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Prozess in Aichach: Aufgaben weitergegeben: Konrektor setzt aus Liebe alles aufs Spiel

Prozess in Aichach

Aufgaben weitergegeben: Konrektor setzt aus Liebe alles aufs Spiel

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    Die Aufgaben für die Realschulabschluss-Prüfungen 2018 hat ein ehemaliger Konrektor weiter gegeben.
    Die Aufgaben für die Realschulabschluss-Prüfungen 2018 hat ein ehemaliger Konrektor weiter gegeben. Foto: Alexander Fahl (Symbol)

    Blass, ernst, aufmerksam – so sitzt der ehemalige Konrektor einer Realschule im Wittelsbacher Land auf der Anklagebank des Aichacher Amtsgerichts. Die Frau, für die der 44-Jährige extrem viel riskiert hat, sitzt zwei Stühle weiter. Der Mann muss sich wegen Verletzung des Dienstgeheimnisses und Siegelbruch verantworten, die 39-Jährige wegen Anstiftung dazu. Der inzwischen suspendierte Konrektor hat im Juni 2018 die Aufgaben für die Realschulprüfung in vier Fächern geöffnet, diese samt Lösungen abfotografiert und der Frau übergeben, die er heiraten wollte. Denn ihr Sohn, ein schlechter Schüler an einer Realschule im Nachbarlandkreis Neuburg-Schrobenhausen, hatte keine guten Aussichten, die Realschulprüfung zu bestehen.

    Der Konrektor macht in der Verhandlung reinen Tisch

    Es ist eine Geschichte von betrügen und betrogen werden. Der Angeklagte nutzt die Verhandlung, um reinen Tisch zu machen, wie Amtsrichter Walter Hell später anerkennend bemerkt. Während seine Partnerin, mit der er inzwischen ein Kind hat, schweigt, erzählt er, dass er sie im September 2017 über eine Internet-Partnerbörse kennen gelernt hat. Er spricht von einer tollen Beziehung. Als sie zum Jahreswechsel erstmals fragt, ob er die Aufgaben der Abschlussprüfung für ihren Sohn besorgen könne, lehnt er klar ab. Monate später ist das anders. Die Beziehung habe sich gefestigt, ein Kind sei unterwegs gewesen, der Hochzeitstermin war anberaumt, schildert der 44-Jährige. Hinzu kommt, dass privat „Chaos pur“ bei ihm herrscht.

    Der Vater hat nur noch wenige Monate zu leben. Während eine Tochter aus erster Ehe bei ihm wohnt, hat er die zweite schon drei Jahre nicht mehr gesehen. Er habe keine wirkliche Erklärung für seine Tat, aber er habe auf keinen Fall die neue Beziehung gefährden wollen, schildert der Angeklagte. Also öffnet er zwei Tage vor der Deutschprüfung den Schultresor, dessen Code nur er, ein weiterer Konrektor und der Direktor kennen. Er entfernt das Siegel, öffnet den Umschlag und fotografiert alles. Das digitale Paket liefert er bei seiner Geliebten ab, damit sich deren Sohn vorbereiten kann. Am Abend macht er das Gleiche mit den Aufgaben für Mathe, Englisch und Rechnungswesen. Auch diese steckt er in neue Umschläge, klebt sie mit Tesa zu und neue Etiketten darauf. Der Schwindel ist für den Direktor am Prüfungstag offensichtlich. Er fällt bald aber auch an einer Realschule im Nachbarlandkreis auf: Dort glänzt besagter Schüler plötzlich mit sehr guten Ergebnissen, allerdings auch eindeutig mit Musterlösungen.

    Bei der Hausdurchsuchung fällt der Konrektor aus allen Wolken

    Die Ermittlungen kommen ins Rollen. Der Konrektor allerdings fällt aus allen Wolken, als einige Tage später die Kriminalpolizei in der Schule auftaucht. Sie konfrontiert ihn mit den Vorwürfen und durchsucht seine Wohnung. Erst jetzt erfährt der Mann, dass seine Verlobte weder Staatsanwältin ist, wie sie ihm gesagt hat, noch so heißt, wie sie vorgegeben hat. Der falsche Name prangt bereits auf den Hochzeitseinladungen. Der Betrogene reagiert mit einem Weinkrampf wie ihn der anwesende Kripobeamte kaum je erlebt hat. Das schildert der Kriminaler im Zeugenstand.

    Die Hochzeit platzt, die Beziehung aber gibt es noch. Die Angeklagten haben ein Kind und einen gemeinsamen Wohnsitz. Weitere Fragen zur Beziehung will der Mann nicht beantworten. Alles andere erzählt er offen, zum Beispiel, dass er nun von Nachhilfe und einem Job im Einzelhandel lebt. Am Ende betont er: „Ich bereue meine Tat sehr.“ Er sei mit aller Kraft und gerne Lehrer gewesen. Er bittet den Richter zu berücksichtigen, dass er in seinem Alter noch einmal neu anfangen müsse.

    Der Amtsrichter rechnet dem Konrektor das Geständnis hoch an

    All das rechnet ihm Walter Hell hoch an. Vor allem auch, dass er seine Partnerin belastet und damit womöglich seine Beziehung riskiere; dass er ehrlich ist, obwohl auf den Zuschauerbänken sehr viele ehemalige Kollegen sitzen. Für Hell ist klar: „Ohne sie, wären sie nicht auf die Idee gekommen, so eine für einen Lehrer inakzeptable Tat zu begehen.“ Mit seinem Urteil – sieben Monate mit drei Jahren Bewährung – bleibt Hell auf Höhe des Antrags von Staatsanwalt Burkard Weiß. Die geforderte Geldstrafe für die 39-Jährige halbiert er (2400 Euro), Hell bleibt aber bei den beantragten 120 Tagessätzen. Ihr Rechtsanwalt Wilfried Eysell, der die Anstiftung für nicht ausreichend bewiesen erklärt, bittet im Fall einer Verurteilung um maximal 90 Tagessätze. Denn alles was darüber liegt, gilt als Vorstrafe. Der Anwalt des Angeklagten, Michael Bauer, stellt keinen Antrag zum Strafmaß. Er gibt aber zu bedenken, dass sein Mandant alles aufs Spiel gesetzt und alles verloren habe. Der Pädagoge hat ihm zufolge keine Aussicht mehr, jemals wieder als Lehrer arbeiten zu können.

    Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Für den 44-Jährigen ist es nicht das Letzte. In einem weiteren Verfahren geht es für ihn, so Hell, um die Frage: „Knast oder nicht“. Dem 44-Jährigen wird vorgeworfen, Gelder in niedriger sechsstelliger Höhe von einem Berufsverband auf sein Konto umgelenkt zu haben.

    Nachtrag: Der Sohn hat bis heute keinen Realschulabschluss. Seine Ausbildungsstelle hat er trotzdem bekommen.

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