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Doppelte Staatsbürgerschaft: Von Fußball-EM und Vorurteilen

Aichach-Friedberg

Zwischen Zugehörigkeit und Vorurteilen: ein Leben mit zwei Pässen

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    In Aichach und Friedberg leben insgesamt mehr als 3500 Menschen mit einer doppelten Staatsbürgerschaft.
    In Aichach und Friedberg leben insgesamt mehr als 3500 Menschen mit einer doppelten Staatsbürgerschaft. Foto: fidaolga, adobe stock (Symbolbild)

    Das mit der Heimat und der Herkunft ist so eine Sache. Heimat und Herkunft können Identität und Sinn stiften, jemanden verwurzeln und ein Wir-Gefühl erzeugen. Sie können aber auch für Vorurteile sorgen, "Andersartigkeit" hervorheben und zu Ausgrenzung führen. Wie ist es da, zwei verschiedene Herkünfte zu haben, zwei unterschiedliche Länder als Heimat zu empfinden? Wir haben mit einem Deutsch-Schweizer und einer Deutsch-Italienerin aus dem Wittelsbacher Land darüber gesprochen – und über ihr Leben mit einem Doppelpass.

    Stand Juni 2024 besitzen nach Angaben des Einwohnermeldeamtes rund 1750 Menschen in Aichach die doppelte Staatsbürgerschaft, knapp ein Drittel davon verteilt sich auf die deutsch-kasachische und deutsch-türkische Doppelstaatlichkeit. In Friedberg ist es ähnlich: Laut Pressesprecher Frank Büschel leben dort 1760 Doppelstaatler, die meisten davon deutsch-türkisch. Einer der 1760 ist Hartmut Hopperdietzel.

    Hartmut Hopperdietzel ist Deutsch-Schweizer und wohnt im Friedberger Ortsteil Bachern.
    Hartmut Hopperdietzel ist Deutsch-Schweizer und wohnt im Friedberger Ortsteil Bachern. Foto: Hopperdietzel

    Hopperdietzel ist 63 Jahre alt, er wohnt im Friedberger Ortsteil Bachern und kommt aus dem Landkreis Hof. Wobei, eigentlich kommt er auch aus der Schweizer Hauptstadt Bern: "Meine Mutter kam von dort." Zweimal im Jahr ist er noch dort und besucht seine Verwandtschaft, die zum Teil auch in Zürich lebt. Hopperdietzel sagt aber: "Früher waren es bis zu fünfmal." Seinem Zugehörigkeitsgefühl tut das keinen Abbruch: "Ich würde sagen, beide Teile sind gleich stark. 50/50."

    Deutsch-Italienerin Claudia Cigalotti: "Ich habe in Italien im Dirndl geheiratet"

    Ein wenig anders ist es bei Claudia Cigalotti. Die 51-Jährige fühlt sich als "Bayerin", das sei schon immer so gewesen. Und das, obwohl sie seit mehr als 30 Jahren in Arco wohnt, im Norden des Gardasees, Heimat ihres Vaters. Der war als Gastarbeiter nach Deutschland gekommen und hatte Cigalottis Mutter kennengelernt. Cigalotti wurde in Aichach geboren, wuchs dort auf und schloss die Schule ab – und zog dann, ohne ein Wort Italienisch zu sprechen, mit ihren Eltern an den Gardasee: "Mein Papa hat zu Hause bayerisch mit uns gesprochen. Nur die Schimpfwörter konnte ich auf Italienisch", erinnert sich Cigalotti. Bis heute komme sie "oft und gern" nach Aichach zurück, ihre Tante und Cousinen seien schließlich noch hier, genauso wie viele Freunde.

    In Aichach ist der Teil in ihr gereift, der sie sagen lässt: "Wenn ich eine Staatsbürgerschaft ablegen müsste, würde ich ohne nachzudenken die deutsche behalten." Am Gardasee bewahrte sie sich das "typisch Deutsche": "Die Regeln. Mit denen habe ich hier zu schaffen, da haben sie es hier nicht so." Auch die Bräuche sind ihr wichtig: Cigalotti liebt Plätzchenbacken und die Weihnachtszeit ganz generell – die im Norden des Gardasees allerdings kein allzu großes Thema sei. Und dann ist Cigalotti eben auch auf das Bayerische stolz: "Ich habe hier in Italien im Dirndl geheiratet." Den anderen Teil will sie aber auch nicht leugnen: "Beim Essen kommt die italienische Seite durch. Die Küche hier ist wirklich top."

    Claudia Cigalotti ist Deutsch-Italienerin und wohnt in Arco am Gardasee. Geboren und aufgewachsen ist sie aber in Aichach.
    Claudia Cigalotti ist Deutsch-Italienerin und wohnt in Arco am Gardasee. Geboren und aufgewachsen ist sie aber in Aichach. Foto: Cigalotti

    Seinen "anderen" Teil sieht Hartmut Hopperdietzel auch als Verantwortung: "Ich darf in der Schweiz wählen. Da sehe ich mich verpflichtet, mich über das politische Geschehen zu informieren und dranzubleiben." Er könne auch in Deutschland niemanden verstehen, der nicht wählen gehe. Hopperdietzel fühlt sich tatsächlich, als würden zwei Herzen in seiner Brust schlagen. Das typisch

    Doppelstaatler Hartmut Hopperdietzel: "Vielleicht bin ich zu 51 Prozent Schweizer"

    Auf der anderen Seite sieht er auch das Deutsche in sich: "Das Gemecker. Wir machen alles schlecht, nichts ist gut genug, nichts ist schnell genug. Komischerweise ist es so: Wenn ich in der Schweiz bin, ist es anders." Dort fühle er sich "gelassener", und das sei auch etwas, das sich die Deutschen abschauen könnten: "Hier heißt es immer: 'Wir haben einen Migrationsdruck.' Den hat die Schweiz noch viel mehr, die gehen aber viel gelassener damit um."

    Generell könne Deutschland noch einiges von der Schweiz lernen: "Natürlich ist es gut, dass Entscheidungen in der Schweiz per Volksabstimmung gefällt werden." Auch wenn in Deutschland deutlich mehr Menschen wohnen: Die Politik in der Schweiz könne so nicht einfach irgendwelche Dinge machen. Das binde ihn tatsächlich ein wenig mehr an die Schweiz: "Als Bürger habe ich das Gefühl, da noch aktiv mitwirken zu können, Teil zu sein. Vielleicht bin ich doch zu 51 Prozent Schweizer."

    Dafür muss er sich aber gelegentlich auch Unfreundlichkeiten anhören: "Es ist selten, aber es gibt schon immer mal wieder Fälle, in denen ich verbal angegriffen werde, weil manche Menschen nicht verstehen, wie ich zwei Staatsbürgerschaften haben und mich beiden zugehörig fühlen kann."

    Doppelstaatler aus dem Wittelsbacher Land haben mit Vorurteilen zu kämpfen

    Claudia Cigalotti hatte damit zu kämpfen, überall als "anders" wahrgenommen zu werden: "Die Schule war für mich Hänselzeit. Da war ich der 'Spaghettifresser'. Und hier in Italien dann der 'Kartoffelfresser'." Es sei nicht immer einfach gewesen, gerade als Kind: "Tief in mir drin hat das sicherlich etwas mit mir angestellt, ich habe das schon von klein auf so mitbekommen. Dabei bin ich doch Bayerin." Mit der Zeit habe sie aber gelernt, damit auszukommen: "Was die anderen Leute denken, ist mir egal. Ich muss auf mich achten, und das tue ich."

    Mit etwas Augenzwinkern gilt das auch für ein aktuelles Ereignis: "Beim Fußball juble ich für Deutschland, mein Mann und Sohn für Italien. Bei der WM 2014 bin ich bei jedem Tor mit meinen Kuhglocken raus auf den Balkon und habe geläutet." Und wenn eine Mannschaft ausscheide, bliebe ja noch das andere Team. Hartmut Hopperdietzel – ganz Schweizer – sagt mit Blick auf das direkte Duell seiner beiden Heimaten bei der Europameisterschaft: "Ich freue mich über jeden, der gewinnt – und ein Unentschieden ist noch schöner."

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