Seit dem 17. September ist für Familie Loban-Schneider aus Sielenbach nichts mehr, wie es vorher war. Eigentlich ist es ein ganz normaler Dienstag. Christian Schneider ist bei der Arbeit, er verdient sein Geld als Kranführer im Hochbau. Theresa und Konstantin, die beiden Kinder, sieben und neun Jahre alt, sind noch in der Nachmittagsbetreuung ihrer Schule. Valentyna Loban, die als Stiftungsbetreuerin von zu Hause aus arbeitet, entscheidet sich, an diesem Tag auf der Terrasse ihrer Tante in Aichach zu arbeiten. „Das große Glück im Unglück“, wird Christian Schneider später sagen. Denn Valentyna ist so zumindest nicht allein, als ihr an diesem Nachmittag ein Aneurysma im Gehirn platzt und sie ins Koma fällt.
Genau zwölf Wochen später sitzt ihr Mann Christian Schneider am Küchentisch der Familienwohnung. Er wirkt gefasst, redet zuneigungsvoll und mit einem Lächeln über seine Frau Valentyna. Valentyna, die er vor zwölf Jahren in der Münchner U-Bahn kennenlernte, die „mitten im Leben stand“, eben bis zu jenem 17. September. Seine Frau, die Gitarre spielte, zeichnete, häkelte, strickte. Die Sprachwissenschaften studiert hatte und deshalb „mindestens fünf Sprachen“ spricht. „Jetzt wird sie das wahrscheinlich nicht mehr können, das ist ja das Schlimme“, sagt Schneider. Er redet offen über die schicksalshaften Wochen, die hinter seiner Frau, ihm und ihren Kindern liegen. Und über die, die noch bevorstehen.
Drei Wochen schwebte Valentyna Loban zwischen Leben und Tod
Etwa darüber, dass er lange nicht wusste, was geschehen war: „Valentynas Schwester hat mich um halb drei nachmittags angerufen und gesagt, dass Valentyna bewusstlos geworden und auf dem Weg in die Uniklinik in Augsburg ist.“ Schneider musste noch seine Schicht beenden, weil ihn Kollegen mit zur Arbeit genommen hatten, und kümmerte sich darum, dass die Kinder nach der Schule versorgt sind. Um 17 Uhr sei er dann in Aichach angekommen, weil dort noch das gemeinsame Auto stand. Dann fuhr er nach Augsburg. „Auf dem Weg ins Krankenhaus hat mich dann erst der Arzt angerufen: ‚Ihre Frau ist ins Koma gefallen, weil sie eine Hirnblutung hat. Sie wird jetzt operiert‘“, erinnert sich Schneider.
Was folgte, waren drei Wochen ständiger Sorge, zwischen Leben und Tod und ärztlichen Prognosen, die „zum Glück nicht eintrafen“, sagt Christian Schneider: „Es waren die schlimmsten drei Wochen überhaupt.“ In dieser Zeit musste Valentyna einige Operationen über sich ergehen lassen: Weil sich im Hirn Druck aufbaute, musste ein Stück der Schädeldecke entfernt werden. Der Druck wanderte aber auf die andere Seite, auch dort wurde der Knochen geöffnet. Die Ärzte stellten zudem fest, dass Valentyna auf der „offenen“ Seite in der Zwischenzeit mehrere Schlaganfälle erlitten hatte.
Mehrere Rückschläge: Familienvater musste die Kinder auf den Tod ihrer Mutter vorbereiten
Mehrfach bereiteten die Ärzte Schneider auf den Tod seiner Frau vor. Dieser musste währenddessen auch den Kindern Theresa und Konstantin schonend beibringen, was mit ihrer Mutter passiert: „Ich habe ihnen gesagt: ‚Ich weiß nicht, ob die Mama das schafft.‘“ An den genauen Wortlaut könne er sich nicht mehr erinnern, er habe aber noch etwas in Richtung „Mama wird dann zum Engel“ hinzugefügt.
Doch Valentyna trotzte allen Widrigkeiten und erwachte nach drei Wochen aus dem Koma. Seitdem liegt sie im Therapiezentrum Burgau im Landkreis Günzburg, einer Fachklinik für neurologische Rehabilitation. Mittlerweile wird Valentyna mobilisiert, sie wird also beispielsweise in den Rollstuhl gesetzt. Mit einem Roboter wird Valentyna regelmäßig aufgerichtet und durch Beinbewegungen simuliert, dass sie geht. Im Januar sollen dann auch wieder die Schädeldecken eingesetzt werden. „Wir warten sehnsüchtig darauf, weil alle Ärzte sagen, dass es dann besser wird“, sagt Schneider.
Erst dann könne auch endlich die Sprachtherapie beginnen, einer der nächsten Schritte in der Therapie. Momentan kann Valentyna, die im Februar 42 Jahre alt wird, bereits den linken Arm und das linke Bein bewegen, erzählt Schneider: „Es geht alles ganz langsam voran. Die beste Leistung war bislang, dass sie ihren Arm gehoben und ihr Gesicht abgetastet hat.“ Das sei aber gleichzeitig auch das Schlimmste für sie: „Weil sie versteht, was Sache ist.“
Schicksalsschlag stellte das Familienleben auf den Kopf, Spendenaktion verschafft Abhilfe
Deshalb ist es Christian Schneider wichtig, dass jeden Tag jemand zu Besuch bei Valentyna ist. Wenn er es selbst nicht schafft, fährt Valentynas Familie nach Burgau. Momentan ist Schneider jeden zweiten Tag an der Seite seiner Frau – und darf mittlerweile auch die Kinder mitnehmen. Theresa und Konstantin hatten ihre Mutter bis zu ihrem ersten Besuch zehn Wochen lang nicht gesehen. „Ich existiere eigentlich gerade nur noch für unsere Kinder“, sagt Schneider. Arbeiten könne er nicht mehr, viel mehr sei er darum bemüht, den beiden „so viel Normalität wie möglich zu ermöglichen“. Dazu zählen „ganz viele Kleinigkeiten“, um die sich zuvor seine Frau gekümmert hatte. Vom ausgewogenen Frühstück über den Überblick über Unterrichts- und Sportzeiten der Kinder bis zu der Frage: „Wie mache ich meiner Tochter eigentlich die Haare?“
Zumindest sind Christian Schneider und Theresa und Konstantin nicht alleine. Valentynas Eltern leben ebenfalls in Sielenbach, passen gelegentlich auf die Kinder auf oder laden abends zum Essen ein. Schneiders Schwester hilft bei Papierkram und Einkäufen – und startete einen Spendenaufruf auf der Plattform „gofundme“. Innerhalb einer Woche kamen 25.000 Euro zusammen, Stand 13. Dezember steht das Spendenbarometer bei mehr als 29.000 Euro. Schneider sagt: „Das ist mir total unangenehm. Vor allem, dass so viele Menschen mit so viel Geld an unserem Schicksal teilhaben. Die Resonanz ist überwältigend.“ Seine Schwester habe aber jeder Spenderin und jedem Spender geschrieben und sich bedankt: „So fällt es mir zumindest ein wenig leichter, die Spenden anzunehmen.“
Im Nachhinein sei er auch „total froh“ darüber, sagt Schneider: „Wir leben gerade von Valentynas und meinem Krankengeld. Wenn etwas anfällt, muss ich mir zumindest keine Sorgen machen.“ Auch wenn er natürlich auf ein Wunder hoffe: „Ich gehe davon aus, dass sie einen Rollstuhl brauchen wird.“ Den will er seiner Frau mit dem Geld ermöglichen, genauso wie Therapien, die über von Ämtern und Krankenkassen finanzierte Behandlungen hinausgehen. Schneider sagt: „Die Hoffnung stirbt zuletzt.“
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