Oguz Özdemir ist fassungslos. Weiß zunächst gar nicht, wie er reagieren soll. Ob er lachen oder weinen soll. „Das ist eine Katastrophe. Das ist unglaublich“, sagt er dann und ringt weiter nach Worten. Den Trainer des TSV Aichach hat die Nachricht am Dienstag geschockt. Seine Sportart, das Ringen, das er bei jedem Training und jedem Wettkampf mit Leidenschaft verkörpert, soll aus dem olympischen Kreis ausgeschlossen werden. Dies hat die Exekutiv-Kommission des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) im schweizerischen Lausanne entschieden.
Auf der Vollversammlung des IOC im September muss die Empfehlung noch bestätigt werden. Dieser Schritt gilt jedoch als reine Formalie. Folglich gehen bei den Sommerspielen in Rio de Janeiro 2016 wohl ein letztes Mal die Athleten in ihren engen Anzügen auf die Matte. Ringen verkomme dann noch mehr zur Randsportart als es schon jetzt der Fall sei, mutmaßt Aichachs Trainer Özdemir.
In anderen Ländern Volkssport
Er betont die Tradition des Ringens, spricht von der zweitältesten Sportart überhaupt. Ebenso wie Peter Widmann, der jahrelang als Jugendleiter des Bezirks Schwaben fungierte. Seit Beginn der Olympischen Spiele in der Neuzeit gehört Ringen zum olympischen Programm. Widmann hofft, dass sich in anderen Nationen Widerstand regt. Er denkt an Staaten wie USA, Iran, Aserbaidschan, Russland oder Kasachstan. Gerade in Ländern Osteuropas gilt das Ringen als Volkssport, wird professionell betrieben. Olympiasieger kassierten mitunter Prämien in Millionenhöhe. Davon sind deutsche Ringer meilenweit entfernt. Ohne Olympia droht ihnen endgültig die Bedeutungslosigkeit. In Sportfördergruppen bereiten sie sich bisher auf Olympia vor, den Wettbewerb, der weit vor Welt- und Europameisterschaften rangiert. „Für einen Ringer ist Olympia das Höchste“, bekräftigt Trainer Özdemir.
Er befürchtet, dass der Nachwuchs sich nicht mehr motivieren könnte, weil es kein übergeordnetes Ziel mehr gibt, für das es sich zu quälen lohnt. Özdemir nennt Denis Kudla als Beispiel. Beim TSV Aichach hat das Talent begonnen, inzwischen ist seine Heimat das Sportinternat in Schifferstadt. Der gebürtige Dasinger ist Kadettenweltmeister, war schon als Jugendlicher Deutscher Meister der Männer im Griechisch-Römischen Stil. Olympia sei eines seiner Ziele, betont Kudla stets.
Kriterien wie TV-Quote und Zuschauerzahlen
Das IOC begründet das Aus unter anderem mit den niedrigen Werten, die Ringen bei einer Analyse aller 26 olympischer Sommersportarten bekam. Insgesamt 39 Kriterien wie TV-Quoten, Zuschauerzahlen, Ticketverkäufe, Verbreitung, Mitgliederzahlen und Attraktivität für Jugendliche hatte die Programm-Kommission des IOC dabei untersucht. Moderner Fünfkampf, ein Wackelkandidat, darf bleiben. Statt des Ringens werden Sportarten wie Klettern oder Karate gehandelt.
Für Aichachs Ringer-Abteilungsleiter Robert Held ein unglaublicher Vorgang. Er hält die Entscheidung für eine „Lachnummer“. „Was wird als Nächstes gestrichen? Leichtathletik?“, fragt er ironisch. Held hat bei den Olympischen Spielen einen für ihn bedenklichen Trend ausgemacht: Amateursportler würden immer mehr von Profisportlern verdrängt, meint er.
Das Olympia-Aus des Ringens hat auch Peter Sedlmair überrascht. Der Bezirkssportreferent bedauert den Schritt des IOC. „Das ist traurig für uns Ringer“, sagt er. Teilweise, räumt der Funktionär jedoch ein, sei für ihn die Empfehlung des Exekutiv-Komitees nachvollziehbar. „Gerade die Kämpfe im Griechisch-Römischen Stil waren bei den letzten Olympischen Spielen für Laien nicht so attraktiv“, behauptet Sedlmair. Weil jede Niederlage die Heimfahrt bedeuten könnte, würden die Ringer bei Olympia weniger riskieren, begründet er.
Sedlmair macht sich wenig Hoffnung, dass das Aus noch verhindert werden kann. Gerade der Einfluss des Deutschen Ringerbunds sei dafür viel zu gering.
Lesen Sie den Kommentar von Johannes Graf