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Aichach-Friedberg: Dieser Bach transportiert ein Giftproblem durch fünf Landkreise

Aichach-Friedberg

Dieser Bach transportiert ein Giftproblem durch fünf Landkreise

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    In sieben Quellen entspringt der Verlorene Bach, Oberlauf der Friedberger Ach, bei Penzing.
    In sieben Quellen entspringt der Verlorene Bach, Oberlauf der Friedberger Ach, bei Penzing.

    Die „Quelle“ ist weit im Süden, der Bach fließt 100 Kilometer durch fünf Landkreise und zwei Regierungsbezirke – das Giftproblem betrifft alle: Die vom ehemaligen Fliegerhorst in Penzing bei Landsberg ausgehende Kontaminierung der Friedberger Ach – die dort noch Verlorener Bach heißt – mit per- und polyfluorierten Chemikalien (PFC) hat über das Wittelsbacher Land zuletzt auch in den Landkreisen Donau-Ries und Neuburg-Schrobenhausen für Konsequenzen gesorgt. Umweltbehörden haben die Grenzwerte drastisch gesenkt. Wie die fünf Kreisgruppen des Bund Naturschutz (BN), den Verursacher Bundeswehr, beziehungsweise der Bund, in die Pflicht nehmen wollen.

    In einer virtuellen Pressekonferenz, an der die Vorsitzenden der fünf betroffenen Kreisgruppen sowie ein Chemiker und PFC-Experte aus dem ebenfalls stark von solchen Umwelt-Belastungen betroffenen Landkreis Altötting, teilnahmen, formulierten die BN-Vertreter ihre Forderungen. Letzter Auslöser für das gemeinsame Vorgehen sei der Appell der Landratsämter in Donau-Ries und Neuburg-Schrobenhausen an die Bürger gewesen, den Verzehr der belasteten Fische deutlich einzuschränken. Für Neuburg-Schrobenhausen riet das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) jetzt sogar, ganz darauf zu verzichten. Im Jahr sei noch der Verzehr von ein Kilo Aal vertretbar.

    BN-Vorsitzender kann nicht verstehen, warum Landratsämter so spät reagieren

    Im Landkreis Landsberg, wo die Konzentration der perfluorierten Alkylsubstanz Perfluoroctansulfonsäure (PFOS) bis zu 100-mal so hoch wie wenige Kilometer vor der Mündung ist, wird übrigens bis heute nur allgemein vor dem „regelmäßigen Verzehr“ von Fischen aus dem Gewässer gewarnt. PFOs hatte jeweils den höchsten Gehalt aller festgestellten PFC-Stoffe im Wasser und den Fischen. Für Alexander Helber, Leiter der BN-Kreisgruppe Donau-Ries, ist es unbegreiflich, dass das dortige Landratsamt – und das in Neuburg-Schrobenhausen kurz darauf – erst eineinhalb Jahre nach der ersten Warnung im Landkreis Landsberg nachgezogen haben: Er sprach von einer „regionalen Umweltkatastrophe“. Es könne nicht sein, dass es so lange dauere, bis alle an diesem Flusslauf betroffenen Behörden reagieren.

    Das Landratsamt in Aichach hat seine vorläufige Warnung im September 2020 Anfang des Jahres als regulär erklärt. „Als BN fordern wir ein schnelles Handeln der Behörden über Landkreisgrenzen hinweg für das gesamte Flusssystem“, betonte Helber, der den Zusammenschluss der BN-Gruppen angestoßen hat. Er forderte detaillierte Untersuchungen an der ganzen Ach, auch auf die Belastung der Sedimente im Bach. Das Gift werde ja schon seit vielen Jahren heruntergeschwemmt. Helber wies darauf hin, dass mit Aalen vor allem solche Fische stark belastet seien, die sehr alt werden können und zudem an der Bachsohle leben.

    Bundesamt setzt PFC-Grenzwerte in zwei Schritten extrem herab

    Gerhard Merches, Umweltingenieur aus Altötting, wies darauf hin, dass die tolerierbare wöchentliche Aufnahmemenge an PFOS für den Menschen in zwei Schritten 2018 und 2020 von der Umweltbehörde Bundesinstitut für Risikoforschung (BfR) drastisch herabgesetzt worden sei – um einen Faktor von über 800. Bis 2018 galten noch die Aufnahme von 1000 Nanogramm PFOS pro Kilogramm Körpergewicht und Woche als Grenze, dann waren es noch dreizehn Nanogramm. Seit Mitte vergangenen Jahres steht der Wert bei 4,8 Nanogramm – aber als Summenwert von PFOS mit drei weiteren PFC-Substanzen. Die Gruppe dieser organischen Verbindungen umfasst über 4700 verschiedene Stoffe. Einige davon stehen im Verdacht, krebserregend zu sein.

    Gründe für die Verschärfung der Grenzwerte sind laut Merches unter anderem entwicklungstoxische Effekte und verringerte Geburtsgewichte, verringerte Antikörperbildung (Immunsystem) und erhöhte Cholesterin-Konzentrationen bei Untersuchungen. Um die Anreicherung von PFC in der Nahrungskette zu vermeiden, sollten alle anliegenden Landnutzer die Bewässerung von Nutzpflanzen mit Wasser aus dem verlorenen Bach/Friedberger Ach unterlassen, und keine Nutztiere mit dem Bachwasser tränken oder kontaminiertes Futter verabreichen, forderte Johannes Enzler, Vorsitzender der Kreisgruppe Augsburg. Schließlich gelange das PFC nicht nur über Fische in die Nahrungskette, sondern auch über Wildtiere und zum Beispiel über Getreide, das den Giftstoff auch sehr gut aufnehme. Es stelle sich auch die Frage, wer für diese Schäden aufkomme. Die Fischereirechte seien ja jetzt mehr oder weniger wertlos.

    PFC können vom Menschen nur in langen Zeiträumen ausgeschieden werden

    PFC sind schwer abbaubar und bleiben deshalb sehr lange in der Umwelt. Menschen können die Giftstoffe nicht abbauen und nur ausscheiden, und die sogenannte Halbwertszeit dafür liegt laut Merches bei sieben oder acht Jahren. Das heißt, in solchen Zeiträumen reduziert sich eine Stoffmenge im Körper immer um die Hälfte. Die giftigen Substanzen reicherten sich auch in Stockenten oder Wildschweinen an, so Enzler. In den Fischarten ist das unterschiedlich stark. Besatzfische sind dabei weniger betroffen als wild lebende Fische, weil sie ja in der Regel nicht so lange im Gewässer sind.

    Das Bachwasser der Ach wurde im Zuständigkeitsbereich des Wasserwirtschaftsamtes Donauwörth (Landkreise Aichach-Friedberg, Augsburg, Donau-Ries) mehrmals auf besonders giftige PFC-Verbindungen untersucht. PFOS hatte jeweils den höchsten Gehalt aller festgestellten Substanzen. Die sogenannte Umweltqualitätsnorm in einem Fließgewässer liegt bei 0,65 Nanogramm PFOS pro Liter Wasser. Ein Nanogramm ist ein Milliardstel Gramm. An der Kreisgrenze zwischen Landsberg und Aichach-Friedberg bei Unterbergen (Schmiechen) wurden vor gut einem Jahr 16 Nanogramm PFOS pro Liter gemessen. Also 25-mal so viel, wie die Norm besagt.

    In der Ach bei Derching (Friedberg) waren es 14 Nanogramm, nördlich von Thierhaupten (Kreis Augsburg) zehn, bei der Kittelmühle (Rain) fünf und bei Niederschönenfeld (beide Landkreis Donau-Ries) noch vier Nanogramm PFOS – etwa sechsmal so viel, wie die Norm besagt. Zum Vergleich: An Messstellen nahe den Quellen des Bachs lag der PFOS-Gehalt in einem Korridor zwischen 150 und 300 Nanogramm – das ist bis zu 460-mal so viel wie die Umweltqualitätsnorm.

    Auch am Flughafen Augsburg ist Löschschaum verwendet worden

    Neben Penzing kommt PFC vermutlich auch über kontaminierten Boden beim Flughafen Augsburg in den Boden und in Gewässer im Wittelsbacher Land. Wie berichtet, warnte das Landratsamt mittlerweile vor dem Verzehr von Fischen aus den grundwassergespeisten Baggerseen und Weihern beim Affinger Ortsteil Mühlhausen. Ernst Haile, BN-Vorsitzender im Landkreis Aichach-Friedberg, sieht Aufklärungsbedarf über die Belastung der Seen im ganzen Lechfeld. Sehr viele würden als Erholungsgebiete und Badegewässer genutzt. Dazu stünden ja auch Trinkwasser-Brunnen im Lechfeld. Die Rehlinger Hardhofgruppe hat vergangene Woche bekannt gegeben, dass das Wasser bedenkenlos zu genießen sei. Die PFC-Grenzwerte seien bei Messungen weit unterschritten worden.

    Auch am NATO-Flugplatz in Neuburg-Zell, wo über Jahre ebenfalls PFC-haltiges Löschmittel zum Einsatz gekommen war, sickert das Gift unaufhörlich ins Oberflächen- und Grundwasser und wird über den Grundwasserabstrom weiter transportiert. Ähnlich ist die Situation in Manching, aber auch in Altötting oder Burghausen, wo Chemiewerke für die Belastung durch das Austreten von PFC über die Schlote sorgen. Dort ist PFC im Blut von Menschen nachgewiesen worden.

    Wie in Penzing wird auch am Flughafen in Neuburg seit Jahren untersucht

    Wie in Penzing finden auch in Neuburg seit Jahren Untersuchungen statt. „Wir sehen, dass gehandelt wird, aber das Tempo der Sanierung muss deutlich beschleunigt werden, um eine weitere Verunreinigung der Gewässer und des Grundwassers zu verhindern“, fordert Folkhart Glaser, Vorsitzender der BN-Kreisgruppe Landsberg.

    Dabei würden auch kleinräumige Sanierungsmaßnahmen wie bei einer Wäscherei in Pöttmes sehr wohl funktionieren, auch ohne dass Jahre verstreichen, wie Ernst Haile sagte. „Dieses Tempo erwarten wir auch von der Bundeswehr bei der Sanierung des Fliegerhorsts Penzing und des 100 Kilometer langen Flusssystems.“

    Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Ob Corona oder PFC: Wir sind zu langsam dank Bürokratie

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