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Sportporträt: Allkampf: Thomas Martin tanzt beim Reden

Sportporträt

Allkampf: Thomas Martin tanzt beim Reden

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    Auch vor dem Spiegel übt Großmeister Thomas Martin regelmäßig – auch wenn er selbst schon lange keine Wettkämpfe mehr bestreitet.
    Auch vor dem Spiegel übt Großmeister Thomas Martin regelmäßig – auch wenn er selbst schon lange keine Wettkämpfe mehr bestreitet. Foto: Elisa-Madeleine Glöckner

    Die Pistolenattrappe liegt in seiner Hand, der Gegner auf dem Boden. Zwei Griffe waren nötig, um sein Gegenüber zu entwaffnen. Beide saßen. Es klopft auf den Boden – das Zeichen für Thomas Martin, den Griff zu lockern. Die Männer stehen auf, verbeugen sich. Die Übung ist beendet.

    Fairness, Respekt und Disziplin – das sind wesentliche Dinge, die Thomas Martin am Allkampf schätzt. Er selbst, 1,80 Meter groß, 80 Kilo schwer, betreibt den Sport seit über 30 Jahren. Mittlerweile ist er Großmeister des 6. Dan und gehört zu den zehn besten Allkämpfern weltweit. Dabei hatte alles ganz anders angefangen.

    In Sachsen geboren wuchs der heute 51-Jährige zu DDR-Zeiten auf. „Die bösen Kinder in der Schule“ haben ihn dazu gebracht, mit Judo anzufangen. Die Kampfsportart, die übersetzt in etwa „sanfter Weg“ bedeutet, basiert vorwiegend auf Selbstverteidigung. Warum gerade Judo? „Während meiner Jugend im Osten gab es nichts anderes“, erzählt Martin. Vielleicht noch Ringen und Boxen. Aber das sei nichts für ihn gewesen. Alle anderen Kampfsportarten waren in diesen Tagen der Diktatur ohnehin verboten. „Sonst wäre es für das Regime vermutlich zu gefährlich geworden“, sagt Martin mit einem Augenzwinkern. Also begann er, im Alter von zehn Jahren Judo zu trainieren.“ Ein erster Schritt.

    Thomas Martin bleibt dem Allkampf treu

    Wenige Jahre später konnte er fliehen, schaffte es über die Grenze in die Bundesrepublik. Mit 19 probierte er sich in Karate, fand seine Leidenschaft ein Jahr darauf im Allkampf. Bis heute blieb er dieser Sportart treu, die an sich noch in den Kinderschuhen steckt. 1968 von Jakob Beck entwickelt beruht Allkampf auf mehreren Kampfsportarten, die in Kombination ein effektives Selbstverteidigungssystem kreieren. Oberstes Ziel ist es, bedrohliche Situationen auf juristisch einwandfreie Weise zu entschärfen.

    An der Sportdisziplin fasziniert Martin vor allem die Vielseitigkeit. „Mit Einflüssen von Karate, Taekwondo, Jiu-Jitsu, Judo und Aikido ist Allkampf nicht eintönig oder monoton, sondern abwechslungsreich“, sagt er. Vor sieben Jahren erlangte der gebürtige Sachse den sechsten Grad des schwarzen Gurtes. 2017 steht der siebte an. Gleichzeitig ist Thomas Martin aber der Ansicht, dass die Farbe des Gürtels keine Rolle spielt. „Die Graduierung ist irrelevant“, bekräftigt er. Für einen guten Trainer sei die Philosophie des Sports von Bedeutung. „Die Perfektion in der Bewegung, die Perfektion in der Wahrnehmung“, erklärt der Großmeister aus Hörmannsberg. „Alles zu sehen, alles zu hören.“ Das mache einen guten Ausbilder aus.

    Thomas Martin demonstriert die Abwehrgriffe an seinen Schülern.
    Thomas Martin demonstriert die Abwehrgriffe an seinen Schülern. Foto: Elisa-Madeleine Glöckner

    Wettkämpfe? Der Großmeister konzentriert sich auf andere Dinge

    Um so weit zu kommen, muss man fleißig trainieren, weiß Martin. Er tut dies dreimal die Woche. Dazu kommt eine Trainingseinheit Thai Chi – fernöstliche Gymnastik, die ihm hilft, sich ins Gleichgewicht zu bringen. Oder wie er formuliert: „Meiner Sache näherzukommen. Den Einklang zu finden zwischen Yin und Yan, Schatten und Sonne, Körper und Geist, Kampf und Meditation.“ Dass Thai Chi seine Attitude längst erreicht hat, erkennt man, wenn er Dinge formuliert: Er tanzt beim Reden, zeichnet Figuren in die Luft, um seinen Worten Untermalung zu schenken.

    Wettkämpfe bestreitet der Großmeister heute nicht mehr. „Das war zu meinen Judozeiten ein Thema.“ Beim Allkampf sei das nicht Sinn und Zweck der Sache. „Allerdings gibt es eine spezielle Art des Allkampfes, den sogenannten Allkampf-Kampf.“ Hier seien Auseinandersetzungen im Rahmen von Vergleichen üblich. Aber bei der herkömmlichen Form steht die Selbstverteidigung im Vordergrund: „Wenn jemand auf einen zukommt, dann muss man sich wehren können und versuchen, seine innere Energie in kleine disziplinierende Schläge umzuwandeln.“

    Thomas Martin musste sich sein Leben lang durchkämpfen. Sei es, um sich gegen Mitschüler zur Wehr zu setzen, um über die Mauer in den Westen zu kommen oder um einen Job zu finden. Es scheint fast paradox, dass der gelernte Baufacharbeiter den sportlichen Weg der Verteidigung anstatt des Kampfes gewählt hat. „Mein Weg war steinig“, sagt er über sich und seine Vergangenheit. „Ich habe viele schlechte Menschen getroffen.“ Kein Wunder, dass eines seiner Anliegen darin besteht, Kinder in richtige Bahnen zu lenken. Das Ergebnis dieses Bestrebens war eine Schule für Allkampf in seiner Heimat Sachsen. 1993 eröffnet war sie die erste ihrer Art.

    Sechs Jahre später übergab Martin die Schule seinem Co-Trainer und zog nach Bayern. In Ried eröffnete er seine zweite Ausbildungsstätte, die 2005 nach Bachern umzog. Rund 50 Schüler betreut er dort jede Woche, fördert deren Potenzial, schärft Fairness, Respekt und Disziplin. Vier weitere Schwarzgurte unterstützen ihn dabei. Von ihnen spricht er als seine Familie. Auf sie ist er besonders stolz.

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