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Sportporträt: Ringen um eine Zukunft

Sportporträt

Ringen um eine Zukunft

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    Die deutsche Sprache ist der Schlüssel
    Die deutsche Sprache ist der Schlüssel

    Obaidullah Besmelabi lacht viel an diesem Abend. Einerseits aus Verlegenheit. Weil er die Sprache nicht versteht, mit der der Mann von der Zeitung Fragen stellt. Aber auch, weil er sich sichtlich freut. Weil er sich wohlfühlt. Geborgen.

    Das war nicht immer so. Besmelabi hat schwere Zeiten hinter sich. Leicht sind sie für den Afghanen auch jetzt nicht, es gibt ein schöneres Leben als das in einer Flüchtlingsunterkunft. Ohne Job und mit viel Langeweile. Zumindest ist der junge Mann mit dem dichten, schwarzen Haar nun in Sicherheit.

    Besmelabi, T-Shirt, Jeans, hellblaue sportliche Jacke, sitzt in der Sporthalle am Aichacher Gymnasium auf einem Hocker. Wiederholt schweift sein Blick hinüber zu den Kindern, die auf der Ringermatte tollen, Anweisungen ihrer Trainer befolgen und Griffe üben. Als er mit Oguz Özdemir, dem Cheftrainer des TSV Aichach, die Halle betreten hat, hat er alle Kinder abgeklatscht. Hat geholfen, die bunte Plane über den Mattenuntergrund zu ziehen.

    Besmelabi fing als Kind mit dem Ringen an

    Besmelabi wird mit offenen Armen empfangen, hat bei den Aichacher Ringern eine Ersatzfamilie gefunden, nachdem er seine Heimat, seine Mutter und seinen 21-jährigen Bruder verlassen hat. Sein Vater ist umgekommen, über die näheren Umstände möchte der Afghane nicht sprechen.

    Besmelabi lebte in Kabul. Als Kind fing er mit dem Ringen an, einer Art Volkssport in seiner Heimat. Als er eines Abends vom Training heimkam, überfielen ihn drei Männer, prügelten auf ihn ein, raubten Geld und Handy. Sie verletzten ihn mit einem Messer, eine Narbe auf dem Rücken zeugt davon. „Danach hat mein Bruder gesagt: Fliehe von hier, damit du in Sicherheit bist“, erzählt Besmelabi auf persisch. Seine Worte übersetzt Aushilfsdolmetscher Ali Naderi, 20, ein Freund aus der Asylunterkunft in Ingolstadt.

    Besmelabi hat eine lange Reise hinter sich. Vor drei Jahren hat er Kabul verlassen, lebte zwei Jahre im Iran, dann sechs Monate in der Türkei, ehe er den Weg nach Deutschland fand. Schleusern hat er Tausende von Euro bezahlt, die halfen, über Griechenland und Mazedonien zu Fuß nach Zentraleuropa zu gelangen. Dass diese Odyssee Spuren hinterlassen hat, verrät Besmelabis Gesicht, das älter wirkt als die 18 Jahre, die der Ausweis beweist.

    Im Juli strandete Besmelabi in Oberbayern. Über einen Bekannten hat Aichachs Trainer Özdemir davon erfahren, er erkannte das Talent, lotste ihn zu seinem Verein. Özdemir, 36, erinnert sich an die ersten Momente: „Er hat die Matte geküsst und sich riesig gefreut.“ Im Sport erfährt Besmelabi Anerkennung, wird abgelenkt von bedrückenden Gedanken an das Schicksal seiner Familie und den tristen Alltag. In der Ingolstädter Unterkunft – er teilt einen zwölf Quadratmeter großen Raum mit einem Zimmergenossen – falle ihm die Decke auf den Kopf, meint er.

    Besmelabi genießt es, wenn Özdemir ihn am Wochenende beherbergt und er für den TSV Aichach Kämpfe bestreiten kann. „Wenn er am Freitag ankommt, ist er super gelaunt. Wenn er am Sonntagabend fährt, ist er traurig“, erzählt Özdemir, der während des Gesprächs wiederholt mit seinem Schützling feixt, ihn neckisch stößt oder einfach mit ihm lacht.

    Der Afghane hat alle bisherigen Kämpfe gewonnen

    Das heimelige Gefühl zahlt Besmelabi mit sportlicher Leistung zurück. Weil er blitzschnell und wendig ist, überfordert der Angriffsringer in der 57-Kilogramm-Klasse seine Gegner. Alle sechs Saisonkämpfe hat er gewonnen. Das freut den Trainer, steht für ihn aber nicht im Vordergrund. Özdemir betont: „Wir sind froh, dass wir ihn hier haben, nicht nur als Mannschaftsmitglied, sondern als Mensch.“

    Im Verein ist das Bemühen groß, Besmelabi dauerhaft nach Aichach zu holen. Noch verhindert dies die Bürokratie, Ausnahmen sind selten. Vermutlich dauert es Monate, ehe Besmelabi die Unterkunft wechseln kann. Dass die Integration über den Verein leichter gelingen könnte, hat keinen Einfluss. Auch nicht, dass der TSV Aichach eine Arbeitsstelle suchen will. Besmelabi darf als anerkannter Kriegsflüchtling in Deutschland bleiben, darf sich frei bewegen. Schlüssel für eine Zukunft mit Perspektive ist die Sprache. Besmelabis Freund Naderi hat einen Deutschkurs belegt, kann sich verständigen, arbeitet für die Post. In seiner afghanischen Heimat war Naderi Informatiker. Trainer Özdemir, selbst mit türkischem Migrationshintergrund, weiß: „Alles fällt und steht mit der Sprache.“ Özdemir hofft, Besmelabi begreift das.

    Vorerst wird sich der Trainer anders behelfen müssen, ein Kurs wird dem Afghanen kurzfristig nicht angeboten, kommuniziert wird über Freunde wie Naderi, mit Händen und Füßen. Und über das Smartphone. Özdemir hat ein Programm installiert, das während des Kampfes Anweisungen übersetzt und im Alltag weiterhilft.

    Menschen wie Besmelabi geben der Flüchtlingskrise ein Gesicht. An seinem Handgelenk trägt er das Geschenk eines Freundes, ein Band in Schwarz, Rot und Grün, den Farben der afghanischen Flagge. Trotz der Traurigkeit, die ihn seit seiner Flucht begleitet, denkt Besmelabi nicht an eine Rückkehr in seine Heimat. Wenn er mit seiner Mutter in Kontakt steht, bestärkt diese ihn und sagt: „Bleib in Deutschland, hier ist die Situation so schwierig.“

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