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Inchenhofen: In der DDR inhaftiert, später in Inchenhofen glücklich geworden

Inchenhofen

In der DDR inhaftiert, später in Inchenhofen glücklich geworden

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    Rudi Georgi hat in Inchenhofen eine zweite Heimat gefunden. Dort steht auch der Geburtstagsbaum, mit dem er zu seinem 75. Geburtstag überrascht wurde.
    Rudi Georgi hat in Inchenhofen eine zweite Heimat gefunden. Dort steht auch der Geburtstagsbaum, mit dem er zu seinem 75. Geburtstag überrascht wurde. Foto: Marc Sturm

    Rudi Georgi ist 1949 in der DDR-Nachkriegszeit geboren und aufgewachsen. Als junger Mann gerät er mit dem System in Konflikt. Nach dem Mauerfall gehört er zu den Ersten, die in Aichach mit dem Wartburg aufkreuzen. In Inchenhofen haben er und seine Familie seit vielen Jahren eine neue Heimat gefunden. Dort hat Georgi nun seinen 75. Geburtstag gefeiert. Sein bewegter Lebenslauf steht beispielhaft für eine gelungene Wiedervereinigung des einst geteilten Deutschlands. 

    Bei der Firma Michl in Inchenhofen findet Rudi Georgi kurz nach der Wende Arbeit.
    Bei der Firma Michl in Inchenhofen findet Rudi Georgi kurz nach der Wende Arbeit. Foto: Repro Marc Sturm

    Rudi Georgi ist 1949 in Abtsdorf, wenige Kilometer östlich der Lutherstadt Wittenberg, geboren. Er wächst mit drei jüngeren Geschwistern auf. Nach der Schule lernt er Maurer und Fliesenleger, bildet sich als Koch fort. 1968, Sieben Jahre nach dem Bau der Berliner Mauer, wird es dem jungen Mann in der DDR zu eng: „Ich wollte mir mit meiner Hände Arbeit etwas Eigenes aufbauen.“ Der damals 19-Jährige und zwei Bekannte, damals 17 und 18 Jahre alt, beschließen, in den Westen zu gehen. Die Berichte von Todesstreifen und Schüssen auf Flüchtlinge nehmen sie nicht so richtig ernst.

    Als 19-Jähriger wird Rudi Georgi wegen Republikflucht verurteilt

    Am Bahnhof in Halberstadt werden die drei Burschen von der Staatssicherheit festgenommen. Georgi berichtet von getrennten, mehrere Stunden dauernden Verhören. Am Ende sei ihm ein vorbereitetes Geständnis zur Unterschrift vorgelegt worden. „Ich war so müde und hungrig, dass ich es dann einfach unterschrieben habe“, erinnert sich der 75-Jährige. Wurde er damals verpfiffen? Georgi weiß es nicht. Bis heute hat er keine Einsicht in seine damalige Stasi-Akte genommen. Er ist überzeugt, dieses Wissen würde ihm nicht helfen. Damals wurde Georgi wegen „Republikflucht“ zu zwei Jahren Haft verurteilt. 

    Nach seiner Entlassung lernt der junge Georgi 1970 lernte seine Ehefrau Heidi kennen. Das Paar heiratet 1971. Er arbeitet als Handwerker, in der Gastronomie und als Kranfahrer. Ausgerechnet der Überwachungsstaat sucht sich den gut vernetzten und leutseligen Handwerker aus, um Vorsitzender der Ost-CDU, einer „Blockpfeife“ der SED, in Zahna bei Wittenberg zu werden. 1974 soll er sogar als Bürgermeister kandidieren, bis ihn seine Haftvergangenheit einholt. Georgi zieht sich ins Private zurück.

    Immer wieder spricht der Familienrat über einen Ausreiseantrag. Gestellt haben ihn die Georgis nie. Er hätte die junge Familie vor eine Zerreißprobe gestellt. Georgi bewegte einerseits eine unsägliche Unzufriedenheit und andererseits wollte er seiner Frau und den drei kleinen Töchtern den Sprung ins Ungewisse nicht zumuten.

    Für Rudi Georgi ist der Mauerfall 1989 die Chance

    Der 9. November 1989 ändert alles. Für Rudi Georgi ist klar: Die Chance des Mauerfalls muss er nutzen. Am 3. Januar 1990 startet er mit dem Segen seiner Frau Heidi die Ausreise im Wartburg Richtung Hof. An der ostdeutschen Grenze wird er befragt. Georgi ist mulmig zumute, als er wahrheitsgemäß antwortet, er bereite die Ausreise seiner Familie vor. Doch der Schlagbaum bleibt offen. Rudi Georgi stellt an der westdeutschen Grenze einen Asylantrag und kommt in eine Kaserne bei Weiden zur Erstaufnahme. Dort entscheidet er sich für die Ausreise nach Bayern. Er zieht in einem verschlossenen Kuvert den Aichacher Stadtteil Unterwittelsbach.

    Als Georgi am um den Dreikönigstag 1990 ankommt, staunen die Menschen nicht schlecht über einen der ersten „Ossis“, der im Wartburg ankommt. Er lernt den aus Inchenhofen stammenden Konrad Schneller kennen und schätzen. Dieser vermittelt ihm einen Job bei der Inchenhofener Baufirma Michl, eine Wohnung in Inchenhofen und die Finanzierung für einen roten Ford Escort. Der in Aichach viel bestaunte Wartburg wird in Zahlung gegeben. 

    Das erste Auto im Westen: der rote Ford Escort. Hier eine Aufnahme in Aichach mit Ehefrau Heidi (rechts), der mittleren Tochter Mandy (links) und der jüngsten Tochter Claudia (Mitte).
    Das erste Auto im Westen: der rote Ford Escort. Hier eine Aufnahme in Aichach mit Ehefrau Heidi (rechts), der mittleren Tochter Mandy (links) und der jüngsten Tochter Claudia (Mitte). Foto: Repro Marc Sturm

    „Das war für mich wie ein Sechser im Lotto, ich bin Konrad Schneller, der leider schon verstorben ist, bis heute zutiefst dankbar“, erzählt Rudi Georgi sichtlich bewegt. Damals kann er sein Glück kaum fassen. Mitte Januar 1990 kehrt er ins kleine Zahna östlich von Wittenberg zurück. Am 15. Februar macht sich die Familie auf ins neue Zuhause. „Für mich war das eine riesige Überwindung, dieser Sprung ins Ungewisse“, sagt Heidi Georgi.

    Heidi Georgi wagt mit ihrem Mann den Sprung ins Ungewisse

    Dass sie den Sprung gewagt hat, dafür ist ihr der 75-Jährige bis heute dankbar. Seine Frau fing damals die Kinder auf, er konnte auf die Unterstützung Schnellers und der Familie Michl zählen. Ehefrau Heidi fand Arbeit bei der Metzgerei Ottilinger. Rudi Georgi engagierte sich bald ehrenamtlich insbesondere beim TSV Inchenhofen in der Schachabteilung als Spielleiter und baute diesen Bereich maßgeblich auf.

    Seinen ostdeutschen Dialekt hat Rudi Georgi nie abgelegt. Die Menschen seien immer freundlich, aber distanziert gewesen zu ihm. Die Distanz nahm mit der Zeit ab. Georgi beschwört, dass Inchenhofen seine Heimat geworden sei: „Für mich hat Arbeit sich gelohnt, ich habe aus den mir gebotenen Möglichkeiten etwas gemacht, das mir in der DDR nie gelungen wäre.“ Seinen 75. Geburtstag feiert der Jubilar beschaulich im Kreis seiner Familie. Er erhält heute eine kleine monatliche Entschädigung für erlittenes Unrecht des SED-Regimes – er ist ein Zeitzeuge der deutsch-deutschen Geschichte. 

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