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Aichach-Friedberg: Versetzter Gesundheitsamtsleiter: "Habe Grenzen als Beamter nie überschritten"

Aichach-Friedberg

Versetzter Gesundheitsamtsleiter: "Habe Grenzen als Beamter nie überschritten"

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    Epidemiologe Friedrich Pürner ist zu einer umstrittenen Berühmtheit geworden.
    Epidemiologe Friedrich Pürner ist zu einer umstrittenen Berühmtheit geworden. Foto: Wolfgang Müller, Landratsamt Aichach

    Sie haben diese Woche erfahren, dass Sie ab Montag von der Regierung von Schwaben ans Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit abgeordnet werden – überraschend und gegen Ihren Willen, wie Sie sagen. Haben Sie es als leitender Beamter mit Ihrer Kritik an Ihrem Arbeitgeber und dessen Corona-Strategie übertrieben?
    Friedrich Pürner: Nein. Ich habe mich nur fachlich geäußert. Natürlich gibt es für Beamte Grenzen der Meinungsäußerung. Das staatliche Handeln darf nicht in einer Weise infrage stehen, die den Eindruck entstehen lässt, als wäre man bei der Ausführung nicht loyal gegenüber dem Dienstherrn oder nicht neutral gegenüber jedermann oder würde dienstlichen Anordnungen nicht Folge leisten. Keine dieser Grenzen habe ich je überschritten. Ich habe alle Anweisungen umgesetzt.

    Sie haben wiederholt Teile der Corona-Strategie deutlich kritisiert. Warum?
    Pürner: Weil ich immer wieder von Medien gefragt wurde. Weil ich Meinungsfreiheit schätze, gebe ich bereitwillig Auskunft. Es ist wichtig, dass man Transparenz herstellt.

    Was kritisieren Sie?
    Pürner: Nehmen wir die Teststrategie: Man hat gesehen, wohin es führt, wenn alle sich testen lassen, egal ob sie Symptome haben. Geld, Testkapazitäten und -material werden verschleudert. Es gibt einen Wahnsinnsrückstau an Proben in den Laboren, wichtige Laborergebnisse bleiben liegen. Wir erwischen viele, die positiv sind, aber keine Krankheitszeichen haben. Das belastet niedergelassene Ärzte, ebenso den öffentlichen Gesundheitsdienst. Er muss alle positiv Getesteten und Kontaktpersonen ermitteln, auch wenn andere ebenso wichtige Aufgaben anstehen, etwa die Ermittlung bei einem offenen Tuberkulosefall. Da stellt sich die Frage nach der Verhältnismäßigkeit. Sollten wir uns nicht auf die konzentrieren, die tatsächlich krank sind? Es ist nicht erwiesen, ob ein positiv Getesteter wirklich infektiös ist.

    Warum bemängeln Sie, dass Werte von 35, 50 und 100 positiv Getesteten pro 100.000 Einwohner in sieben Tagen als Grundlage für Corona-Maßnahmen verwendet werden?
    Pürner: Sie wurden nie medizinisch begründet, das sind rein politische Zahlen. Wenn die Grenze von 100 überschritten wird, hat das wahnsinnige Folgen an Maßnahmen. Von 100 positiv Getesteten ist aber zum Beispiel in Aichach-Friedberg nur circa ein Drittel krank. Die haben Husten, Schnupfen oder Fieber. Nur ein ganz geringer Teil muss ins Krankenhaus, ein noch geringerer auf die Intensivstation. Ist es da verhältnismäßig, wenn wir die Maßnahmen über alle Bürger stülpen?

    Sie bezweifeln außerdem den Sinn von Alltagsmasken. Wieso?
    Pürner: Es gibt immer noch keinen evidenzbasierten (auf Basis empirisch zusammengetragener und bewerteter wissenschaftlicher Erkenntnisse, Anm. d. Red.) Nachweis für ihre Wirksamkeit. Wie auch? Sie sind alle aus unterschiedlichen Stoffen. Zudem tragen die Leute sie zum Teil verkehrt. Beim nicht korrekten Umgang mit einer Maske können sich die Viren trotzdem weiterverbreiten. Oder schauen wir auf Kinder mit Masken in den Schulen: Wir sind soziale Wesen, wir brauchen die Mimik. Die fehlt uns unter der Maske. Ich denke an Kinder, die eine Fremdsprache lernen sollen, oder Kinder mit Migrationshintergrund. Für Kinder ist nicht die ganze Zeit Fasching, wie manche Erwachsene meinen. Jeder soll den Selbstversuch machen und sechs Stunden eine Baumwollmaske vor dem Mund haben. Auch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte sagt, dass die Schutzwirkung sogenannter Communitymasken im Vergleich zu OP- oder FFP2-Masken in der Regel nicht nachgewiesen ist. Ich würde auf Freiwilligkeit statt Maskenpflicht setzen.

    Welche Maßnahmen befürworten Sie?
    Pürner: Ordentliche Händehygiene, Abstand halten – vor allem in der Winterzeit – und zu Hause bleiben, wenn man krank ist.

    Sie sind Epidemiologe. Wie gefährlich ist Corona aus Ihrer Sicht?
    Pürner: Ich weiß um die Gefährlichkeit und Tödlichkeit des Coronavirus. Aber ich möchte das einordnen. In der Mehrzahl verläuft eine Infektion relativ harmlos. Ältere oder Vorerkrankte sind besonders gefährdet. Das gibt es bei anderen Erkrankungen auch. Man kann auch an Corona sterben. Man muss sich aber den Anteil anschauen, wie viele von 100 krank werden, wie viele schwer krank und wie viele sterben. Wir aber zählen nur positiv Getestete.

    Was sagen Sie zum Vorwurf, Sie würden mit Ihrer Kritik an Teilen der Corona-Strategie diese insgesamt diskreditieren und Menschen verunsichern?
    Pürner: Ich habe nicht dazu beigetragen, Leute zu verunsichern. Das hat die Politik getan – mit der ständigen Überdramatisierung und fehlenden Differenzierung zum Beispiel von positiv Getesteten und Erkrankten oder an und mit Corona Gestorbenen. Meine Aufgabe als Arzt und Gesundheitsamtsleiter ist es auch, Menschen die Angst zu nehmen und aufzuklären, damit sie sich selbst wieder eine Meinung bilden können.

    Wie können Sie als Amtsleiter Maßnahmen vertreten, deren Sinn Sie in Zweifel ziehen?
    Pürner: Einige Maßnahmen sind diskussionswürdig. Es ist aber keine dabei, die ich nicht mit meinem Gewissen vereinbaren könnte. Bisher habe ich die moralische Grenze noch nicht erreicht. Natürlich ist das eine Gratwanderung. Es ist argumentativ schwierig und es kostet Kraft.

    Hatten Sie es mit Ihrer Kritik auf eine Reaktion Ihres Arbeitgebers angelegt?
    Pürner: Nein.

    Sie sind privat sehr aktiv auf Twitter. Dort folgen und kommunizieren Sie mit zum Teil fragwürdigen Accounts, die Corona leugnen oder die Maßnahmen dagegen in Frage stellen. Wie verträgt sich das mit Ihrem Job als leitender Beamter, der die Corona-Maßnahmen zu vertreten hat?
    Pürner: Wenn ich auf Twitter jemandem folge, bedeutet das nicht, dass ich ihm zustimme.

    Machen Sie es sich da nicht zu einfach?
    Pürner: Ich kenne nicht von jedem die komplette Timeline. Ich finde es schon erstaunlich, dass man, obwohl es um fachliche Dinge geht, jetzt in den sozialen Medien nachschaut, was ich dort mache. Das steht nicht im Widerspruch zu meiner Arbeit. Ich mag mich auch nicht in eine Ecke drängen lassen, in die ich nicht gehöre und von der ich mich ausdrücklich distanziere.

    In einer Diskussion über die Maskenpflicht schreiben Sie: „Wenn alle Menschen alles machen, nur weil es ein beruhigendes Gefühl gibt, dann braucht es keinen Verstand mehr. Man könnte dann auch von Gleichschaltung sprechen.“ Ein Begriff, der den Prozess zur Vereinheitlichung des gesellschaftlichen und politischen Lebens zu Beginn der NS-Zeit meint.
    Pürner: Dieser Begriff war niemals in diesem Kontext gemeint. Mir ging es darum, deutlich zu machen, dass hier eine Maßnahme verordnet wird, deren Sinnhaftigkeit nicht evidenzbasiert nachgewiesen ist.

    Es geht doch aber auch darum, wie man etwas zum Ausdruck bringt?
    Pürner: Im Nachhinein würde ich das so sicher nicht mehr formulieren.

    Wie geht es für Sie beruflich weiter?
    Pürner: Stand jetzt (Donnerstag, 14 Uhr, Anm. d. Red.) weiß ich nicht, welche Aufgabe meine neue Stelle mit sich bringt.

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