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AN-Hintergrund: Razzia schlägt wie eine Bombe ein

AN-Hintergrund

Razzia schlägt wie eine Bombe ein

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    Wenn die Steuerfahndung vor der Haustür steht, dann ist das kein Höflichkeitsbesuch. Zollbeamte werden bei Durchsuchungen hinzugezogen, wenn Verdacht auf Sozialversicherungsbetrug besteht.
    Wenn die Steuerfahndung vor der Haustür steht, dann ist das kein Höflichkeitsbesuch. Zollbeamte werden bei Durchsuchungen hinzugezogen, wenn Verdacht auf Sozialversicherungsbetrug besteht. Foto: Archivfoto: dpa

    Aindling/Aichach Wenn Fahnder von Steuer und Zoll mit Dienstmarke, Kisten für beschlagnahmte Unterlagen und einem richterlichen Durchsuchungsbefehl zur frühen Morgenstunde vor der Haustür stehen, dann rutscht selbst einem abgebrühten Menschen das Herz in die Hose – eine Wohnungsdurchsuchung ist alles andere als ein Kindergeburtstag. Welche Wirkung die groß angelegte Razzia in den Privatwohnungen von neun aktuellen und früheren Vorstandsmitglieder des TSV Aindling und in der Geschäftsstelle des Fußball-Bayernligisten diese Woche hinterlassen hat, ist deshalb nachvollziehbar. Im Vereinsumfeld am Lechrain war gestern die Rede von „Schockstarre“. Aber auch in der regionalen Fußballwelt schlägt das Vorgehen der Strafverfolgungsbehörden bei einem Verein hohe Wellen. Conny Höß, Präsident des FC Pipinsried, sieht „das Ehrenamt mit Füßen getreten“.

    Wie in der Samstagsausgabe der Aichacher Nachrichten exklusiv berichtet, wirft die Staatsanwaltschaft Verein und Vorstandsmitgliedern „Vorenthaltung und Veruntreuung von Arbeitsentgelten“ (siehe Infoartikel) vor. Die sperrige juristische Formulierung lässt sich auch auf Sozialversicherungsbetrug verkürzen und bezieht sich konkret auf die „Arbeitsverhältnisse“ und die Bezahlung von Fußballspielern. Generell ein schwieriges Thema des Vereinssports, wenn Spieler längst nicht mehr nur aus Spaß und Idealismus für einen Klub am Ball sind. Gleichzeitig ist ein Verein wie der TSV Aindling in der Bayernliga auch vom bezahlten Fußball meilenweit entfernt. Zwischen Profi- und klassischem Amateurbereich liegt eine „bezahlte“ Grauzone. Da geht es auch um die Steuervergünstigungen durch die sogenannte Gemeinnützigkeit eines Vereins In früheren Zeiten war es oft „Schwarzgeld“, das in keiner Kassenrechnung auftauchte und vom Privatsponsor direkt in Spielertaschen wechselte. „Weiß“ ist die „Entlohnung“ dagegen, wenn sie unter der 400-Euro-Grenze (Minijob) liegt und klar geregelt ist – dann ist das Beschäftigungsverhältnis nämlich sozialversicherungsfrei. Kompliziert wird’s, wenn beim Spieler netto mehr als 400 Euro ankommen, aber bei der Sozialversicherung immer noch nichts. Getrickst wird mit überzogenen Aufwandsentschädigungen und Fahrtkosten und anderen Zusatzentlohnungen für den Edelkicker – oder wenn mehrere 400-Euro-Jobber pro forma gemeldet sind, aber nur einer kassiert.

    Das alles ist keine Erfindung von Sportvereinen. Sozialversicherungsbetrug beschäftigt regelmäßig die Gerichte. Die Zollfahnder sind speziell im Einsatz, wenn der Verdacht besteht, dass Arbeitgeber Beiträge nicht abführen. Der Aystettener Bürgermeister ist beispielsweise Ende September zu einer Geldstrafe verurteilt worden, weil er nach Ansicht des Gerichts Sozial- und Pensionskassen um fast 4000 Euro betrogen hat. Er beschäftigte einen 67-Jährigen pensionierten Beamten als Vertretung und vereinbarte einen 400-Euro-Job. Die abgesprochenen Zeiten reichten nicht aus und ab einer Entlohnung von 1000 Euro im Monat wäre die Pension des Helfers gekürzt worden. Der Bürgermeister stimmt dann zu, die Ehefrau des Pensionärs auf dem Papier zu beschäftigen und einen Teil des Honorars über sie abzurechnen.

    Was konkret dem TSV Aindling und den neun aktuellen und früheren Vereinsfunktionären vorgeworfen beziehungsweise auch nachgewiesen wird, ist offen. Die Ermittlungen der Strafverfolger erstrecken sich über einen Zeitraum von mehreren Jahren. Tomas Zinnecker, Bürgermeister der Markgemeinde und Jurist, sprach gestern „von einer traurigen Geschichte: Wir müssen abwarten, was da rauskommt“. Die Vereinsverantwortlichen seien jedenfalls „völlig konsterniert.“

    Für Conny Höß ist die Härte der Strafverfolger nicht angemessen: „Auch wenn vielleicht Fehler gemacht worden sind. Aber das schreckt doch jeden Menschen ab, Verantwortung für einen Verein zu übernehmen“, befürchtet der Präsident des FC Pipinsried.

    Volker Weingartner, frisch bestätigter Präsident des BC Aichach, sieht sich zunächst bestätigt, dass ein solcher Verein unbedingt einen Steuerberater braucht: „Und für den TSV Aindling und die Betroffenen gilt wie für jeden in diesem Land die Unschuldsvermutung.“ TSV-Vorsitzender Ludwig Grammer habe ihn am Donnerstag über die Durchsuchungen informiert. Er selbst könne indirekt betroffen sein, weil bei einem drohenden rückwirkenden Verlust der Gemeinnützigkeit des Vereins die an ihn ausgestellten Spendenquittungen nicht mehr steuerwirksam wären. Weingartner war in der vergangenen Saison über die Beratungsfirma IBS Consulting beim TSV engagiert und mit seinem Unternehmen auch einer der Hauptsponsoren des Vereins.

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