießen ist Rentner und erinnert sich: "Früher hatten wir da einen Stammtisch, an dem haben wir uns am Samstagabend häufig mit Freunden und Bekannten getroffen. Damals hatte das Café noch am Abend geöffnet. Heute bin ich immer noch Kunde." Es isei unendlich schade, dass das Café Vogel schließt.
Auch die Heilpraktikerin Claudia Huber (50) aus Dießen bedauert die Schließung des Traditionsbetriebs: "Ich habe mich im Café Vogel immer zuhause gefühlt. Die Auswahl an Kuchen, Torten und Gebäck ist großartig und es gibt immer wieder neue Kreationen. Nun verschwindet ein Traditionsgeschäft das 118 Jahre lang dazugehört hat."
Nicht weit entfernt vom Café Vogel betreibt Barbara Uhl (52) ihr Textilfachgeschäft: "Es tut mir weh, dass das Café Vogel schließt, es war eine Institution in Dießen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die schöne Konditorei mit langer Tradition in wenigen Monaten plötzlich weg sein soll, das ist schwer. Wenn ich mir etwas wünschen dürfte, wäre es ein Wunder, dass die Golders dazu bewegt, ihr Café doch weiterzumachen und nicht zu schließen. Aber sie werden wohl ihre Gründe haben. Es ist einfach unendlich schade und die Konditorei Café Vogel ist durch nichts zu ersetzen."
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